High Life

von Sophie Charlotte Rieger

Ein märchenhafter Garten, sattes Grün, taubenetztes Moos und Gemüse, in das wir am liebsten sofort hineinbeißen wollen – das sind die ersten Bilder von Claire Denis’ Science Fiction Drama High Life. Doch sofort wird dieser Ort des blühenden Lebens mit der lebensfeindlichen Atmosphäre eines verlassenen Raumschiffs kontrastiert – kahle und verlassen Gänge, steril und leblos. Von der Crew ist nur noch ein augenscheinlich erschöpfter junger Mann* übrig geblieben. Und ein Kleinkind.

© Pandora

Es ist eine merkwürdige, weil vollkommen unbekannte Figurenkonstellation, die wir dort antreffen. Männer* allein im All sind ein tradiertes Motiv, zu dessen jüngeren Beispielen Filme wie Moon oder Der Marsianer gehören. Dass Monte (Robert Pattinson) hier also einsam an seinem Raumschiff werkelt, ist nicht weiter verwunderlich. Das kleine Mädchen* an seiner Seite jedoch schon. Allein die Irritation über diese ersten Bilder sagen bereits eine Menge darüber aus, welche Ideen von Männlichkeit* das Kino uns normaler Weise zur Verfügung stellt und wie unglaublich festgelegt wir auf bestimmte Narrative sind. Angenommen es handelte sich bei der Hauptfigur um eine Frau*, würde uns dann die Anwesenheit des Kindes ebenso wundern?

So aber ist die große Frage, an der sich der Spannungsbogen des Films entlang hangelt, die nach der Herkunft der kleinen Willow (Scarlett Lindsey). Wie ist sie auf das Raumschiff gelangt? Wurde sie im All geboren? Ist Monte ihr leiblicher Vater? Und wo ist die dazugehörige Mutter? Kleine Flashbacks zu Szenen auf der Erde machen schließlich einem chronologisch erzählten Rückblick Platz, der die Ereignisse auf dem Raumschiff rekapituliert. Dabei haftet der Erzählung wie auch der Gesamtatmosphäre des Settings stets etwas Surreales, Verwirrendes an. Die Architektur des Raumschiffs bleibt bis zum Ende weitgehend unklar, die Beziehungen der verschiedenen Figuren erschließen sich nur teilweise. In unseren Versuchen, all dies zu durchdringen und zu verstehen, fühlen wir uns als Zuschauer_innen ein bisschen wie benebelt – genauso wie ein Großteil der Besatzung, dem die Bordärztin Dr. Dibs (Juliette Binoche) mit dem Trinkwasser Beruhigungsmittel verabreicht. Auch Claire Denis will uns ein bisschen betäuben. Sie vereitelt damit unsere Versuche, das Leinwandschauspiel logisch zu durchdringen zu dechiffrieren und zwingt uns dazu, ihm stattdessen mit allen Sinnen und Emotionen zu begegnen.

© Pandora

Bei der ursprünglichen Besatzung des Raumschiffs handelt es sich mehrheitlich um zum Tode oder zu lebenslangen Haftstrafen verurteilte Schwerbrecher_innen, die im Weltraum als Forschungsobjekte vermeintlich eine zweite Chance bekommen. Tatsächlich aber sind sie dort ebenso gefangen und entmündigt wie auf der Erde. Ohne Hoffnung auf Rückkehr befinden sich die Protagonist_innen wie auch der Film selbst in einem depressiven Stupor.

Doch es handelt sich hier nicht um ereignisarmes Kunstkino. Claire Denis gelingt es, ihrem Publikum in genau den richtigen Abständen die richtige Menge an Hinweisen zu geben, um die Spannung aufrechtzuerhalten und ein rätselhaftes Setting zu etablieren, das wir durchdringen und begreifen wollen, so vergeblich dieses Unterfangen auch scheinen mag. Durch die wohl dosierten Hinweise meinen wir immer wieder, die Ereignissen nachvollziehen und ihnen einen Sinn abringen zu können, nur um regelmäßig auf neue Rätsel und Ungereimtheiten zu stoßen. Worum nur geht es in High Life denn im Kern?

Es ist das Leben selbst, das hier im Zentrum der Geschichte steht, genauer gesagt die Entstehung von Leben, und somit auch die Sexualität der Protagonist_innen, die abgekoppelt von Intimität gelebt wird. Ein surrealer „Sexraum“ ermöglicht den einzelnen Passagier_innen transzendente Masturbationserfahrungen, doch zwischenmenschliche Nähe hat in der sterilen Welt des Raumschiffs und seiner Mission keinen Platz – eine Restriktion, die nicht ohne Folgen bleibt.

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Bei der Inszenierung von Sexualität und Begehren balanciert Regisseurin Claire Denis auf einem schmalen Grat zwischen Emanzipation und Objektifizierung. Dass ausgerechnet Dr. Dibs hier als Einzige sexuelles Lust ausagiert und dabei auch vor einer Vergewaltigung nicht zurückschreckt, bricht mit der stereotypen Rollenverteilung männlicher* Triebtäter und weiblicher* Opfer. Dass Juliette Binoche bei all dem aber auch die einzige bleibt, deren Körper Claire Denis wiederholt voyeuristisch in Szene setzt, unterminiert ihre zweifelhafte und somit komplexe Leinwandfigur auf bedauernswert sexistische Weise.

Physische Intimität findet in High Life im Grunde nur in Form von Gewalt statt, was dem Film gemeinsam mit der sterilen Atmosphäre eine irritierend lustfeindliche Botschaft verleiht. Steht hier das Fehlen körperlicher Intimität in der Kritik oder doch die Wollust als solche? Hebt High Life den mahnenden Zeigefinger gegen „unnatürliche“ Fortpflanzung, das „ernten“ von Menschen durch künstliche Befruchtung? Wurzelt hierin der zu Anfang etablierte Kontrast zwischen dem märchenhaften Garten und dem albtraumhaften Raumschiff? Wer die Naturgesetze bricht, der wird dafür bestraft – zitiert Monte eine Lebensweisheit seines Vaters. Doch welche Gesetze sind es, die hier von den Menschen verletzt wurden?

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Das große Problem beim Entschlüsseln oder doch zumindest Begreifen dieses Films ist das Fehlen jeglicher Alternative. Weder sexuelles Begehren, noch künstliche Befruchtung erscheinen hier in einem positiven Licht. Alle zur Verfügung stehenden Wege scheinen doch nur wieder in den Untergang zu führen. In High Life ist vom sprichwörtlichen lebensbejahenden Trubel, den der Begriff suggeriert, nichts, aber auch gar nichts zu spüren, als sei der Film eine einzige zweistündige verstörende Depression.

Am Enden bleiben zahlreiche Fragen – eine äußerst unbequeme Ratlosigkeit. Aber vielleicht ist das nicht per se etwas Schlechtes. Immerhin ist es ja gerade ein Merkmal guter Filme, dass sie noch lange in uns nachklingen.

Kinostart: 30. Mai 2019

Sophie Charlotte Rieger
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