DVD: Fucking Berlin – Mehr Skandal als Verstand
Es ist eine dieser schönen Skandalgeschichten: Studentin prostituiert sich. Obwohl sie klug ist! Was ist nur aus unserer Gesellschaft geworden, wenn junge, gebildete Frauen* derartiges tun müssen, um zu überleben?? Ich warte übrigens noch auf einen neuen Bestseller, in dem sich eine Kulturjournalistin zur Prostitution bekennt. Und dann wieder alle: Was? Obwohl sie so klug ist! Was ist nur aus unserer Gesellschaft geworden…
An dieser Stelle ließe sich herrlich über die Scheinheiligkeit einer Skandalisierung diskutieren, die mit einer einzigartigen Gleichgültigkeit gegenüber Studienreformen und dem Abrutschen von Kulturjournalist_innen ins Präkariat einhergeht. Aber das ist ein anderes Thema, über dass ich mich ein anderes Mal an anderer Stelle echauffieren werde.
Fucking Berlin, die Verfilmung des autobiographischen Bestsellers von Sonia Rossi durch Regisseur Florian Gottschick badet nach allen Regeln der Kunst im künstlichen Skandal. Sex sells, insbesondere, wenn es um niedliche Mathestudentinnen wie Sonja (Svenja Jung) geht. Für das Studium kommt das Unschuldslamm nach Berlin, verknallt sich in den falschen Mann und landet in der Prostitution – so die Handlung in Kürze. Was zuerst irgendwie noch ganz witzig ist, weil die Freier ja alle so lustige Fetische haben, wendet sich dann urplötzlich zum Albtraum. Und am Ende ist Sonja dann um eine Lektion des Lebens reicher, denn wie uns die kleine Texttafel vor dem Abspann verrät, ist die echte Sonia Rossi inzwischen zweifache Mutter und geht einem braven Beruf mit sozialer Verantwortung nach. Auch aus Nutten kann also noch etwas werden.
Das war so überhaupt nicht die Botschaft, die ich mir beim Lesen der Inhaltsangabe versprochen hatte. Fucking Berlin, und ich kann hier nur für den Film sprechen, handelt das Thema Sexarbeit derart oberflächlich ab, dass nur völlig verdrehte, weil künstliche Bilder entstehen können – im Positiven wie im Negativen. Als Sonja in das freundliche Wohnungsbordell einsteigt, zeigt der Film ausschließlich unterhaltsame Einblicke in ihr Prostituiertendasein. Selbstzweifel, Ängste oder gar Ekel gibt es nicht. Dennoch beginnt Sonjas Voice Over Stimme nach dem ersten Geschlechtsverkehr mit einem Freier nicht mehr von sich selbst, sondern von ihrem Alter Ego Mascha in der dritten Person zu sprechen. Ergo: Geschlechtsverkehr mit Freiern muss wohl schlecht sein.
Die radikale Wende geschieht dann mit dem Verkauf des Wohnungsbordells an einen Zuhälter. In einer viel zu kurzen Sequenz erklärt dieser den Huren das neue Konzept des Etablissements. Sonja merkt an, dass dies illegal sei, doch was genau illegal ist, erfahren wir nicht. Stattdessen werden wir Zeug_innen einer unappetitlichen Gang Bang Szene, auf deren Höhepunkt sich Sonja übergibt. Schnitt: Die geschundene Sonja mit verschmiertem Make Up im Badezimmer.
Sonja kommt zur Prostitution wie die Jungfrau zum Kinde und genauso wird sie diese auch wieder los. Feministische Gesellschaftsdiskurse wären ja auch viel zu anstrengend und langweilig für diese unheimlich gewollt jugendlich-poppige Inszenierung. Warum auch Sexarbeit genauso langweilig zeigen wie jede andere Arbeit: mit guten und schlechten Seiten? Warum für Zuschauer_innen transparent machen, was der Unterschied zwischen einem selbstorganisierten Wohnungsbordell und einem Laufhaus ist? Warum einen Diskurs darüber inszenieren, dass gesellschaftliche Ächtung des Berufsstandes sowie Sexismus maßgeblich zur Krise der Heldin beitragen? Warum neben den altbekannten Berlin-Bildern, Clubszenen und Mauerparkpanoramen auch noch eine bildende Botschaft vermitteln? Braucht doch kein Mensch…
Doch! Genau das brauchen die Menschen. Und zwar alle. Es ist nichts Verwerfliches an Sonjas Entscheidung, ihren Lebensunterhalt mit Prostitution zu verdienen. Verwerflich ist vielleicht, dass sie dies ursprünglich nicht für sich selbst, sondern für einen Mann* tut, der ihr Geld verprasst und selbst auf der faulen Haut liegt. Verwerflich ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Mann*, selbst ehemaliger Stricher, Sonja verlässt, sobald er von ihrem geheimen Doppelleben erfährt. Und verwerflich ist mit Sicherheit, dass ihre beste Freundin wegen einer kleinen Eifersuchtsgeschichte den gesamten Studiengang informiert und damit für eine allgemeine Ächtung Sonjas sorgt. Was aber bei den Zuschauer_innen hängen bleibt, sind nicht Zweifel an einer gesellschaftlichen Doppelmoral oder Überlegungen zum alleinigen Recht der Frau* über ihren Körper, sondern das Bild der armen kotzenden Nutte beim Gang Bang. „Gang Bang schlecht“, diese Botschaft spiegelt die infenitesimale Tiefe dieses Films wider.
Sonjas Freundin übrigens hat alles richtig gemacht. Die darf am Ende mit ihrem braven neuen Freund romantisch am Fenster kuscheln – in original derselben Szene, mit der uns schon Bang Gang vermittelte, welchen Weg junge Frauen einzuschlagen haben. Statt seine Heldin zu ermächtigen und damit auch Zuschauer_innen Freiheit und Mut zuzusprechen, hebt Fucking Berlin damit am Ende noch einmal den moralischen Zeigefinger und sorgt statt für Empowerment und Aufbruchsstimmung für ein schlechtes Gewissen. Zumindest bei all jenen, die nicht verheiratet sind, zwei Kinder haben und einem braven Job mit sozialer Verantwortung nachgehen.
Fazit: Lieber noch mal Sexarbeiterin gucken.
DVD-Start: 6. Oktober 2016
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