Die Rüden

Alle Jubeljahre erscheint ein Film der sich traut, unkonventionelle Ideen radikal konsequent umzusetzen, ohne sich auch nur ansatzweise den Normen des ordinären Erzählkinos zu beugen. Die Rüden von Connie Walther ist einer dieser Filme. Mit viel Authentizität, handwerklicher Finesse und eindringlicher Atmosphäre lädt das deutsche Kammerspiel zu einem narrativen und ästhetischen Experiment ein, welches versucht die Abgründe toxischer Männlichkeit zu erforschen. 

Einen “prozessorientierten Ansatz” nennt ein administrativer Mitarbeiter der Strafvollzugsanstalt, in der Die Rüden spielt, die therapeutische Idee der Hundetrainerin Lu (Nadin Matthews). Sie möchte vier gewalttätige Straftäter in einem 7-tägigen Prozess mit drei aggressiven und unvermittelbaren Hunden konfrontieren. Ziel dieses Experiments soll es sein, die Hunde durch die vier Männer erziehen zu lassen, doch offensichtlich geht es sowohl Lu als auch dem Film darum, die Gründe und Dynamiken des aggressiven und destruktiven Verhaltens der Straftäter offenzulegen. Zur Verfügung steht dafür ein puristischer, dunkler Betonkäfig ohne Einrichtung, der im Laufe des Films zu einer Erlebnisfläche der Zermürbung und Selbsterkenntnis für alle Beteiligten des Experiments wird. 

©2017 TOM TRAMBOW

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Die zentralen Rollen des Films sind nicht durch Schauspieler:innen besetzt. Nadin Matthews ist auch im echten Leben erfolgreiche Hundetrainerin und hat das Konzept des Films entwickelt. Die vier Insassen werden durch verurteilte Straftäter verkörpert – Ibrahim Al-Khalil spielt Alihan Jabir, Konstantin-Philippe Benedikt spielt Volker Brandt, Ali Khalil spielt Adam Najar und Marcel Andreé spielt Lukas Wachowiak. Laiendarsteller:innen sind natürlich immer ein Risiko für eine Kunstform wie den Film. Wie wirken sie sich auf die schauspielerische Intensität, auf das immersive Potenzial und die Qualität der Geschichte aus? Gerade für einen Film wie Die Rüden, dessen minimalistische Inszenierung die Figuren und ihr Handeln verstärkt in den Fokus rückt, stellt dieses Casting ein mutiges Wagnis dar. Und das Wagnis zahlt sich aus, denn der Film zehrt massiv von der Expressivität seiner Hauptfiguren, deren Authentizität nicht in einer lupenreinen Verkörperung geschriebener Rollen liegt, sondern in der Möglichkeit ihre eigene Identität – zwar drehbuchgerecht – vor der Kamera zu entfalten. 

Und gerade diese Expressivität ist es, die die Wirkung des Films maßgeblich bestimmt. Nadine Matthews schafft es, ihre ruhige und trotzdem autoritäre Art perfekt in ihre Rolle einfließen zu lassen. Doch vor allem die vier Hauptdarsteller sorgen mit ihrem unangenehm aggressiven und toxisch-männlichen Habitus dafür, dass Die Rüden kein Film ist, der Spaß macht. Im Zusammenspiel der Hunde, die oft und plötzlich in lautes Bellen und Angriffgesten explodieren, und der Männer, die sich zunächst ihrer ansozialisierten Gewälttätigkeit und Härte ergeben, zeigt der Film schonungslos, wie problematisch und schwer erträglich toxisch-männliches Verhalten ist. Gewaltgebärden, Rumgeschreie, aggressive Raumnahme  – die Straftäter finden in den Hunden Spiegel ihrer selbst und Die Rüden positioniert sich als Spiegel einer Gesellschaft, die solche Verhaltensweisen akzeptiert. 

©2017 TOM TRAMBOW

Doch leider strandet der Film an dieser Stelle und schafft es nicht über diesen Präsentationscharakter hinaus zu kommen. Während des Prozesses, den Lu, die Männer und die Hunde durchleben werden zwar viele Fragen gestellt, aber kaum welche beantwortet. Fortschritte im Verhältnis zwischen Mensch und Tier und somit auch in der Überwindung des toxischen Habitus sind schwer bis gar nicht erkennbar und die Positionen, die der Film einzunehmen versucht, bleiben dadurch vage. An den realen Manifestationen toxischer Männlichkeit drohen Gesellschaften, Beziehungen und Progressivität tagtäglich zu zerbrechen – und auch Die Rüden scheitert daran dieses komplexe Konzept zu durchdringen.

Es wirkt, als hätte sich der Film mit seinem psychologischen Ansatz zu viel vorgenommen. Vor Allem die Geschehnisse außerhalb der Therapie-Szenen wirken dadurch deplatziert und verzichtbar. Hier sehen die Zuschauer:innen Lu, wie sie ohne Erklärung die Nächte im Betonkäfig verbringt, um dort mit einem Engel zu kämpfen. Sie sehen das dystopische Setting, in dem nur das Gefängnis und nichts als Leere existiert, in die Lu nach der Handlung zurückkehrt. Der Diskurs um toxische Männlichkeit wird dadurch an die Seite gedrängt. Eine sinnvolle Verknüpfung dieser ästhetisch zwar beeindruckenden Bildsprache und seinem experimentellen, narrativen Konzept bietet der Film nicht an. Stattdessen verrennt er sich in biblisch-apokalyptischer Symbolik und den Andeutungen von Fragen über den Gut-Böse-Dualismus. 

©2017 TOM TRAMBOW

Zweifelsohne ist Connie Walthers Film ein Erlebnis. Das interessante Konzept und die intensiven darstellerischen Leistungen machen ihn durchaus sehenswert und verlangen den Zuschauenden einiges ab. Nicht zuletzt dient der Film auch konkret einem guten Zweck; an ihn geknüpft ist ein Spendenaufruf für das Hundezentrum Mittelfranken, in dem zwei der drei Hunde aus dem Film leben. Dies alles kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film an seinem eigenen Anspruch scheitert. Statt psychologisch und feministisch wertvolle Ansätze über problematische Männlichkeitskonzepte und ihre Auswüchse zu liefern, tritt er mit seiner Gegenüberstellung von Hund und Mann auf der Stelle. Statt ein “Sprengsatz für ein System” und eine “eindrückliche, wie verstörende Reise zum Mittelpunkt der Menschlichkeit” zu sein, wie er beworben wird, ist Die Rüden mehr ein noch nicht ganz ausgearbeitetes Exposé für eine Abhandlung, die mitten im Text den Faden verliert.

Kinostart: 20.08.2020

 

Sophie Brakemeier