Von Frauen auf der Leinwand und vor der Leinwand – Ein Rückblick auf das Braunschweig International Film Festival

TW: Suizid

 

Die Schieflage bleibt: Eine erst kürzlich veröffentlichte Studie der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle zeigt, dass die Schlüsselrollen des europäischen Filmschaffens immer noch hauptsächlich von Männern besetzt sind. Frauen machen nur ein Viertel der Regiepositionen aus, stehen nur bei einem Zehntel der Filme hinter der Kamera und sind bei knapp einem Drittel der Langfilmproduktionen als Produzentinnen tätig. Männer bekommen mehr Filmförderung, ihre Filme haben ein höheres Budget und kommen öfter in die Kinos, hat die Studie “Ausgeblendet – Frauen im deutschen Film und Fernsehen” von Elizabeth Prommer und Christine Linke ergeben. Und das obwohl Filme von Frauen tendenziell öfter und erfolgreicher auf Festivals laufen. Und inhaltlich? Die männlich dominierten Filmproduktionen verlassen sich immer noch zum großen Teil auf sexistische Narrative, klischeebeladene Charakterzeichnungen und eine patriarchal geprägte Filmsprache. Adressiert wird dieser Missstand oft, aber nicht oft genug. Entwicklungen sind erkennbar, aber behäbig – und werden nicht selten auch aktiv bekämpft, um den für Männer profitablen Status Quo aufrechtzuerhalten.___STEADY_PAYWALL___

Das vom 7. – 13. November abgehaltene Braunschweig International Filmfestival lief in diesem Jahr zum 36. Mal. Seit 2019 verleiht das Festival aus der niedersächsischen Großstadt neben einem queeren Filmpreis außerdem den Frauenfilmpreis “Die TILDA”, der mit 5.000 EUR dotiert ist und noch nicht etablierte Filmemacherinnen für eine hervorragende Regiearbeit auszeichnen soll. Die nominierten Filme setzen sich aus einer eigens kuratierten Auswahl aus den Filmen der verschiedenen Sektionen des Festivals zusammen und bilden eine abwechslungsreiche und internationale Bandbreite erstklassigen Filmschaffens ab. 

PINK MOON // © Braunschweig International Filmfestival / Kris DeWitte

Die Diversität des Filmschaffens, der im Wettbewerb um die TILDA auf dem Braunschweig International Film Festival abgebildet ist, erstreckt sich dabei über thematische Interessen, formelle Herangehensweisen, ästhetische Ideen und nationale Schwerpunkte. Preisträgerin im Jahr ist die niederländische Regisseurin Floor van der Meulen mit ihrem Film Pink Moon. Der Film, dessen von Leichtigkeit getragene Inszenierung nicht darüber hinwegtäuscht, dass er ein sehr ernstes Thema behandelt, erzählt von Iris (Julia Akkermans) ab dem Moment, an dem ihr Vater ihr und der ganzen Familie verkündet, er würde gerne an seinem nächsten Geburtstag selbstbestimmt aus dem Leben scheiden wollen. Ein Prozess des Klar-Kommens, quasi ein ausgelagerter Durchgang der fünf Phasen des Sterbens beginnt dabei auch für Iris, die mit Unverständnis, Wut und vielerlei anderen Gefühlen durch die anstehende Zeit geht, in der sie ihren Vater in seinem letzten Jahr begleitet. Floor van der Meulen hat den Preis redlich verdient, denn sie hat mit Pink Moon, ihrem ersten Langspielfilm, eine perfekte Balance zwischen einer sehr persönlichen Erzählung und einem gesellschaftlich relevanten, wenn auch nicht oft angefassten, Thema geschaffen.

Mit Quake von der isländischen Regisseurin Tinna Hrafnsdóttir war ein Film nominiert, der einen ähnlichen Ansatz der Verbindung einer rein persönlichen Geschichte mit einer gesellschaftlichen Fragestellung verfolgte. Die Mutter Saga (Anita Briem) kämpft hier nach einem Gedächtnisverlust gegen die Mechanismen des Staates und ihres Umfelds, die sie das Sorgerecht für ihren Sohn kosten könnte. Es ist eine schmerzhafte Erzählung, die nicht nur in das herausfordernde Leben einer alleinerziehenden Mutter greift, sondern auch in Sagas Vergangenheit und die Frage, was unbehandelte Traumata mit einem Menschen anrichten können.   

PIAFFE // © Braunschweig International Filmfestival

Weniger klassisches Erzählkino fand sich unter anderem in Piaffe der israelischen Filmschaffenden Ann Oren. Der avantgardistische Langfilm brachte nicht nur thematische eine willkommen queere, gar posthumanistische, Würze in die Filmauswahl, sondern bot dabei auch die passende Film- und Bildsprache. Im Zentrum des Films steht Eva (Simone Bucio), die damit hadert, den perfekten Klang eines berittenen Pferdes für eine Werbefilmproduktion zu schaffen. In ihrem Wahn, sich dem Pferd immer weiter anzunähern, um die Arbeit, die ihr nicht-binäres Geschwisterteil angefangen hat, zufrieden zu Ende stellen zu können, verändert sich ihr Körper – und mit ihm ihr sexuelles Verlangen. Piaffe ist ein durch und durch phänomenologischer Film – ein Film, der nicht nur mit Augen und Ohren wahrgenommen wird, sondern mit dem ganzen Körper. Ann Orens aufdringliche Art des Erzählens ist aufregend und visionär und gehört ganz dringend auf die größten Leinwände. Das restliche Programm der TILDA-Reihe kann hier durchstöbert werden und für jede einzelne der acht Filmschaffenden sind die Daumen gedrückt, dass sie einen Kinostart schaffen.

Doch auch abseits der Filmreihen konnte das Braunschweig International Film Festival mit einem spannenden und – gerade deswegen so wertvollen, weil selbstverständlichen – unkuratierten Fokus feministisch vorweggehen. Mit Diskussionsveranstaltungen zu Themen wie weiblichen Empowerment, mit einem sich anschließenden Screening von Nina MenkesBrainwashed: Sex-Camera-Power, der wenn man so will, die Diskussion der eingangs genannten Studien mit dem Schwerpunkt auf die Frage, was für eine filmische und sexistische Bildsprache diese männlich dominierte Filmbranche und -historie etabliert hat, weiterführt, sowie zu Diversität und queerer Repräsentation in Film, hat das Festival in diesem Jahr viele und vielschichtige Räume eröffnet, um weitere Veränderungen anzustoßen. In den größtenteils rein weiblich besetzten Panels sprachen Frauen aus der Branche miteinander und mit dem Publikum. FILMLÖWIN ist begeistert und hofft darauf, im nächsten Jahr wieder vor Ort sein zu können!

Sophie Brakemeier