Edie – Für Träume ist es nie zu spät – Ein Ausbruch aus der Aufopferung

Edie (Sheila Hancock) ist als Kind ein Wildfang. Mit ihrem Vater unternimmt sie Wanderungen und Campingausflüge, doch diese Abenteuer finden mit ihrer Hochzeit ein jähes Ende. Denn ihr Ehemann* mag weder den Vater, noch die Vorstellung einer unabhängigen Frau*. Ganz im Sinne gesellschaftlicher Erwartungen widmet Edie sich also aufopferungsvoll häuslichen und familiären Pflichten. Sucht sie doch einmal die Auseinandersetzung, erstickt der Mann* jede Debatte mit dem Hinweis auf Edies Verantwortung gegenüber dem gemeinsamen Kind im Keim. Aus Pflichtgefühl, nicht aus Zuneigung pflegt Edie ihren Mann*, der nach einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt, bis zu seinem Tod.

© Cape Wrath Films Ltd.

Als Edies Tocher Nancy (Wendy Morgan) all dies im Tagebuch ihrer Mutter liest, ist sie von ihr enttäuscht. Für sie scheint es ebenfalls selbstverständlich, dass eine Mutter* und Ehefrau* ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen hat. Nancy folgt damit einem etablierten Rollenbild, das Frau*sein mit Mütterlichkeit, Fürsorglichkeit und Häuslichkeit gleichsetzt. Regisseur Simon Hunter legt in seinem Film Edie – Für Träume ist es nie zu spät Erwartungen offen, die nach wie vor an Mütter* gerichtet werden, und gibt er seiner Hauptfigur zugleich die Möglichkeit der Emanzipation und Widerständigkeit.
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Denn nach dem Tod ihres Mannes* weigert sich Edie, die neu gewonnene Freiheit an der Rezeption des prunkvollen, aber piefigen Altersheims abzugeben, das Nancy für sie ausgesucht hat. Stattdessen will sich die frisch gebackene Witwe  ihren Traum erfüllen, den Suilven, einen Berg in Schottland, zu erklimmen. Fest entschlossen bricht sie also in Richtung Highlands auf, doch schon im Zug kommen ihr erste Zweifel, ob sie sich mit ihrem Abenteuer vielleicht übernommen hat.

© Cape Wrath Films Ltd.

Simon Hunter beweist in Edie – Für Träume ist es nie zu spät durchgehend eine hohe Sensibilität für die Selbstzweifel seiner Hauptfigur, die tatsächlichen Einschränkungen älterer Menschen und die Diskriminierungen, denen sie ausgesetzt sind. Immer wieder muss Edie sich selbst und anderen beweisen, dass sie trotz ihres Alters von 83 Jahren geistig und körperlich fit genug ist. Sheila Hancock, selbst 1933 geboren, verkörpert beeindruckend die Gefühlsregungen ihrer Figur zwischen Ärger, Scham, Entschlossenheit und Lebensfreude. Dabei fängt die  Kamera Edies Innenleben mit Nahaufnahmen von Augen und Händen ein und macht es zum Mittelpunkt des Films.

Die eigentliche Handlung tritt dahinter zurück, zumal sie wenig originell ist: Edie trifft in Schottland auf den sportlichen, jungen Jonny (Kevin Guthrie), der als Edies Bergführer zunächst sein Konto füllen möchte und ansonsten wenig für die alte, schrullige Frau* übrig hat. Die beiden nähern sich nach und nach an und werden Freund_innen. Trotz aller Widrigkeiten und dramatischen Kletterpartien in finsterem Unwetter, erklimmt Edie schließlich den Gipfel des Suilven. Ein Filmende so happy wie vorhersehbar.

© Cape Wrath Films Ltd.

Edie – Für Träume ist es nie zu spät ist dennoch ein absolut sehenswerter Wohlfühlfilm. Grund dafür sind neben der ausdrucksstarken, schauspielerischen Leistung Sheila Hancocks vor allem die Landschaftsaufnahmen in den schottischen Highlands, die sich durch karge Berge, viele Seen und Menschenleere auszeichnen. Auch wenn der Film wenig Tiefgang hat, erzählt er eine Geschichte von Selbstbestimmung und Empowerment, wenn Edie ihr Rentner_innenbeige gegen knallige Outdoor-Funktionskleidung tauscht und sich in hohem Alter entgegen aller Konventionen einen Lebenstraum verwirklicht.

Kinostart: 23. Mai 2019

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