Ein Film ist niemals nur ein Film – Mit Vielfalt aus dem Teufelskreis
Die (fehlende) Vielfalt in Filmen und Serien ist ein Teufelskreis. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist: Wo das eine das andere bedingt, können kleine Veränderungen eine große Wirkung auf das gesamte System haben. Herzlich Willkommen zu einer Reise durch den “ismus”-Teufelskreis von Film und Gesellschaft – inklusive Notausstieg.
Wer macht Filme über wen?
Wer Filme macht, hat eine n direkten Einfluss auf die Vielfalt der Figuren. Die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Elizabeth Prommer an der Universität Rostock konnte nachweisen, dass je mehr Frauen in den Gewerken Regie, Drehbuch und Produktion an einem Film beteiligt sind, desto mehr Protagonistinnen tauchen in diesen Filmen auf (anbei: In der Forschung zu geschlechtlicher Vielfalt im Film finden wir meist immer noch ein binäres Geschlechterverständnis und keine Zahlen zu trans, inter und nicht binären Personen).
Es ist naheliegend, dass die Zusammensetzung des Filmteams auch einen Einfluss darauf hat, wie stereotyp einzelne Personengruppen dargestellt werden. Denn wenn ich selbst nicht zu einer Gruppe gehöre, greife ich in meinem kreativen Prozess stärker auf (unbewusste) Vorurteile zurück als ich dies bei einer Geschichte täte, in der ich mich und mein soziales Umfeld wiederfinden kann. Dass im Zuge der Studie Vielfalt im Film die befragten Filmschaffenden zu 87,5% der Meinung waren, dass beispielsweise arabische Figuren klischeehaft dargestellt werden, steht also mit Sicherheit im Zusammenhang damit, wer in Deutschland Filme machen kann: Vornehmlich weiße männlich gelesen Personen ohne Migrationsgeschichte. Aber Achtung: Klischees und Vorurteile sind oft internalisiert und werden auch von betroffenen Personen reproduziert. Doch dazu später mehr.
Wir halten fest: Wer einen Film macht, hat einen Einfluss darauf, wer in einem Film wie zu sehen ist.
Was machen Filme mit uns?
Das Geena Davis Institute on Gender in Media (aber nicht nur das) hat nachweisen können, dass der Konsum von filmischen Inhalten einen starken Einfluss auf unser Selbstbild hat. So entstand auch der Slogan „If she can see it, she can be it“, bei der es vor allem um Berufsbilder geht: Wenn Mädchen in Filmen nur Prinzessinnen und Mütter als Identifikationsfiguren angeboten bekomme, wie sollen sie dann eine Vision von mir selbst als Wissenschaftlerin, Geheimagentin oder KFZ-Mechanikerin entwickeln? In vielen Studien hat das Geena Davis Institute den Zusammenhang zwischen filmischen Inhalten und gesellschaftlichen Phänomenen immer wieder nachgewiesen, darunter beispielsweise eine Anmeldungswelle junger Frauen in Bogenschießvereinen als die Filme Merida – Legen der Highlands und Die Tribute von Panem in den Kinos anliefen. Oder auch den Scully-Effekt, also den Einfluss der Akte X Figur Dana Scully auf die Entscheidung für Berufe in Wissenschaft, Technik und Forschung. Auch die Sozialpsycholog:innen Mahzarin R. Banaji und Anthony R. Greenwald schlüsseln in ihrem Buch Blindspot auf, wie Medien jene unbewussten Vorurteile nähren, die unsere Wahrnehmung von Menschen und ergo auch unseren Umgang miteinander beeinflussen. Sie kommen sogar zu dem Schluss das die stetigen Wiederholungen von Stereotypen und Klischees in den Medien – also nicht nur Filmen, sondern alles was wir medial konsumieren, von Zeitungsnachrichten über Quizshows und Handyspielen bis hin zu Popmusik) als die Hauptursache für unsere unbewussten Vorurteile anzunehmen sind. Übrigens haben Sie auch einen Test entwickelt, mit dem Menschen sich selbst auf unbewusste Vorurteile testen können. Den gibt es auch kostenlos im Internet in verschiedenen Sprachen.
Wir halten also fest: Stereotypen und Klischees übertragen sich aus dem Medium Film in die Gesellschaft, unser Selbstbild und den Umgang miteinander.
Wer schreibt was über Filme?
Diese unbewussten Vorurteile, von denen wir nun wissen, dass sie ihren Ursprung vor allem im Medienkonsum haben, haben einen Einfluss darauf, wer was in die (Film)Geschichte einschreibt und welche Personen oder Werke als relevant gelten. In einer patriarchalen und sexistisch strukturierten Gesellschaft beispielsweise wird die Geschichte von Männern über Männer geschrieben. (Zum Thema „Sexismus in der Filmkritik“ haben wir bei FILMLÖWIN mal einen empfehlenswerten Podcast aufgenommen) Das liegt unter anderem daran, dass Männer als Wissenschaftler und Autoren ernster genommen werden, dass sie weniger Sorgeverantwortung tragen und höhere Gehälter bekommen. Auch heute noch denken Menschen beim Beruf „Filmkritik“ vor allem an alte weiße Männer und nicht an junge FLINTA. Und werfen wir einen Blick in Bücher über Filmgeschichte und entsprechende Curricula an Hochschulen, müssen wir FLINTA mit der Lupe suchen.
Wir halten also fest: Die Struktur einer Gesellschaft bestimmt darüber, wer auf welche (Film)Geschichte schreibt.
Wer oder was ist Kult?
Die nächste Konsequenz ist überaus logisch: Wenn in der Filmgeschichte ausschließlich Männer und ihre Werke auftauchen, so formt sich eine rein männlich geprägte Idee vom künstlerischen (Film)Genie, auch Filmauteur genannt – ein Begriff, den wir in seiner weiblichen oder neutralen Form in der Regel vergeblich suchen. Auch heute noch werden Filme ausgesprochen selten über den Namen der Regisseurin beworben, sehr häufig aber über den Namen ihres Regisseurs: Der neue Film von… Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich in Auflistungen von Kultfilmen in der Regel Filme von cis Männern über cis Männer finden (auch dazu haben wir einen Podcast gemacht).
Wir halten fest: Wenn Filmgeschichte von Männern über Männer geschrieben wird, folgt daraus eine gesamtgesellschaftliche Idee vom männlichen Auteur und seinem Kultfilm.
Schließlich bestimmt unsere Vorstellung davon, wer Filmkunst und Filmkult erschafft, natürlich welche Person mit welchem Budget einen Film produzieren kann – beispielsweise in der Filmförderung und bei der Besetzung von Schlüsselpositionen eines Filmteams durch die Produktion. Und an dieser Stelle beißt sich die Schlange nun in den Schwanz und der Teufelskreis ist komplett. Das patriarchale System erhält sich selbst und das Kino ist ein entscheidender Teil davon.
Die Lösung des Problems – Raus aus dem Teufelskreis
Die gute Nachricht ist, dass an jedem dieser Rädchen gedreht werden kann – und auch gedreht wird! Vereinigungen wie Pro Quote Film kämpfen z.B. für mehr Vielfalt in künstlerischen Schlüsselpositionen. Ich selbst, berate Filmschaffende dazu, wie sie ihre Geschichten klischeefreier und vielfältiger erzählen können. Das machen natürlich auch andere Leute, wie z.B. das Büro für Vielfältiges Erzählen und alle Menschen, die Sensitivity Readings anbieten. Auf rein gesellschaftlicher Ebene bemühen sich Aktivist:innen um Gleichberechtigung in allen Bereichen des Lebens und mit Blick auf die verschiedensten Formen von Diskriminierung. Webseiten wie FILMLÖWIN und Zeitschriften wie Frauen und Film und viele weitere vergleichbare Projekte stellen das Filmschaffen von FLINTA in den Fokus und fördern eine Filmgeschichtsschreibung jenseits von weißer cis Männlichkeit. Damit verändern wir auch die Vorstellung davon, wer Filmkunst und Kult erschafft und tragen somit dazu bei, dass FLINTA mehr Förderung für ihre Film erhalten und häufiger für groß budgetierten Projekten engagiert werden.
Was Du tun kannst
Und auch Du kannst an all diesen Rädchen drehen, Vereine wie Pro Quote Film unterstützen, als filmschaffende Person mit Hilfe von Coaching und Sensitivity Reading Deine Werke vielfältiger gestalten, Dich in einer der vielen Initiativen für ein gerechtes gesellschaftliches Miteinander engagieren, als cis männlicher Autor die Bühne öfter mal FLINTA überlassen bzw. als Autor:in bewusst FLINTA und ihre Werke in den Blick nehmen oder als Leser:in Projekte unterstützen, die das tun. Zum Beispiel uns.
Denn ein Film ist niemals nur ein Film. Ein Film ist immer auch Teil eines Kreislaufs aus Vorurteilen und Ungerechtigkeit, den wir gemeinsam durchbrechen können.
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