FFMUC 2018: Alles ist gut

Es beginnt mit einer Party. Janne (Aenne Schwarz) lernt Martin (Hans Löw) kennen, sie trinken, lachen, stolpern nach Hause. Janne bietet Martin an, auf ihrer Couch zu übernachten. Doch Martin hat anderes im Sinn, will mit Janne schlafen. Die will das nicht, doch er bedrängt sie. Sie gibt nach. Dann geht er. Aber alles ist gut. Oder?

Janne geht zurück in ihren Alltag, wickelt mit ihrem Lebensgefährten Piet (Andreas Döhler) die Insolvenz des gemeinsamen Unternehmens ab und liebäugelt mit einer neuen Stelle. Piet ist wütend. Er möchte mit Janne aufs Land ziehen. Janne aber will den Job in der Stadt. Bei der Arbeit trifft sie den Schwager ihres neuen Chefs: Martin. Aber alles ist gut. Oder?

© Filmfest München 2018

Eva Trobisch erzählt in Alles ist gut die Geschichte einer Vergewaltigung und bleibt dabei der Perspektive ihrer Hauptfigur durchgehend treu. Als Zuschauer:innen sind wir stets ganz nah bei Janne, sehen nur was sie sieht, erleben nur was sie erlebt, verstehen nur, was sie versteht. Dennoch blicken wir ausgerechnet während des Tathergangs auf sie, statt durch ihre Augen auf den körperlich so überlegenen Martin, der auf die zierliche Janne bedrohlich wirken muss. Doch diesen Eindruck können wir nur vermuten.

Was folgt ist ein langsamer Prozess der Verdrängung, der Bewusstwerdung, der Wut und der Hilflosigkeit. Janne gelingt es nicht, sich ihren Vertrauenspersonen gegenüber zu öffnen. Scham spielt hier eine Schlüsselrolle, denn – wie sie ihrer Mutter einmal wütend entgegnet – sie könne sich doch wehren! Aber es ist eben doch nicht alles gut und die emotionale Schlinge zieht sich immer enger, bis Janne keine Handlungsoptionen mehr bleiben und sie mehr und mehr zum Opfer äußerer Umstände wird, die Kontrolle über ihr Leben verliert.

Eva Trobisch hält diese Abwärtsspirale ihrer Protagonistin nicht auf, sondern lässt Janne immer tiefer taumeln. Das Drehbuch bietet keine Alternative zur fortschreitenden Isolation, keinen Ausweg, keine Hilfe. Dabei spitzt sich das Drama primär von außen zu: Die Beziehungskrise mit Piet eskaliert ebenso wie die von Hilflosigkeit geprägten Gesprächsversuche Martins. Dabei lässt Trobisch ihren männlichen Figuren leider nicht genug Aufmerksamkeit zukommen, um ihre Handlungen nachvollziehbar zu gestalten. Einerseits bleibt sie damit der Perspektive von Janne treu, die nicht begreifen kann, was mit ihr und um sie herum geschieht. Andererseits reduziert Trobisch auf diese Weise die für die Handlung zentralen Männer auf bloße Abziehbilder und raubt der Geschichte Tiefe und Glaubwürdigkeit. Dass Janne dann zu allem Übel auch noch schwanger ist, wirkt schließlich wie ein einfallsloser Plotmotor, der das Drama auf die Spitze treibt.

© Filmfest München 2018

Martin, der sich seines Übergriffs bewusst ist, möchte helfen, es „wieder gut“ machen, doch weder er noch Janne wissen, wie das funktionieren könnte. Und bedauerlicher Weise kann auch Eva Trobisch hier keine Lösung anbieten, keine neuen Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, wie mit der Situation heilsam umgegangen werden könnte. Stattdessen kommt es nur immer schlimmer und schlimmer.

Dieses zentrale Drama der Hilflosigkeit aller Beteiligten gerät durch die Nebenhandlungen vorübergehend aus dem Fokus. Piet fühlt sich von Janne unverstanden und geht auf Distanz, Jannes Chef Robert (Tilo Nest) behauptet, von seiner Frau körperlich misshandelt zu werden… Und all das scheint wichtiger als Janne. Oder ist das wieder nur ihre Perspektive, ihr Verdrängungsmechanismus?

Zumindest der Subplot über Robert ist problematisch. Selbstredend ist auch durch Frauen ausgeübte körperliche Gewalt an Männern ein wichtiges Thema, dass filmisch aufgearbeitet werden sollte. Aber allein das Fass zu öffnen, ist für diese komplexe Angelegenheit nicht genug. Denn was will uns Trobisch hier eigentlich vermitteln? Dass der arrogante Chauvi Robert, der von seiner Partnerin nur in misogynen Klischees erzählen kann, eigentlich ein Opfer ist? Dieser Nebenstrang kann zur Haupthandlung eigentlich nur Verwirrung beitragen, weil die Unterscheidung zwischen Gewaltausübenden und Gewaltbetroffenen schwammig zu werden droht.

© Filmfest München 2018

„Was will uns die Künstlerin damit sagen?“ – das ist eine Frage, die sich mir noch immer stellt. Warum opfert Trobisch ihren starken Fokus auf Janne zu Gunsten von Subplots über nur oberflächlich ausgearbeitete Figuren? Und weshalb verfügt Janne eigentlich über keinerlei soziales Umfeld, keine Freund:innen, Kolleg:innen oder andere Menschen, an die sie sich vertrauensvoll wenden könnte? Und warum zeigt Trobisch ihre Hauptfigur so oft nackt?

Ich finde darauf nur eine Antwort: Die Regisseurin möchte zu viel erzählen und thematisieren und verliert darüber ihr eigentliches Thema aus dem Blick. Statt dem eindrücklichen und zunächst gelungenen Fokus auf Jannes Bewältigungsprozess treu zu bleiben, verstrickt sich Trobisch in zu vielen Nebenhandlungen, die ihrem Film letztlich die Kraft rauben. Das ist insbesondere angesichts des wichtigen Themas bedauerlich. Denn was zwischen Janne und Martin am Abend der Party passiert, ist ein Klassiker, eine Situation, in der sich viele Frauen im Laufe ihres Lebens wiederfinden und zugleich eine Form sexualisierter Gewalt, die in der Regel als solche in Frage gestellt wird; Warum hat sich Janne denn nicht stärker gewehrt? Warum macht sie denn am nächsten Tag einfach weiter als wäre nichts gewesen? Wie kann denn tatsächlich und nicht nur scheinbar „alles wieder gut“ werden?

All diese Fragen interessieren zumindest mich deutlich mehr als die Eheprobleme von Robert oder Piets Egozentrismus. Und das Alles ist gut sich diesem Diskurs verschließt, den der Film selbst aufmacht, kann ich nur enttäuschend nennen. Zumal die Anlagen da sind: die Bereitschaft sich auf die Perspektive der betroffenen Figur einzulassen, der Mut eine Abtreibung als legitime Handlungsoption filmisch zu erzählen (ein großes, großes Lob dafür!!). Doch es fehlt das aufrichtige Interesse an den männlichen Figuren und am gesellschaftlichen Kontext, an Alternativen zum Opfernarrativ und in gewisser Weise auch an Liebe zur Hauptfigur, deren Abwärtsspirale hier kein Ende zu nehmen scheint.

Alles ist gut? „Nein“, sagt der Film, „nichts ist gut.“

Und das ist mir zu wenig.

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)