Land des Honigs

Der Dokumentarfilm Land des Honigs zeigt den Konflikt zwischen Profit und Natur am Beispiel der Bienenzüchterin Hatidze Muratova. Hatidze lebt mit ihrer bettlägerigen Mutter in einem verlassenen Dorf bei Skopje in Nordmazedonien. Als letzte weibliche Züchterin von Wildbienen in Europa hält sie an den Traditionen fest. Ihr Umgang mit den Bienen ist respekt- beinahe liebevoll. Während sie behutsam die Honigwaben entnimmt, singt sie den Bienen etwas vor. Die Hälfte des Honigs überlässt sie den Bienen. Ihre Routinen strahlen Sicherheit und Ruhe aus.

© Neue Visionen Filmverleih

Tamara Kotevska und Ljubomir Stefanov begleiteten Hatidze über drei Jahre. Stefanov stieß bei seiner Recherche für einen Film über Bienen und deren Bedeutung für das Ökosystem auf Hatidze, in der Kotevska sogleich eine beeindruckende Protagonistin für ihr gemeinsames Projekt erkannte [Interview]. Obwohl sie und ihr Team unter schwierigen Bedingungen über einen langen Zeitraum so eng mit ihren Protagonist:innen arbeiteten, bleiben sie innerhalb des Film Beobachter:innen und versuchten möglichst wenig Einfluss auf das Geschehen zu nehmen.

Insgesamt ist Land des Honigs auf das Notwendigste reduziert. Für die Aufnahmen verwendeten die Filmemacher:innen kein künstliches Licht und verzichteten ebenso auf eine Musikuntermalung. So vermitteln sie auch die schroffe Schönheit der Gebirgslandschaft, die Ruhe und die Abgeschiedenheit und Beschwerlichkeiten eines Lebens fernab der Zivilisation. Es ist nicht ganz einfach, sich auf diese nüchterne Erzählweise einzulassen, die weder Spannung aufbaut noch irgendeine Zielrichtung erkennen lässt.

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© Neue Visionen Filmverleih

Mit der Ankunft einer Nomadenfamilie im Dorf ist es vorbei mit der Ruhe. Kotevska und Stefanov beobachten zunächst die Annäherung zwischen Hatidze und der Familie, die sich schnell zum Konflikt zwischen Hatidze und dem Patriarchen Hassan entwickelt. Diese Auseinandersetzung um die Bienenzucht dient Land des Honigs als Kristallisationspunkt der zentralen Frage nach einem verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen.

Während Hatidze nur die Hälfte des Honigs ihrer Bienen nimmt, will Hassan möglichst viel Gewinn erwirtschaften. Es geht ihm dabei nicht um Reichtum, sondern um die Versorgung seiner fünf Kinder. Dennoch sind seine Rücksichtslosigkeit gegenüber Hatidze und ihren Bienen und seine Wutausbrüche gegenüber Frau und Kindern kaum zu ertragen. Kotevska und Stefanov bleiben diszipliniert in ihrer Rolle der Beobachter:innen.

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Trotz der Offenheit der Protagonist:innen und des langen Beobachtungszeitraums erhalten sie somit eine Distanz aufrecht, die zwar ihrem Ethos als Dokumentarfilmer:innen, aber nicht unbedingt dem Publikum gerecht wird. Ohne Kommentierung oder Kontext sind die Zuschauer:innen völlig auf sich selbst gestellt und mitunter etwas verloren. Die Dramaturgie des Films folgt einer eigenen, inneren Logik, die dem Publikum ein hohes Maß an Geduld und Aufmerksamkeit abverlangt

Die Intention, die Bedrohung natürlicher Lebensgrundlagen am Beispiel der Bienen zu betrachten, brachte Land des Honigs den “Special Jury Award for Impact for Change” beim Sundance Festival 2019 ein. Augenöffnend und überwältigend ist diese Beobachtung jedoch nur für diejenigen, die sich auf den besonderen Charakter des Films einlassen können.

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Fraglich ist, ob es den Filmemacher:innen damit tatsächlich gelingt, ein Publikum jenseits der Sundance Jury aufzurütteln. Einerseits präsentiert Land des Honigs mit Hatidze eine beeindruckende Frau, die trotz existentieller Bedrohung für sich und ihre Bienen optimistisch, selbstbewusst und handlungsfähig bleibt. Gleichzeitig aber hinterlässt der Film ein Gefühl von Hilflosigkeit und tiefer Depression, aus dem weniger Aktionismus als Resignation folgen. Denn Kotevska und Stefanov führen dem Publikum die Brutalität menschlicher Eingriffe in die Natur vor Augen, denen auch Hatidze letztlich nicht gewachsen ist.

Kinostart: 21. November 2019

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