Interview: Johanna Schellhagen – Luft zum Atmen

Lea Gronenberg

Labournet.tv ist ein Kollektiv aus drei Frauen*, die irgendwann begonnen haben, Kämpfe am Arbeitsplatz und auf der Straße zu filmen. Die Videos stellen dabei die Aktivist_innen in den Mittelpunkt und lassen sie selbst zu Wort kommen. Labournet macht Aufnahmen und Filme aus der Geschichte von Arbeitskämpfen kostenfrei zugänglich, um diese zu bewahren. Passend zum Arbeiter_innenkampftag erscheint nun am 2. Mai ihr erster Kinofilm.

Der Dokumentarfilm Luft zum Atmen erzählt die Geschichte der Arbeiter, die mit der Gruppe oppositioneller Gewerkschafter (GoG) über 40 Jahre lang radikale Betriebsarbeit im Opel-Werk Bochum geleistet haben. In Interviews berichten die Kollegen selbst über ihren Einsatz gegen Krankenverfolgung – also die Gängelung von krank gemeldeten Arbeitnehmer_innen – und Kündigungen, die Organisation von Bildungsurlauben und den Versuch, direkte Solidarität mit verschiedenen Belegschaften in ganz Europa herzustellen. Im Oktober 2004 legte die GoG schließlich mit dem größten Wilden Streik in der Bundesrepublik Deutschland sechs Tage lang die Produktion von General Motors in ganz Europa lahm. Trotz aller Widrigkeiten haben sie sich immer wieder Gehör verschafft und bis zuletzt für die Interessen der Belegschaft gekämpft.

FILMLÖWIN-Autorin Lea Gronenberg hat die Regisseurin Johanna Schellhagen in einem Café in Neukölln getroffen. In dem Berliner Stadtteil, in dem sich auch das Büro von labournet befindet, wird der Film aktuell auf Plakaten für die Filmreihe Übernehmen wir?! Vom Ende der Fabriken und dem Beginn von etwas Neuem beworben.
___STEADY_PAYWALL___

© Sabcat Media

“Wir müssen mehr darüber sprechen, was am Arbeitsplatz passiert”

Lea: Kannst du erstmal etwas mehr über das Projekt labournet.tv erzählen?

Johanna Schellhagen: Labournet.tv gibt es seit 2011 und wir machen drei verschiedene Sachen. Einerseits haben wir ein Online-Portal aufgebaut, wo wir Filme über Streiks und Arbeitsbedingungen sammeln – aus allen Ländern und allen Zeiten seit es Filme gibt. Bisher haben wir dort 800 Filme angesammelt – aus 52 Ländern.

Das andere, was wir machen, sind eigene Filme. Wir begleiten zum Beispiel Streiks in Berlin mit der Kamera, aber manchmal machen wir auch längere Filme, wie Luft zum Atmen. Vor drei Jahren haben wir einen Film über die Streiks in der italienischen Logistikindustrie gemacht, wo migrantische Arbeiter_innen sich seit 2010 total erfolgreich organisieren.

Das dritte ist eine Veranstaltungsreihe. Die heißt Cinema Klassenkampf und da zeigen wir aktuelle  Videos von laufenden Streiks und laden die Belegschaften ein, davon aus erster Hand zu erzählen. Wir wollen so etwas wie ein ständiges Streikzelt etablieren, weil wir es wichtig finden, dass die Streikenden selbst zu Wort kommen und nicht immer andere über sie sprechen. Das läuft total gut und es ist super interessant, was die Leute zu erzählen haben.

Warum macht Ihr das? Was Eure Motivation dabei?

Wir finden,  es braucht viel mehr Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit für Streiks und das was am Arbeitsplatz passiert. Das ist in der normalen Berichterstattung ein ziemlich unbeachtetes Feld und wir möchten damit auch die Kämpfe unterstützen.

© Sabcat Media

“Widerstand ist möglich. Auch heute”.

Die Organisierung der Gruppe oppositioneller Gewerkschafter (GoG) und die Kämpfe bei Opel, um die es in Luft zum Atmen geht, liegen ja in der Vergangenheit und sind abgeschlossen. Was war da der Anreiz?

Also das ist tatsächlich so etwas wie eine Auftragsarbeit. Jemand von der Gruppe ist auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir nicht einen Film über die Geschichte der Belegschaft bei Opel in Bochum machen wollen. Das Werk ist ja 2014 geschlossen worden. Erst dachten wir auch: Wir wollen doch nicht alte Männer filmen, die Anekdoten von früher erzählen! Aber dann haben die erzählt, dass es die Gruppe immer noch gibt und sie sich jeden Dienstagabend trifft. In den letzten zwei Jahren haben die sich überlegt, was in den Film rein soll, weil sie gerne wollten, dass die Erfahrungen, die sie in über 40 Jahren gemacht haben, fruchtbar gemacht werden für Leute, die heute in Großbetrieben arbeiten oder heute lohnabhängig sind. Vor dem Hintergrund sah das dann schon ganz anders aus. Das fanden wir interessant, weil das genau die Informationen sind, an die man sonst nicht rankommt. Die reden in dem Film darüber, wie sie in einem großen Automobilwerk in Deutschland über 40 Jahre militanten Widerstand geleistet haben und ich finde, das sind ziemlich interessante und relevante Informationen.

Was würdest du sagen, kann man aus den Erfahrungen der GoG für heutige Arbeitskämpfe ziehen?

Das Wichtigste, was man daraus lernen kann, ist, dass man sich nicht auf Gewerkschaften verlassen kann, sondern sein eigenes Ding machen muss. Man muss zwar alle gewerkschaftlichen Strukturen nutzen, sich selbst gewerkschaftlich organisieren und in den Gremien wie Betriebsräten vertreten sein, aber man muss darüber hinaus seinen eigenen Kreis an Kollegen und Kolleginnen haben und selbst überlegen: Was wollen wir? Was ist das Beste für uns? Man muss im Betrieb unbedingt Autonomie bewahren. Das zieht sich durch die Jahrzehnte hindurch und wird auch bei der GoG deutlich. Leute, die heute in ihrem Betrieb was machen wollen, sollten unbedingt darauf gefasst sein, dass die Gewerkschaft irgendwann vielleicht nicht mehr das Gleiche will, wie man selber.

© Sabcat Media

Du hast für Luft zum Atmen selber Interviews geführt, aber auch ganz viel vorhandenes Material gesichtet und in deinem Film verarbeitet. Wie hast du dich dem Thema angenähert und wie lief der Prozess dann ab?

Ich hab die GoG selber interviewt und mich in die Thematik eingelesen. Ganz wichtig war aber die Vorarbeit der Gruppe selbst. Die haben sich nämlich zwei Jahre lang hingesetzt und jeden Videoschnipsel sortiert. Die wussten von jedem WDR-Film, den es zum Opel-Streik gab, und kennen wirklich alles was dazu veröffentlicht worden ist. Daraus haben die auch schon Szenen ausgewählt, die sie besonders wichtig und gut fanden. Das war totales Glück für mich, weil ich niemals alles hätte finden können.

Neben dem Arbeitskampf geht es in deinem Film ja auch viel um die persönliche Verbindung der Männer*, du zeigst zum Beispiel private Fotos. Musstest du dieses Vertrauen erst aufbauen?

Nö, die haben mir direkt alles hingeknallt, die haben mir alles gegeben, was sie so hatten. Da waren die ganz schmerzlos.

Sind die auch offener, weil sie alt sind und ihre Kämpfe bereits in der Vergangenheit liegen, wenn du das mit Aktivist_innen vergleichst, die du in aktuellen Streiks oder Arbeitskämpfen triffst?

Meine Erfahrung ist, dass Leute, die sich im Arbeitskampf befinden immer offen sind und auch froh, wenn man mit ihnen redet und ihnen Fragen stellt. Als labournet reden wir ja immer mit den Arbeiter_innen direkt und nicht so sehr mit den Gewerkschaftsvertreter_innen.

© Sabcat Media

“Es ist falsch, vom Ende der Fabriken zu sprechen”

Der Film läuft unter anderem im Rahmen der Reihe Übernehmen wir?! Vom Ende der Fabriken und dem Beginn von etwas Neuem.

Genau, wir machen da zwei Veranstaltungen. An einem Abend zeigen wir Luft zum Atmen, da bin ich auch vor Ort. Außerdem veranstalten wir einen Abend zu dem Widerstand der Jasic-Arbeiter in Shenzhen. Dort haben Leute in einer Schweißgerätefabrik versucht, eine Gewerkschaft zu gründen und wurden daraufhin entlassen. Es gab viel Widerstand und eine riesige Solidaritätswelle von Studierenden. Bei den Protesten gab es massenhaft Verhaftungen und Entführungen durch die Geheimpolizei.

Wir hatten zufällig Besuch von einer Genossin aus Hongkong, die total gut informiert war und uns die neuesten Videos zur Verfügung gestellt hat. Es war spannend. so eng mit ihr zusammenzuarbeiten, weil wir dadurch einen Einblick bekommen konnten, was da in China gerade passiert. An dem Abend zeigen wir ein paar der Videos, die wirklich interessant sind, und haben einen Genossen da, der öfter im Jahr nach China reist und sich dort gut auskennt und berichten kann.

Im Titel der Reihe ist die Rede vom Ende der Fabriken. Welche Rolle spielen die Kämpfe der klassischen Industrie-Arbeiter_innen heute noch?

Ich finde es gar nicht richtig, vom Ende der Fabriken zu reden, weil das ein extrem eurozentrischer Blick ist. Es mag sein, dass es hier jetzt gerade weniger Fabriken gibt, aber in anderen Teilen der Welt gibt es umso mehr. Teilweise werden dort sogar wieder weniger Maschinen eingesetzt, weil es offensichtlich billiger ist, den Arbeiter_innen Hungerlöhne zu zahlen, als in Technik zu investieren. Es ist falsch zu behaupten, es gäbe keine Fabriken oder industrielle Arbeit mehr, weil alles, was wir konsumieren, weiterhin irgendwo hergestellt wird.

Trotzdem finde ich die Filmreihe gut, weil ich es einfach wichtig finde mehr darüber zu reden, was am Arbeitsplatz passiert, was auch mit uns am Arbeitsplatz passiert. Überhaupt finde ich es wichtig, dass wir uns wieder mehr als Klasse begreifen.

© Sabcat Media

Luft zum Atmen ist euer erster Kinofilm, wie geht es jetzt weiter bei labournet?

Wir sind leider in Existenznot. Die Förderung, die wir seit 2011 durch die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt erhalten haben läuft jetzt aus. Wir sind dann ganz von unseren Fördermitgliedern abhängig und suchen bis Ende des Jahres noch 300 Personen, die uns im Schnitt mit 10 Euro im Monat unterstützen. Der Film ist insofern total wichtig für uns, weil wir hoffen, damit genug Menschen zu erreichen und Unterstützer_innen zu gewinnen, damit wir auch nächstes Jahr noch weitermachen können.

Kinostart: 2. Mai 2019

Letzte Artikel von Lea Gronenberg (Alle anzeigen)