DVD: Fassbinder

© goodmovies

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Was macht ein Film über Rainer Werner Fassbinder bei der FILMLÖWIN? Hier handelt es sich doch eindeutig um einen Regisseur und keine Filmfrau!

Stimmt. Doch bei dem Dokumentarfilm Fassbinder handelt es sich um den Blick einer Regisseurin auf den legendären Kollegen: Annekatrin Hendel rekonstruiert das Wirken und Schaffen eines der berühmtesten deutschen Filmemachers überhaupt in all seinen Facetten. Im Genie wie im Wahnsinn.

Zunächst wirkt Hendels Inszenierung zugleich rätselhaft wie auch einfallslos. Interviews, Archivmaterial, Tonaufnahmen werden wie es sich gehört zu einem Bild montiert. Die Unterlegung der Kapitelüberschriften mit Rammstein wirkt eher befremdlich als originell. Doch so simpel und tradiert, wie Hendels Film zu Beginn noch wirkt, ist Fassbinder schließlich doch nicht. Das Versprechen großer Dynamik, das der Trailer (siehe unten) transportiert, wird jedenfalls nicht eingelöst.

Zugegeben: Zur Rammstein-Musik fällt mir immer noch nichts Kluges ein, bildet sie doch einen schwer zu dechiffrierenden Anachronismus. Die Interviewsequenzen aber entpuppen sich schließlich als ungewöhnlich intim. Annekatrin Hendel trifft ihre Gesprächspartner_innen in einem beruflichen oder privaten Umfeld, in einem Setting also, in dem sich die Freund_innen und Mitstreiter_innen Fassbinders wohl fühlen. Dabei werden bedingt vorzeigbare Zimmer im Hintergrund oder unpassende Nebengeräusche bereitwillig der Authentizität dieser Passagen geopfert. Sogar zwei Hunde dürfen unter einem Tisch kurz zu knurren anfangen. Und Hanna Schygulla fertigt während ihres gesamten Interviews unterschiedliche Portraits des titelgebenden Protagonisten an.

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So authentisch wie die Settings sind auch die Ausführungen der verschiedenen Personen. Lobgesang steht neben offener Kritik, Worte wie „furchtbar“ und „toll“ reihen sich direkt aneinander. Rainer Werner Fassbinder war, daran besteht spätestens nach Hendels Film kein Zweifel mehr, eine ebenso geniale, wie auch schwierige Person.

Für ihr Portrait konzentriert sich die Regisseurin hier ganz auf Fassbinders Schaffensperiode. Über seine Kindheit und Jugend erfahren die Zuschauer_innen nur wenig und auch nur dann, wenn diese Epoche aus Fassbinders Leben für sein Werk von Bedeutung ist.

In ihrem Film führt Annekatrin Hendel ihr Publikum chronologisch durch Fassbinders Werke. Auf jeden Film einzugehen ist in Anbetracht des Umfangs dieses Oeuvres nicht möglich und so beschränkt sich Hendel auf Meilensteine wie auch auf Filme, die besonders stark das Leben und Fühlen ihres Regisseurs widerspiegeln. Zudem entleiht sie zuweilen Bildmaterial aus Fassbinders Filmen, um die Erzählungen ihrer Interviewpartner_innen zu illustrieren. So entsteht eine besonders enge Verknüpfung zwischen dem Leben und Wirken Fassbinders, die wiederum große Neugier auf seine Filme weckt.

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Nicht zuletzt weisen Filmausschnitte und Berichte von Mitwirkenden deutlich auf eine Vielzahl spannender Frauenfiguren in Rainer Werner Fassinders Filmen hin. Die Erotisierung männlicher Körper wiederum bricht mit dem männlichen Blick. Wieder einmal stellt sich bei mir neben Freude und Interesse auch Wehmut ein. Wie auch im Falle von Ula Stöckls Neun Leben hat die Katze, zeigt das Werk Fassbinders auf frappierende Weise, dass der deutsche Film hinsichtlich seiner Geschlechterkonstruktionen schon einmal deutlich weiter war als heutzutage.

Am Ende von Annekatrin Hendels Dokumentarfilm stehen Neugier und Trauer. Neugier auf Fassbinders Filme, auf seine Persönlichkeit, auf diese hypnotische Mischung aus Narzissmus und künstlerischem Genie. Trauer über sein frühes Ableben, über seinen spürbaren Burn-Out und den anschließenden Drogentod. Denn trotz all der deutlichen Kritik, die der Film durch die Interviewten transportiert, ist Rainer Werner Fassbinder am Ende vor allem eins: faszinierend.

https://youtu.be/bSRCnAZtP8k

Sophie Charlotte Rieger
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