Blockbuster-Check: Deadpool

Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehme ich im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe. 

Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!

Der Blockbuster-Check mal anders: Diesmal geht es nicht nur um sexistische Frauen*-, sondern auch um Männerbilder und aus dem kritischen Umgang des Films mit diesem Thema ergibt sich schließlich eine für Marvel überraschend hohe Gesamtwertung.

Held_innen

Natürlich ist die titelgebende männliche* Hauptfigur auch der Held der Geschichte, auch wenn er sich selbst lieber als Bad Boy sehen möchte. An dieser Stelle beginnt bereits die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit*, die sich als Subtext durch den gesamten Film zieht und den Code bildet, mit dem Deadpool gelesen und interpretiert werden möchte.

Wie es sich für einen Helden gehört, ist Deadpool (Ryan Reynolds) mega stark, flink, quasi unbesiegbar und ein Frauen*held. Wobei… Letzteres ist er leider nicht mehr, da ihn die Transformation zum Superhelden seiner Attraktivität beraubt hat. Interessanter Weise ist das Wiedererlangen eines makellosen Erscheinungsbildes lange Zeit die zentrale Mission der Geschichte. Unter dem Motto „lieber tot als hässlich“, schreckt Deadpool sogar vor einem Aufeinandertreffen mit seiner großen Liebe Vanessa (Morena Baccarinzurück, die ihn daher verstorben glaubt.

© 20th Century Fox

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Spannend ist an dieser Stelle auch, dass Deadpool nicht aus Größenwahnsinn zum Superhelden mutiert, sondern um eine tödliche Krebserkrankung zu überstehen. Denn eigentlich war Wade, so sein bürgerlicher Name, schon als „normaler“ Mann* ein ziemliches Vorzeigeexemplar: Stark, cool, edelmütig, nie um einen coolen Spruch verlegen und wahnsinnig potent. Die außergewöhnlichen Kräfte wären also gar nicht nötig gewesen, doch aus Angst vor dem Tod, vor der eigenen Schwäche, vor dem Versagen als Beschützer der Geliebten, begeht Wade mit seiner Mutation einen folgenschweren Fehler. Es ist, als würde dieser Film seine Zuschauer warnen: Be careful what you wish for! Das gilt auch für den Grad eurer Männlichkeit*!

Es lässt sich jedoch nicht verhehlen, dass Deadpool noch eine ganze Reihe Stereotypen unkommentiert lässt. So gehören zum Beispiel seine derben Sprüche zu einem Konzept männlicher* Coolness, das in dieser Form niemals auf eine weibliche* Heldin zu übertragen wäre. Für den klassischen Bad Boy, der sich in der Populärkultur noch immer größter Beliebtheit erfreut, gibt es aktuell kein weibliches Pendant.

A propos weibliche Heldin… Da hat Deadpool wahrlich nicht viel zu bieten. Einzig die Figur mit dem genialen Spitznamen Negasonic Teenage Warhead (Brianna Hildebrand) könnte als Heldin bezeichnet werden. Ihr Name ist aber fast länger als die ihr zugestandenen Sätze und steht auch in keinem Verhältnis zu ihrer sehr sparsam bemessenen Screentime.

deadpool 2

© 20th Century Fox

Gegenspieler_innen

Auch auf der Seite des Bösen wird Männlichkeit* kritisch beäugt. Fiesling Ajax (Ed Skrein) hat durch seine Transformation nicht nur übermäßige Kräfte und eine grenzenlose Schmerztoleranz erlangt, sondern auch eine vollkommene Gefühlskälte. Eigentlich ja logisch: Wenn einen nicht mal das Schwert in der Brust schmerzt, wie soll dann so etwas Subtiles wie Empathie empfunden werden?! Die einzige Schwachstelle des Gegenspielers bildet sein bürgerlicher Name, der nicht ausreichend Männlichkeit* transportiert und daher einen Anlass zur Scham darstellt.

An der Seite von Ajax glänzt Gina Carano als Angel Dust. Die Mixed-Martial-Arts Kämpferin kann hier mal wieder herrlich die Fäuste schwingen, zeigt damit aber gleichzeitig auch ganz deutlich, wie unnötig es eigentlich ist, Fieslinge immer männlich* zu inszenieren. Carano hätte mehr als genug Power, um den Oberbösewicht zu geben und wirkt in ihrer marginalisierten Rolle völlig verschenkt. Immerhin darf sie sich ein herrliches Kräftemessen mit Collossus liefern. Der sexistischen Marvel-Logik folgend rettet dieser sie jedoch schließlich aus einem zusammenbrechenden Schiffswrack. Einen männlichen* Bösewicht hätte sicher ein anderes Schicksal ereilt. Außerdem spielt die arme Angel Dust im Finale überhaupt keine Rolle mehr, ja, sie wird nicht einmal mehr genannt, verschwindet völlig kommentarlos von der Bildfläche.

© 20th Century Fox

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Geschlechterrollen allgemein

Deadpool ist eine Testosteron-Orgie und will genau das sein. Der Film zeigt unterschiedliche auffallend heterogene Männer*welten, in denen Frauen nur dann eine Rolle spielen, wenn sie a) so schlagkräftig sind wie Angel Dust oder b) ihren Körper feilbieten. Und so überrascht es auch wenig, dass Deadpools Herzensdame* ausgerechnet eine Hure ist. Selbstredend muss der Held seine Damsel in Distress schließlich vor den Bösen retten, steht dann aber vor dem Problem, sich vor der makellösen Schönheit als entstellte Freddy Krüger Kopie zu outen.

Körper und ihre Idealformen spielen in dieser Marvel-Verfilmung eine tragende Rolle. Zahlreiche Witze ergehen sich in Fatshaming und der Beleidigung von „hässlichen“ weiblichen* Körpern. Aber es ist mitnichten nur die Frau*, deren Physis ständiger Bewertung ausgesetzt wird. Stattdessen steht gerade der männliche Perfektionsanspruch im Mittelpunkt der Geschichte. „Lieber tot als hässlich“ – das ist eine Logik, die so gar nicht dem klassischen Hollywoodhelden, sondern eher der frustrierten Heranwachsenden im Coming of Age Drama entspricht. Damit macht Deadpool ein zeitgenössisches Männlichkeits*ideal deutlich, das sich eben nicht mehr ausschließlich durch Körperkraft und Überlegenheit, sondern auch durch Attraktivität und Schönheitsnormen definiert!

Deadpool steht für einen Mann*, der an einem gesellschaftlichen Idealbild scheitert und dem nun nichts mehr bleibt, als mit nervtötenden Machosprüche über sein infinitesimales Selbstbewusstsein hinwegzutäuschen. Kommt das vielleicht irgendwem bekannt vor?

© 20th Century Fox

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Dresscode und Sexappeal

Wo es um Körper geht, darf Sexappeal natürlich nicht fehlen. Dass es sich bei Deadpools Herzensdame* ausgerechnet um eine Prostituierte handelt, ist äußerst praktisch, denn so kann sie der Film ständig in Reizwäsche zeigen, ohne sich dem Vorwurf unnötiger Sexualisierung auszusetzen. Immerhin darf auch Ryan Reynolds einmal herrlich blankziehen, wird von der Kamera jedoch niemals als Objekt, sondern stets als Subjekt inszeniert. Erstaunlicher Weise dürfen wir sogar seinen Penis sehen, während Gina Caranos Nippel züchtig verdeckt wird. Unsere pervertierten Moralvorstellungen – eine Sexualisierung der Frau bei gleichzeitiger Tabuisierung ihres nackten Körpers – sind in diesem Kontext aber derart offensichtlich, dass hier eine bewusste, ironische Inszenierung anzunehmen ist.

Letztlich kann aber auch dieser Diskurs nicht darüber hinwegtäuschen, dass Morena Baccarin ständig in Strapsen rumläuft und Gina Carano die Brüste fast – und schließlich tatsächlich – aus dem Dekolleté hüpfen, während Ryan Reynolds und Ed Skrein weit weniger ausgestellt werden. Dabei böten sich auch diese Körper definitiv für eine große Dosis Voyeurismus an. Am Ende kann Deadpool tatsächlich in seiner Imperfektion perfekt sein, während alle Damen* auch nach Explosionen und brachialen Zweikämpfen noch immer aussehen wie aus dem Ei gepellt. Auch das ist ein männliches* Privileg innerhalb eines sexistischen Systems.

So ganz ist die Kritik am Körperfaschismus der modernen westlichen Welt also nicht zu Ende gedacht. Und es fehlt, wie so oft, das Bewusstsein für den eigenen Sexismus. So lässt der Film Deadpool im Duell mit einer Frau* zwar philosophieren („Ist es sexistisch dich zu schlagen oder ist es sexistisch dich nicht zu schlagen?“), fordert an anderer Stelle aber beispielsweise dazu auf, Vergewaltigung als legitimes humoristisches Thema anzuerkennen.

© 20th Century Fox

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Dramaturgie

Frauen* haben keinerlei Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse. Angel Dust ist eine Lakaiin des Oberbösewichts, Negasonic Teenage Warhead die Auszubildende von Colossus und Vanessa die Damsel in Distress, die den Helden zum solchen macht. Oder um mit Deadpool zu sprechen: „ Das richtige Mädchen wird den Helden in Dir zum Vorschein bringen.“ Und damit hat sich die Funktion der weiblichen Spezies dann auch schon erschöpft.

Botschaft

Mann hat’s heute schwer, denn das Lebensmotto „Lieber tot als hässlich“ ist jetzt unisex.

Gesamtwertung: 4

von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)

Sophie Charlotte Rieger
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