Hail Satan?
“Nach Jahrhunderten des biblischen Patriarchats, des Völkermords und der Verbreitung von Rassismus und Homophobie, schulden wir unseren Unterdrückern Feindschaft, Gerechtigkeit und Zerstörung.” Sie fordern das “Ende repressiver Traditionen” und sehen sich in erster Linie als Aktivist:innen. Was hier das radikale und polemische feministische Herz höher schlagen lässt, kommt dabei aus einer ideologischen Ecke, die in vielen Unsicherheit hervorrufen dürfte: Dem Satanismus. Die Dokumentarfilmerin Penny Lane hat für ihren Film Hail Satan? Angehörige der in den USA offiziell als Kirche anerkannten Organisation des The Satanic Temple begleitet und ein heiteres Porträt der Organisation, ihrer Ansichten, Aktivitäten und vor allem des Gründers Lucien Greaves gezeichnet.
The Satanic Temple existiert seit 2013 und provoziert schon mindestens genauso lange. Die Anhänger:innen sind natürlich nicht wirklich Teufelsanbeter:innen. Sie glauben nicht an eine satanische Entität oder das Übernatürliche an sich. Sie verstehen sich viel mehr als Atheist:innen – “sie sind nicht anti-christlich, sie sind postchristlich, sie haben das Christentum überwunden und Satan mitgenommen”. Satan übernimmt in dieser Ideenwelt eine wichtige und symbolische Funktion. Er steht für den Widerstand gegen die Vorherrschaft der christlichen Kirchen, gegen ihren Einfluss auf die Gesellschaft und Politik und gegen die teilweise menschenverachtenden Ansichten und Gesetzgebungen, die mit diesem Einfluss einhergehen. Und noch viel ordinärer: Seine Heraufbeschwörung pisst genau den richtigen Leuten ans Bein. Denn obwohl den meisten der Interviewten des Films schon anzumerken ist, dass sie ihre politischen Überzeugungen – feministisch, weltoffen, liberal – ernst nehmen und sie bereit sind, dafür einzustehen, entbehrt dem ganzen satanistischen Image und der damit einhergehenden Ästhetik nicht auch ein gewisses zänkisches Augenzwinkern.
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Und das ist genau der Ton, den Penny Lane mit ihrer Doku trifft. Ohne Voice-Over oder anderer direkter Kommentierung, transportiert die Regisseurin durch ihren Stil der Montage und der Musik genau den Humor, der auch den Anhänger:innen des Satanic Temple zu eigen ist – pointiert, ironisch und bissig. Es ist sehr offensichtlich, dass die Dokumentarfilmerin selbst Sympathien für den Satanic Temple und seine Protagonist:innen hat und gleichzeitig evozieren will; das gelingt ihr spielerisch. Und warum auch nicht? Mit einem Blick auf die Projekte und Kampagnen, die teilweise in Hail Satan? gar nicht erwähnt werden, ist erkennbar, dass die Kirche eine klare und größtenteils unterstützenswerte Linie fährt. So setzen sie sich beispielsweise für reproduktive Rechte ein und versuchen mit rechtlichen Mitteln Abtreibungen in den US-Bundestaaten zu ermöglichen, in denen sie aufgrund tief christlicher Gesetzgebungen verboten sind. Oder sie bieten ihre Hilfe muslimischen Mitbürger:innen an, die unter rassistischen backlashes leiden. Ihr Aktivismus ist breit gefächert und vielfältig – der Film versäumt es leider etwas, dies auch darzustellen. Penny Lane konzentriert sich vor allem auf die konkreten Aktionen gegen erzkonservative Kirchen, wie den Protest gegen ein biblisches Monument vor einem staatlichen Gebäude.
Es ist eine individuelle Entscheidung, ob die sehr affirmative Porträtierung des Satanic Temple durch Penny Lane in Hail Satan? als ein dokumentarischer Mangel oder als ein couragiertes Eingestehen für progressive Werte zu sehen ist – der unkritische Tenor des Films ist jedoch auffällig. Dabei gäbe es definitiv Momente, in denen eine prüfende Nachfrage mehr als berechtigt gewesen wäre. Wenn beispielsweise der Konflikt zwischen Lucien Greaves und einer ehemaligen Anhängerin der Kirche, der Feministin Jex Blackmore, thematisiert wird. Diese musste die Organisation verlassen, weil sie durch einen provokativen Aufruf zum Mord anDonald Trump, die gewaltfreie Linie des Satanic Temple missachtet hat. Diese fehlende Toleranz für eine Grenzüberschreitung, die angesichts der Situation von Frauen in den USA eigentlich als entschuldbar gelten sollte, wirkt ob des provokativen Aktivismus der Kirche fragwürdig und wirft Fragen auf, die der Film nicht beantworten kann oder will.
Dass der Filmtitel als Frage formuliert ist, verspricht dementsprechend einen filmischen Ansatz, eine Distanz der Regisseurin, den und die Hail Satan? nicht einlösen kann. Penny Lane fragt nicht nach, sondern wirbt. Und sie wirbt natürlich für eine Organisation und für Ideen, die – vor allem in Europa – mehr Aufmerksamkeit verdient haben, denn ein europäisches Pendant zum Satanic Temple gibt es bisher leider noch nicht. Dabei sind regressive christliche Traditionen natürlich auch hier Katalysatoren hinter gesellschaftlichen Vorstellungen, Dynamiken und Regeln, die überwunden werden müssen. Und wenn es dafür ein bisschen satanistische Provokation benötigt, dann ist das halt so.
Der Film ist derzeit in der ZDF-Mediathek zu sehen.
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