FFMUC 2017: Western

Ein Trupp von Männern zieht in die Wildnis. Sie werden dort etwas bauen, die Natur nutzbar machen für ein Wasserkraftwerk. Der Held ist wortkarg, verschlossen. Er ist ein Sonderling, steht etwas außerhalb der kleinen, eingeschworenen Gesellschaft. Die Männer treffen auf Eingeborene, geraten mit ihnen aneinander. Der Held findet schließlich eine Ebene der Kommunikation mit den Fremden, wird vorübergehend einer von ihnen. Aber nicht ganz. Denn der Held ist einsam, muss einsam bleiben. Das Genre will es so.

© Filmfest München

Valeska Grisebach inszeniert mit Western einen eben solchen. Allerdings nicht im Wilden Westen der USA, sondern in Bulgarien nahe der Grenze zu Griechenland, in einer atemberaubenden Landschaft, mitten in der wilden Natur. Ihre Männer sind Handwerker, sie berlinern, sie klopfen Sprüche, auch gerne mit einer gehörigen Portion Misogynie. Aber irgendwie sind sie dennoch sympathisch, herzlich irgendwie, echt. Authentizität ist die große Stärke von Valeska Grisebachs Inszenierung. Das trifft nicht nur auf die Deutschen, sondern auch die bulgarische Dorfgemeinschaft zu, die sie inszeniert. Wir haben so viel Nähe zu den Figuren, dass wir dieselbe Hitze spüren, vielleicht sogar ihren Schweiß riechen können.

Wie immer im Western geht es um eine Frontier, um eine sich verschiebende Grenze, um das Erschließen eines rechtsfreien Raums, in dem eigene Regeln gelten. Aber wie immer ist das eine Lüge. Denn der Raum, den Grisebachs Männer betreten, ist nicht rechtsfrei und auch nicht wild. Er ist bewohnt. Er hat bereits Regeln. Regeln, die die Eindringlinge nicht respektieren, weil sie sich überlegen fühlen, es vorziehen, um sich selbst kreisen. Der „wilde Westen“, der hier von uns aus gesehen der „wilde Osten“ ist, ist in Western kein Ort der Selbsterfindung oder der Männlichkeitskonstruktion, sondern der Schauplatz eines kolonialen Konflikts, der – und auch das ist klassisch wie auch treffend – zuweilen auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wird.

© Filmfest München 2017

Die Arbeiter sind die Cowboys mit den schwarzen Hüten. Sie sind die Bösen, die Land nehmen und damit den „Eingeborenen“ die Überlebensgrundlage streitig machen. Sie sind getrieben von Profit, aber mehr noch von ihrer eigenen Unsicherheit. Wie in jedem guten Western darf auch die homoerotische Komponente nicht fehlen, Momente der subtilen Zärtlichkeit zwischen den Männern, die aber umgehend negiert und von stereotypem Männlichkeitsgehabe gebrochen wird, das sich durch seine Vehemenz selbst entlarvt.

Nur der introvertierte Meinhard (Meinhard Neumann) mag sich in dieses Spiel nicht einfügen. Er entflieht seiner Gruppe und sucht den Kontakt zu den Einheimischen, findet Wege der Kommunikation und Annäherung, die ihm eine Form der Gemeinschaft und Solidarität ermöglichen, die den deutschen Männern in diesem Setting fehlt. Zunächst wirkt dies ein wenig zu einfach. Schwarze und weiße Hüte, Deutsche und Bulgarier:innen, rüpelhafte Machos und empathische, wie auch empfindsame Dorfbewohner:innen. Doch so einfach, wie es Meinhard (und uns) anfänglich erscheint, ist es eben nicht. Die Flucht in die Wildnis ist und bleibt eine Flucht vor sich selbst, auch für Meinhard. Schließlich muss er erkennen, dass das Gras in Bulgarien nicht grüner ist als in Deutschland und dass der Weg zu mehr Authentizität und Nähe bei ihm selbst anfangen muss.

© Filmfest München

Die Perspektive der Regisseurin auf die von ihr inszenierte Männergemeinschaft ist eindeutig eine kritische, aber keine respektlose. Western überzeugt durch eben jenen Respekt gegenüber den „Anderen“, die den deutschen Arbeitern fehlt. Grisebachs Ansatz ist getragen von einem aufrichtigen Interesse an den Gruppen, die sie in den Blick nimmt. So bleibt Western ein subtiler Film, der trotz seines gesellschaftspolitischen Subtexts niemals belehrend wirkt. Und doch können wir eine Menge lernen, zum Beispiel über die Kommunikation ohne gemeinsame Sprache, über die Begegnung mit dem Unbekannten. Grisebach lädt uns ein, diese Welt, den „wilden Osten“ gemeinsam mit den Figuren zu erleben, und entspinnt ihre Geschichte immens natürlich und vornehmlich aus den Figuren heraus. Da gibt es keine konstruierten Dramen und somit auch keine taktisch gesetzten Höhepunkte, sondern nur Begegnungen und Ereignisse, die sich aus diesen Begegnungen ergeben und die wiederum zu neuen Begegnungen führen. So ist die Handlung in einem natürlichen Fluss, von dem wir uns mitreißen lassen, und der uns mit Leichtigkeit durch knappe zwei Stunden Laufzeit trägt, die unbemerkt vorbei plätschern.

© Filmfest München 2017

Am Ende gibt es keinen Ritt in den Sonnenuntergang, trotz aller Treue Grisebachs zu ihrem Genre. Aber sie findet ein anderes Bild für dieselbe Idee, für das Nicht-Ankommen, für das sich Verlieren. Meinhard bleibt allein, muss allein bleiben, weil er trotz aller Offenheit noch nicht begriffen hat, dass eine Auseinandersetzung mit „dem Anderen“ auch immer eine Auseinandersetzung mit ihm selbst bedeutet. Im Grunde inszeniert Valeska Grisebach einen aktuellen Diskurs über die Art und Weise, wie wir fremden Menschen und Kulturen begegnen, wie viel Unsicherheit und Angst hinter Aggressionen und Überheblichkeit stecken. Das gelingt ihr deshalb so subtil, weil sie den Kontext verändert, das „Andere“ nicht als Eindringling erzählt, sondern als ein Gegenüber in einem „freien“ Raum. Wie in seinen klassischen Anfängen dient der Western also auch hier dazu, einen aktuellen gesellschaftlichen Diskurs in einen anderen Kontext zu transferieren und damit zugänglich zu machen. Grisebachs Arbeiter im „wilden Osten“ könnten in der Heimat auch AfD-Wähler sein, Menschen, die aus ihrer eigenen Unsicherheit, der Angst vor dem Scheitern, da in die Verteidigung gehen, wo gar kein Angriff stattgefunden hat. Durch das Aussparen eben jenen politischen Diskurses und seine Übersetzung in eine andere Form der Begegnung mit dem „Anderen“, durch das Fehlen eines Mahnenden Zeigefingers also, ermöglicht Grisebach die kritische Auseinandersetzung der Zuschauenden mit sich selbst. Schade dass Western wohl nicht die Sorte Film ist, die sich „deutsche Handwerker auf Montage in Bulgarien“ nach Feierabend im Kino ansehen. Dann aber wieder ist Western eben kein Film mit einer politischer Agenda, sondern eine sensible und kluge Beobachtung des Status Quo und vor allem einfach ein ziemlich guter Film.

Kinostart: 24. August 2017

Sophie Charlotte Rieger
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