Blockbuster-Check: Thunderbolts*
Weil der Bechdel-Test zwar cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehmen wir im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.
Achtung: Aufgrund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!
Yelena Belova (Florence Pugh) erledigt die ihr aufgetragenen Missionen, stellt keine Fragen, geht nach Hause und wartet auf den nächsten Job. Gig Economy in der post-Avengers Welt. Yelenas Job ist genau das: ein Job – seelenlos und trotz Spionage uninteressant. Yelena fühlt sich weder erfüllt noch glücklich, weder wütend noch traurig. Dabei hätte sie allen Grund dazu, schließlich hat sie ihre Schwester verloren Yelena fühlt sich vor allem leer. In diese Leere kommt ein weiterer Auftrag, der gefährlicher ist, als zunächst angenommen und der auf Umwegen zur (inoffiziellen) Gründung der Thunderbolts führt.

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___STEADY_PAYWALL___Thunderbolts* ist ein überraschend guter MCU-Film. Statt sich langweilige CGI-Schlachten zu liefern, werden die Protagonist*innen mit Fragen um mentale Gesundheit konfrontiert. Der Film geht einige neue Wege, hat dabei mehr Bodenhaftung als die meisten Einträge im Marvel Cinematic Universe und ist gleichzeitig gutes Popcorn-Kino. Die Darstellung von FLINTA (wobei es in diesem Fall ausschließlich cis Frauen sind) ist an vielen Stellen gelungen, lässt an anderen zu Wünschen übrig und stellt, wie so oft, lediglich einen Schritt in die richtige Richtung dar, dem weitere folgen müssen.
Held*innen
Die Thunderbolts sind Antiheld*innen und ehemalige Antagonist*innen. Yelena Belova wurde als Kind im Red Room indoktriniert und arbeitete unter der Kontrolle von General Dreykov jahrelang als Assassinin. Bucky Barnes (Sebastian Stan) ereilte als Winter Soldier ein ähnliches Schicksal. Ava Starr (Hannah John-Kamen) aka Ghost trat als Gegenspielerin von Ant Man and the Wasp auf, John Walker (Wyatt Russell) entwickelte sich in The Falcon and the Winter Soldier zu einem rechten Captain-America-Verschnitt und Alexei Shostakov aka Red Guardian (David Harbour) war in der Sowjetunion die kommunistische Variante von Captain America.

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Mit Yelena steht eine Heldin im Zentrum von Thunderbolts*, die tough und gleichzeitig empathisch ist. Yelena ringt mit ihrer mentalen Gesundheit, womit der Film ein Marvel-Klischee bricht – mit Traumata und psychischen Krankheiten schlagen sich im MCU nämlich sonst nur Bösewicht*innen herum. Held*innen, so die Marvel-Erzählung, haben ihre posttraumatischen Belastungsstörungen ein für allemal überwunden – vollkommen unrealistisch, ohne Hilfe oder tiefgreifende Auseinandersetzung.
Thunderbolts* bemüht sich, Held*innenhaftigkeit anders zu denken. Anstatt den Bösewicht körperlich und mit Waffengewalt zu bekämpfen, entscheidet sich Yelena für eine gewaltlose und verbale Konfliktlösung. Dass sie selbst an einer Depression leidet, ermöglicht es ihr, den Konflikt zu lösen und Bob (Lewis Pullman) zu retten. Am Ende besiegen die Thunderbolts The Void mit einer Art Gruppenumarmung statt mit Tritten und Kinnhaken.

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Auch gibt es im Film eine für das MCU ungewöhnliche Wendung: Wenn The Void in Midtown Manhattan einen Wolkenkratzer einreißt und Menschen in Schatten verwandelt, produziert Thunderbolts* Bilder, die bewusst an die Terroranschläge vom 11. September 2001 erinnern. Auch frühere Avengers-Filme haben diesen visuellen Vergleich gezogen, nur beteiligten sich die Held*innen hier an der Zerstörung der Stadt – im Kampf gegen den Bösewicht war jedes Mittel recht und Zivilist*innen nur Kollateralschaden. Die Thunderbolts retten zuerst Passant*innen vor dem einstürzenden Gebäude und beschäftigen sich danach mit The Void. Damit konzentriert sich der Film weniger auf den Kampf zwischen Superheld*innen und Schurk*innen und mehr auf den Einsatz für die Zivilbevölkerung.
Gegenspieler*innen
Der Schurke mit Superkräften ist in Thunderbolts* The Void. Anstatt um generische Weltherrschaftspläne geht es bei The Void um die Zerstörungswut einer Depression und die Manipulation eines psychisch vulnerablen Menschen. Die Genderdynamik zwischen Bob und Yelena hat aber auch problematische Züge, denn während seine psychischen Probleme apokalyptische Ausmaße annehmen, muss Yelena ihre Erfahrungen und Traumata einfühlsam einsetzen, um Bob vor sich selbst zu retten.
Auch die Darstellung der tatsächlichen Strippenzieherin Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus) ist klischeebehaftet. Der Film verpasst hier die Chance, sich kritisch mit der neoliberalen Aneignung feministischer Themen und der Figur des Girlboss auseinanderzusetzen. Statt dem Patriarchat zu trotzen, werden beim Girlbossing kapitalistisch-patriarchale Methoden als Weg zu individuellem Einfluss und Macht propagiert. Selbstoptimierung und (Selbst-)Ausbeutung treten an die Stelle von Solidarität – alles im Namen angeblicher Geschlechtergleichheit.

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Statt sich also mit Girlbossing zu beschäftigen, bedient Thunderbolts* das Klischee der machthungrigen und verräterischen Powerfrau, deren Gefahr nicht vornehmlich von ihren Taten ausgeht, sondern davon, dass sie eine Frau in einer Machtposition ist (gruselig!). Wenn Valentina sich einen Schal überzieht und ihre Assistentin Mel (Geraldine Viswanathan) fragt, ob sie auch mütterlich genug aussieht, ist das zwar irgendwie witzig, weil Valentina Geschlechterklischees für sich nutzt, es bedient aber auch Vorstellungen von manipulativ-boshafter Weiblichkeit. Denn statt an einer Maschine oder einem Wundermittel zu forschen, statt Weltraumsteine zu sammeln, mit denen sie die Weltherrschaft übernehmen will, manipuliert Valentina ihr Umfeld für ihren persönlichen Machtgewinn. Zunächst schickt sie Yelena, Ava und John auf zwielichtige Missionen, dann redet sie Bob ein, er sei der neue Weltenherrscher, und erschafft so The Void. Damit bemüht der Film misogyne Klischees, die gleichermaßen unnötig und gefährlich sind.
Geschlechterrollen
Unter den Mitgliedern der SWAT-Teams und paramilitärischen Einheiten, die in allen Marvel-Filmen als gesichtslose Gegner der Protagonist*innen auftreten, sind in Thunderbolts* ganz selbstverständlich auch Frauen. Auch Massenszenen sind relativ ausgewogen – hier retten die Thunderbolts nicht nur Frauen und Kinder, sondern auch männlich gelesene Personen.
Die neu gegründeten Avengers bestehen am Ende aus vier männlichen und zwei weiblichen Figuren, womit das Geschlechterverhältnis nicht sehr ausgeglichen ist. Interessanterweise gibt es in Thunderbolts* rechnerisch zwar mehr männliche Figuren, dramaturgisch sind sie aber zweitrangig. Bucky hat unerklärlicherweise eine Karriere als Abgeordneter eingeschlagen und sagt sonderliche Sachen wie „It’s up to people to create values” (Was soll das? Was heißt das überhaupt?!), John Walker ist nach wie vor ein egoistisches, rechtes Arschloch und Alexei Shostakov vor allem Comic Relief. Wirklich sympathisch ist unter den Thunderbolts sonst nur Ava Starr.

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Feministische Themen, Erfahrungen mit Misogynie und Sexismus oder Genderdiskurse verhandelt der Film nicht. Gleichzeitig fällt die Identifikation mit Yelena und Ava am einfachsten – die beiden sind schlicht interessanter, zugänglicher und cooler.
Im Gegensatz zu früheren MCU-Filmen werden in Thunderbolts* auch keine heteronormativen Beziehungen zwischen den Protagonist*innen forciert – statt um Romantik geht es um Freundschaft. Hier wird sich zeigen, ob die folgenden Filme ihren Fokus ebenfalls auf die weiblichen Figuren und freundschaftliche Konzepte von Familie legen.
Intersektionalität
…und damit zum schwächsten Punkt des Films. Ava ist die einzige Person of Colour in den Thunderbolts/Avengers. Während Yelena und John ihre schamvollsten Erinnerungen durchleben (müssen), bleiben solche Einblicke in Avas Psyche aus. Marvel-Fans mit gutem Gedächtnis erinnern sich vielleicht an die Flashbacks aus Ant Man and the Wasp, die den dramatischen Tod von Avas Eltern, ihre Ausbildung zur Assassinin und ihren Missbrauch durch die Organisation S.H.I.E.L.D erzählen. Der Film ist mittlerweile allerdings acht Jahre alt und Thunderbolts* unternimmt keinerlei Anstrengung, Avas Vergangenheit noch einmal aufzurollen. Überhaupt ist die Perspektive des Films sehr weiß – die Erfahrungen von People of Colour, Rassismus und Diskriminierung werden ausgeblendet. Die Disney-Serie The Falcon and the Winter Soldier hatte hier erste, zaghafte Schritte unternommen, die Thunderbolts* ignoriert. Es findet keine Auseinandersetzung damit statt, was es bedeutet, ein*e Held*in of Colour zu sein.

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Queers gibt es im Marvel-Universum der Thunderbolts* nicht. Das ist keine Überraschung, denn LGBTQI+ werden vom MCU mal mehr, mal weniger ignoriert. Ja, Loki ist bisexuell (jedenfalls hat er das mal gesagt), ja es gab einen schwulen Kuss in Eternals und in Black Panther: Wakanda Forever kämpft Ayo (Florence Kasumba) an der Seite ihrer Partnerin Aneka (Michaela Coel) und ja ja ja, es gibt noch mehr Beispiele. Aber – queere Hauptfiguren, deren Queerness auch wirklich thematisiert wird, gibt es im MCU kaum und in Thunderbolts* überhaupt nicht.
Ähnliches gilt für die Repräsentation von Menschen mit Behinderung. Zwar hat Bucky eine Armprothese, eine kritische Auseinandersetzung mit Behindertenfeindlichkeit und ableistischen Denkweisen findet aber nicht statt und Bucky wird weiterhin von einem nicht behinderten Darsteller gespielt. Körperliche Stärke ist in Thunderbolts* unhinterfragt ein Hauptmerkmal der Protagonist*innen. Behinderungen spielen nur insofern eine Rolle, als dass sie „überwunden” wurden oder als Superkraft „genutzt” werden – Buckys Armprothese dient nicht umsonst vor allem als Waffe.

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Im Gegensatz zu den MCU-Vorgängerfilmen setzt sich Thunderbolts* weitestgehend sensibel mit dem Thema psychische Erkrankung auseinander. Yelenas Gefühle von Leere, Verlust und Unzulänglichkeit, ihre Überzeugung, Schuld auf sich geladen zu haben und ihre Einsamkeit spielen im Film eine zentrale Rolle. The Void ist eine akkurate Darstellung davon, wie sich eine depressive Episode anfühlen kann – ein schwarzes Loch aus Selbsthass und dem Gefangensein im eigenen Kopf, während mit Scham besetzte Erinnerungen und erlebte Verletzungen dort in Dauerschleife laufen.
Gleichzeitig wird mehrmals betont, dass Bob aufgrund seiner psychischen Instabilität besonders gefährlich ist und sich deshalb nicht zum Helden eignet. Im Film wird sogar ein Vergleich mit Steve Rogers (Chris Evans) angestrengt, der, weil er mental angeblich so stabil war, mit dem Super Soldier Serum zum unproblematischen Helden Captain America statt zum Bösewicht avancierte. Und tatsächlich kann Bob am Ende des Films seine Kräfte erst einmal nicht einsetzen, weil er sich bzw. seine psychische Erkrankung noch nicht „unter Kontrolle” hat. Dass sich psychische Erkrankungen aber generell schlecht kontrollieren lassen, dass es statt Kontrolle um Akzeptanz geht und dass psychische Erkrankungen innerer Stärke nicht widersprechen, findet in Thunderbolts* keinen Platz.
Dresscode und Sexappeal
…hier hat der Film aus den Fehlern seiner Marvel-Vergangenheit gelernt. Der männliche Blick ist auf ein Minimum beschränkt: Yelena und Ava tragen praktische Kleidung und festes Schuhwerk – hautenge Lederanzüge mit weitem Ausschnitt, wie Black Widow (Scarlett Johansson) sie noch tragen musste, gehören der Vergangenheit an. Das gleiche gilt für gegenderte, objektifizierende Kampftechniken. Beiden Protagonistinnen bleibt es erspart, Männer sexy mit ihren Beinen zu würgen oder ständig Karate-Tritte anzuwenden, bei denen die Kamera ihre Beine noch einmal ordentlich fetischisieren kann.

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Im Nahkampf unterschieden sich männliche und weibliche Figuren in Thunderbolts* kaum voneinander – sie haben zwar unterschiedliche Fähigkeiten, sind aber alle gleich stark und professionell. Lediglich männliche Figuren ziehen sich aus, um ihre Muskeln zu präsentieren. Damit schafft leider auch dieser Film eine Verbindung zwischen Superheldentum und einem muskulösen, normschönen Körper, was wiederum ein maskulinistisches Körperbild transportiert, das Männlichkeit mit physischer Stärke gleichsetzt.
Dramaturgie
Yelena treibt den Plot an. Sie handelt überlegt und empathisch, gibt den Männern um sich herum Contra und ist gleichzeitig eine Teamplayerin. Erzählt wird größtenteils aus ihrer Perspektive – der Film beginnt und endet mit ihr. Auch beeinflussen Yelenas Entscheidungen die Handlung wesentlich mehr als die ihrer Teamkolleg*innen – sie wagt sich beispielsweise als erste in The Void hinein, wodurch der Hauptkonflikt schließlich aufgelöst wird.

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Leider ist Yelenas Suche nach Sinn mit der Formierung der neuen Avengers abgeschlossen. Es scheint sich zu erfüllen, was Alexei am Anfang sagt: Das Glück liegt darin, seinem Land als Held*in zu dienen. Die neuen Avengers stehen unter dem Schirm der US-amerikanischen Regierung, im Gegensatz zu den alten Avengers gibt es unter ihnen nämlich keine Techmilliadäre (was grundsätzlich begrüßenswert ist). Angesichts der autoritären Umstrukturierung der USA unter Trump hat die Verstrickung von Superheld*innen und Regierung allerdings einen ranzigen Beigeschmack.
Botschaft
We need to talk about Bob (and Yelena)
Gesamtwertung: 6,5/10
… für den Film und 10/10 für Florence Pugh.
von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)
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Vielen lieben Dank für diese ausführliche Analyse! Schön zu sehen, dass dieser Film, den ich durch die „Fangirl-Brille“ sehr mochte, auch aus feministischer Sicht etwas zu bieten hat. (Die Latte für das MCU hängt natürlich niedrig, ich habe in der Hinsicht mittlerweile überhaupt keine Erwartungen mehr, deshalb war ich positiv überrascht).
Bei den Kritikpunkten gehe ich völlig mit, aber an einer Stelle möchte ich gern widersprechen: bei Valentina Allegra de Fontaine. Denn sie ist nicht die erste antagonistische Figur im MCU, die hauptsächlich durch Machtgier und manipulatives Verhalten hervorsticht. Die gleichen Eigenschaften finden sich bereits bei Secretary Alexander Pierce in „Captain America: The Winter Soldier“ (2014). Auch er forscht nicht an irgendeinem Wundermittel und sammelt auch keine Weltraum-Steine, sondern bahnt sich seinen Weg zur Weltherrschaft vor allem durch Diplomatie, Lügen und perfide Manipulation. Damit ist er für mich (und für viele andere Menschen auch) einer der faszinierendsten Marvel-Bösewichte. Aber wenn de Fontaine die gleichen Verhaltensweisen an den Tag legt wie dieser Mann, ist das plötzlich spezifisch weiblich und ein misogynes Klischee? Auch Pierce hat seine Agent*innen für seinen eigenen Machtgewinn auf zwielichtige Missionen geschickt. Auch Pierce hat sich durch Menschenexperimente einen eigenen hörigen Handlanger mit Superkräften gebastelt. Auch Pierce hat diesem Handlanger (damals Bucky Barnes) bei aufkommenden Zweifeln einen Gottkomplex eingeredet.
Das zeigt mir leider vor allem wieder, dass an weibliche Figuren viel höhere Maßstäbe angelegt werden als an ihre männlichen Gegenparts. Männliche Figuren „dürfen“ einfach so interessante Antagonisten sein; bei weiblichen Figuren wird das gleiche Verhalten ihrem Geschlecht zugerechnet und als Klischee markiert.
(Außerdem sagt mein Lesbian Gaze „Evil Women Hot“, aber das ist eine andere Geschichte.)