FFMUC 2017: Die göttliche Ordnung

Die Zeiten ändern sich: Sogenannte Frauen*themen sind plötzlich Stoffe für das Mainstreamkino und nach Sarah Gavrons Suffragette über das Frauen*wahlrecht in Großbritannien legt nun Petra Volpe mit Die göttliche Ordnung das Schweizer Pendant nach. Zunächst ist der Unterschied frappierend: Nicht nur dass Suffragette Anfang des 20. Jahrhunderts und damit etwa 70 Jahre vor Die göttliche Ordnung spielt, auch das Antlitz der beiden Filme ist grundverschieden. Wo die britische Version düster-realistisch wirkt, kommt der Schweizer Film beschwingt und ausnehmend hübsch daher – und bleibt gerade damit sich selbst treu. Bergpanoramen, Dorfidylle: Vielleicht ist Die göttliche Ordnung einfach ein Heimatfilm im positivsten Sinne.

Im Zentrum der Geschichte steht Nora (Marie Leuenberger), Mutter zweier Kinder, verheiratet mit Hans (Maximilian Simonischek) und eigentlich im Großen und Ganzen glücklich. Doch die Illusion der Zufriedenheit beginnt an verschiedenen Stellen zu bröckeln: Noras Nichte wird auf Grund ihrer Teenager-Rebellion erst in eine Erziehungsanstalt und schließlich gar ins Gefängnis gesteckt, die Rentnerin Vroni (Sibylle Brunner) steht nach dem Tod ihres Mannes* vollkommen mittellos da und auch Nora selbst kann auf Grund der Rechtslage ohne die Einverständnis von Hans keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Und während in der Heldin die Zweifel wachsen, ob sie nicht ebenfalls Entscheidungsgewalt verdiene, dringt die Frauen*bewegung langsam aber sicher auch in ihr idyllisches Dorf vor.

© Alamode

Die Stärke des Films von Petra Volpe, die übrigens auch das Drehbuch geschrieben hat, liegt in der Fairness ihrer Figurenaufstellung. Als Zentrum wählt sie eine Frau*, die insbesondere in ihrer Ehe eigentlich zufrieden ist, nicht unter häuslicher Gewalt oder ähnlich brutalen Ausformungen patriarchaler Strukturen leidet, sondern unter den subtilen Sexismen ihres familiären und gesellschaftlichen Systems. Damit bietet Nora eine große Identifikationsfläche für Zuschauende, denn Diskussionen darüber, ob männliche* Familienmitglieder nicht ebenso gut Teller abspülen könnten, ob eine erwerbstätige Mutter ihre Familie vernachlässigt und wer das letzte Wort in großen Entscheidungen hat, werden (leider) auch heute noch ähnlich oder gar genauso geführt.

An Noras Seite stehen die schon erwähnte Vroni, die bereits sehr selbstbestimmte Italienerin Graziella (Marta Zoffoli) und Noras Schwägerin Theresa (Rachel Braunschweig), die vor ihrem herrschsüchtigen und gewaltbereiten Ehemann flieht. Doch auch im Fall von Theresa, wie auch bezüglich der Ehe zwischen Nora und Hans, verzichtet Petra Volpe auf Dämonisierungen. Theresas Ehemann Werner (Nicholas Ofczarek) ist kein Unmensch, sondern trägt selbst schwer an der Last patriarchaler Strukturen. Mit Figuren wie dieser ermöglicht Die göttliche Ordnung auch einem cis-männlichen* Publikum den Zugang zur Geschichte und zeigt auf, dass Gleichberechtigung allen Menschen zu Gute kommt.

Am Anfang werden die einzelnen Stationen auf Noras Weg zu einer feministischen Überzeugung vielleicht etwas zu formelhaft abgearbeitet. Zu offensichtlich reiht sich hier ein beispielhafter Frust an den nächsten, wodurch Volpe die Sympathie ihres Publikums riskiert, das sich als für dumm verkauft oder doch zumindest aufdringlich belehrt fühlen könnte. Beschwichtigt aber werden die Zuschauenden anhaltend durch den liebevollen Humor, das wunderschöne Setting und die detailverliebte und kohärente 70er Jahre Ausstattung. Die göttliche Ordnung ist durch und durch ein vergnügliches und sehenswertes Kinoerlebnis, ein Film der Spaß macht, mitreißt und bezaubert.

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Und er bleibt nicht an der Oberfläche, sondern wagt Vorstöße in Diskurse abseits der zu Beginn des Films so formelhaft dargelegten: Die göttliche Ordnung zeigt nicht nur, dass Frauen* die gefährlichste Gegenwehr oft in den eigenen Reihen bekämpfen müssen (und auch woher diese Gegenwehr stammt), sondern ebenso die Bedeutung der weiblichen Sexualität für den emanzipatorischen Kampf, das Politische im Privaten. Auch damit schlägt Petra Volpe eine Brücke in die Gegenwart, hin zum zeitgenössischen sexpositiven Diskurs, der Frauen* ihr Begehren zurückgeben möchte und der auch beim diesjährigen Filmfest München, auf dem Die göttliche Ordnung seine Deutschlandpremiere feierte, spürbar präsent war. Zahlreiche Filme – Die Verführten, Clair Obscur, Tigermilch, um nur einige wenige zu nennen – stellen die aktive Sexualität ihrer Heldinnen ins Zentrum der Geschichte und generieren daraus eine Form des Empowerments. Bei Petra Volpe ist es die körperliche Selbsterfahrung und Freundschaft mit der eigenen Vulva, die für die Heldinnen der Geschichte den entscheidenden Grundstein für ihr folgendes Engagement legt. Wenn Nora, Theresa und Vroni in einem Yoni-Workshop mit einem Spiegel die eigenen Muschis bewundern, wirkt das – so entnehme ich das der Reaktion der Zuschauenden im Kino – vielleicht witzig. Tatsächlich aber zeigen Filme wie Vulva 3.0, dass die Entfremdung vom eigenen Sexualorgan kein Phänomen des 20. Jahrhunderts ist, sondern ein überaus deprimierender und auch schmerzlicher Teil der Gegenwart. „Ich habe einen Tiger zwischen meinen Beinen“, postuliert Nora schließlich gegenüber Hans und zieht daraus nicht nur die Stärke, ihrem Ehemann* entgegenzutreten, sondern auch eine für sich erfüllende Sexualität einzufordern.

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Die göttliche Ordnung ist schon jetzt unter den zehn erfolgreichsten Schweizer Filmen aller Zeiten. Mich persönlich überrascht das wenig, nicht nur weil Petra Volpe hier durchweg gelungene Kinounterhaltung bietet. Ich glaube vielmehr, dass Filme wie dieser einen Nerv treffen, nicht nur Trost über die eigenen Unterdrückungsmomente spenden, sondern vor allem Mut wecken. Filme wie Die göttliche Ordnung zeigen, dass Widerstand möglich ist, dass es sich zu kämpfen lohnt und dass selbst die aussichtslosesten Kämpfe gewonnen werden können. Geschichten wie diese aktivieren auf eine beflügelnde Art und Weise – und zwar jeden Menschen, unabhängig von Geschlecht und Lebenssituation.

Emanzipatorisch Wertvoll mit Sternchen!

Kinostart: 3. August 2017

Sophie Charlotte Rieger
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