Blockbuster-Check: Captain Marvel
von Sophie Brakemeier
Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehmen wir im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.
Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein
Held_innen
Captain Marvel ist die erste origin story einer Superheldin im Marvel Cinematic Universe, welches bis dato 21 Filme umfasst. Origin stories, also Werke, in denen die Held_innenwerdung einzelner Protagonist_innen beleuchtet werden, stellen einen zentralen Teil des Marvel Cinematic Universe dar. Dass es tatsächlich so viele Filme gebraucht hat, um endlich mal einer Frau* den verdienten zentralen Auftritt zu geben kann eigentlich kein gutes Omen sein und doch bietet der Film einiges an emanzipatorischem Potential. Das mag daran liegen, dass mit Anna Boden auch zum ersten Mal eine Frau im MCU ans Regie-Werk gelassen wurde, die mit ihrem Kollegen Ryan K. Fleck den Film inszenierte.
Captain Marvel macht absolut keinen Hehl daraus, dass es dem Film hauptsächlich um die titelgebende Heldin Carol Danvers aka. Vers aka. Captain Marvel (Brie Larson) geht. Der Film beleuchtet ihre Vergangenheit, ihr character building und – ja – auch ein wenig ihre Zukunft. Wir lernen sie als Vers, Kämpferin der außerirdischen Rasse der Kree, kennen. Während einer Rettungsmission strandet sie auf der Erde, wo sie nach und nach ihre in Vergessenheit geratene Vergangenheit als Mensch erforscht. So weit, so abgedroschen.
Dass ihr Kree-Name “Vers” wie das englische Wort fierce (wütend oder entschlossen) ausgesprochen wird, kommt dabei nicht von ungefähr. Ihre kosmischen, fast grenzenlosen Superkräfte erlangte sie, als sie der Explosion einer außerirdischen Energiequelle ausgesetzt war. Vers ist übernatürlich stark, schnell und fast unzerstörbar. Sie kann Photonenstrahlen aus ihren Händen schießen und fliegen. Als Mensch war sie Kampfpilotin bei der U.S. Air Force.
Während ihrer Heldinnenreise erweist sich Carol auf mehreren Ebenen als potentielle feministische Identifikationsfigur. Sie ist stark, sie ist selbstbewusst, sie lässt sich von keinem Mann* etwas sagen und solidarisiert sich vor Allem mit ihren weiblichen* Nebencharakteren, wie der ehemaligen Air Force-Kollegin Maria Rambeau (Lashana Lynch), deren Tochter Monica (Akira Akbar) und Dr. Wendy Lawson (Annette Bening).
Aber leider wird dieses emanzipatorische Potenzial zum Teil durch einen anderen Aspekt geschmälert. Carol Danvers ist als ultimative Superheldin angelegt, das ist kaum zu übersehen. Dabei kommt ihre Menschlichkeit viel zu kurz. In dem Vorhaben die perfekte Retterin der Welt zu schaffen, haben Anna Boden und Ryan K. Fleck eine durch und durch unantastbare Persönlichkeit geschaffen, die nicht nur im Film Schwierigkeiten damit hat Nähe zuzulassen, sondern auch für uns Zuschauer_innen unnahbar bleibt. Höchstens in den wenigen Szenen, in denen Carol ihren Dickkopf zur Schau stellt oder mit Maria oder Monica Momente des Vertrauens erlebt, wird sie als Figur zugänglich. Mit der unnahbaren Heldin trübt der Film leider sein eigenes Licht, welches als emanzipatorischer Leuchtturm im trüben, männlich* dominierten Marvel Cinematic Universe fungieren könnte.
Gegenspieler_innen
Mit Dr. Minn-Erva (Gemma Chan) schafft es leider nur eine weibliche* Gegenspielerin in das Ensemble von Captain Marvel. Das wäre weniger dramatisch, wenn diese wenigstens ein bisschen Hintergrund und Charakter mit auf den Weg bekommen hätte. Als mordlustige Sniper-Schützin der Kree kommt Dr. Minn-Erva regelrecht willens- und motivationslos daher. Das einzige, was sie auszeichnet, ist ihr Antagonismus Carol Danvers gegenüber, der zum Ende des Films mit einem schlichten „I just never liked you“ erklärt wird.
Das ist okay – Frauen dürfen auch einfach mal böse sein. Es muss nicht immer ein schwerer Schicksalsschlag das ach so sanfte und gutmütige Wesen der Frau* betrüben. Doch Dr. Minn-Ervas Abneigung ist nicht grundlos, sie basiert auf der Angst ihren Status bei der militärischen Einheit Starforce zu verlieren – das sagt zumindest Gemma Chan selbst und es ist genau das, was ihre Figur im Film transportiert. Dr. Minn-Erva will Carol schon beim ersten Aufeinandertreffen umlegen und ihr Verhalten lässt sich durchweg selbst wohlwollend nur als zickig beschreiben.
Es wäre absolut in Ordnung gewesen einfach nur eine arschtretende, eiskalte Super-Sniperin zu haben, die Carol Danvers das Leben schwer macht, doch stattdessen wird uns das Klischee einer Frau* präsentiert, die sich trotz ihrer Stärke und ihres Selbstbewusstseins von einer anderen Frau*, bedroht fühlt. Und dieses Motiv hat eine lange Tradition: “Spieglein, Spieglein an der Wand: Wer ist die schönste an der Wand?” Die Mär von der ewigen Konkurrenz unter Frauen*, die einem solidarischen Zusammenschluss entgegensteht, hält sich eben auch im 21. Jahrhundert wacker.
In einem Film, der seine Antagonist_innen nicht charakterisiert um sie zu interessanten und authentischen Figuren zu machen, sondern um trennscharfe Linien zwischen der guten menschlichen und der bösen außerirdischen Fraktion zu zeichnen, ist es sehr schade, dass in diese Trickkiste gegriffen wird, statt böse mal einfach böse sein zu lassen.
Geschlechterrollen allgemein:
Es ist offensichtlich, dass Captain Marvel sehr viel Energie in die emanzipatorisch wertvolle Charakterentwicklung seiner „guten“ weiblichen* Haupt- und Nebenrollen legt. Dies ist auch den Nebencharakteren Maria und Monica Rambeau und – wie schon angesprochen – der Beziehung zwischen den dreien anzumerken. Die Freundinnenschaft erweist sich als außerordentlich wertvoller als jede – üblicherweise heteronormative – Liebesgeschichte, denn Maria und Monica dienen nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern übernehmen auch tragende Rollen in der Handlung des Films. Die familiäre und unterstützende Dynamik dieses Trios wird an keiner Stelle von einem Mann* unterbrochen und trägt wesentlich zur feministischen credibility des Films bei. Wenn Maria zu Carol sagt, “You supported me as a mother and a pilot. You’re my best friend and a huge pain in the ass”, dann ist das leider keine selbstverständliche Beziehungsbasis für Frauen* in Filmen, wie der Bechdeltest stets aufs Neue zu beweisen vermag. Dieser deckt heutzutage immer noch erschreckend oft auf, dass in vielen Mainstream-Filmen die Dialoge zwischen Frauen* – sofern es sie denn gibt – nur um Männer* kreisen. Die Freundinnenschaft zwischen Carol, Maria und Monica ist deswegen umso wertvoller. Auch Dr. Wendy Lawson aka. Mar-Vell, die anders als Carol, eigentlich eine Kree ist und sich als Mensch ausgibt, darf als ehemalige Mentorin von Carol in die Riege der starken Frauen* des Films eintreten und sogar für eine gute Sache sterben – ebenfalls ein seltenes Privileg weiblicher* Filmfiguren.
Die heroischen Männer*figuren des Films fallen im Angesicht dieser weiblichen* Übermacht sehr blass aus. Natürlich ist es erfrischend Nick Fury (Samuel L. Jackson) und Phil Coulson (Clark Gregg) statt als abgebrühte Agenten mal als Taugenichtse zu sehen, doch vor allem letzterer spielt in der Handlung des Films kaum eine Rolle. Das ergibt sich freilich aus dem Fokus des Films auf seine Frauen*figuren, aber wenn die Männer* nur der kontrastierenden Unterstützung der Heldinnen dienen, stellt sich doch die Frage, ob mensch sie in dieser Geschichte überhaupt gebraucht hätte. Ihre Screentime – allen voran die der Mensch-Tier-Beziehung zwischen Nick Fury und der Katze Goose – scheint hauptsächlich dem humoristischen Faktor des Films dienlich, der der Superheldinnen-Geschichte einiges an Ernsthaftigkeit raubt.
Bevor ich mich überhaupt den Geschlechterrollen der außerirdischen Protagonist_innen widme, möchte ich allgemein zur Debatte stellen, warum den Kree und den Skrulls, dem außerirdischen Volk, welchem Carol auf ihrer Flucht hilft, überhaupt die binäre Unterteilung von männlich* und weiblich* sowie klassische Familienkonstellationen – Mutter, Vater, Kind – aufgedrückt werden mussten. Gleich zwei außerirdische Völker in den Film einzubauen hätte dutzende Möglichkeiten eröffnet, Geschlechterrollen divers zu behandeln und mit patriarchalen Gesellschaftsvorstellungen zu brechen, doch diese Chance bleibt ungenutzt. Stattdessen finden sich hier die typischen, harten Kämpfertypen, die beschützenden Familienväter und dementsprechend natürlich auch die zu schützenden Ehefrauen* mit Kind.
Intersektionalität:
Mit Nick Fury, Maria und Monica spielen immerhin drei People of Color und davon zwei Frauen* eine tragende Rolle in Captain Marvel. Auch für die Kree-Rollen Korath (Djimon Hounsou), Dr. Minn-Erva (Gemma Chan), Att-Lass (Algenis Perez Soto) und Soh-Larr (Chuku Modu) wurden nicht-weiße Schauspieler_innen engagiert, auch wenn diese aufgrund der blauen Hautfarbe ihrer Rolle nur bedingt zu einer diversen Repräsentation von race beitragen.
Queere Charaktere werden nicht benannt. Allerdings spielt bei kaum einer der Figuren die sexuelle Orientierung überhaupt eine Rolle. Mit Ausnahme von Talos (Ben Mendelsohn), dem Skrull, der sein Volk mitsamt Frau und Tochter vor den Kreeretten will, wird romantische oder sexuelle Zuneigung nicht thematisiert. Das kann mensch gut finden oder auch als verpasste Chance werten, einen feministisch konzipierten Filmdurch die Repräsentation nicht-heteronormativer Lebensmodelle zu bereichern.
Dresscode & Sexappeal:
Vorab: Ja, Carol Danvers Haare sind zu jeder Zeit in jeder Situation des Films perfekt gestylt. Gerade ein paar Bösewichte verprügelt? Die Friese sitzt. Gerade vom All in eine Videothek auf der Erde gestürzt? Die Friese sitzt! Dass das so unrealistisch ist, fällt allerdings auch nur deshalb unangenehm auf, weil sich Carols restlicher Dresscode als erfrischend pragmatisch erweist. Flache Schuhe, Jeansjacke mit Karohemd, Pilotinnen-Anzug – ihre signature outfits bieten absolut keine Sexualisierungsgefahr. Der Kampfanzug ist zwar hauteng, aber dafür bietet er – wie es sich für einen richtigen Kampfanzug auch gehört – wenigstens Ganzkörperschutz und verzichtet darauf, durch lächerliche Knappheit den weiblichen* Körper zur Schau zu stellen. Auch dass mit der Frisur kann man dem Film spätestens dann verzeihen, wenn Carol mit ihrem flammenden Iro im All unterwegs ist, der wie ein leuchtendes „Scheiß auf Schönheitsideale“ den Raum zwischen den Sternen erhellt.
Und noch an einer anderen Stelle setzt sich die Heldin gegen ein etabliertes Weiblichkeits*ideal durch: Carol Danvers’ entschlossener und grantiger Gesichtsausdruck, den sie mit allen Mitteln zu verteidigen weiß. Wenn sie einem Idioten, der sie zum Lächeln auffordert, hinterher das Motorrad klaut, fühlt sich das nicht nur wie ein kleiner Sieg gegen nervige, alltägliche Verhaltensanweisungen an. Es ist auch eine direkte Positionierung der Filmemacher_innen zu einer Kontroverse, die sich schon vor Filmstart in den sozialen Medien abgespielt hatte. Ein Twitternutzer hatte hier Hauptdarstellerin Brie Larson nahegelgt, sie solle auf Promo-Bildern mehr lächeln. Als Reaktion darauf verbreitete Larson herrliche Bildmontagen, in denen sie den männlichen* Superhelden des MCU lächelnde Münder verpasste. Damit deckte sie nicht nur die Absurdität, sondern auch den Sexismus einer solchen Forderung auf. Die Szene mit dem Motorradfahrer macht nun endgültig klar, dass Captain Marvel nicht die Bedürfnisse misogyner Marvel-Fans bedienen, sondern einen wegweisenden Schritt in Richtung wahrhaft feministischer Superheldinnen gehen will.
Dramaturgie:
Carol Danvers kontrolliert in nahezu jeder Situation des Films das Geschehen und ist die treibende Kraft hinter Entscheidungen. Das ist nicht selbstverständlich für das Marvel Cinematic Universe, ist es doch in den vorangegangenen Filmen oft die Organisation S.H.I.E.L.D, vertreten durch Nick Fury oder Phil Coulson, die die Zügel der Superheld_innen in der Hand hält. Durch die Ansiedlung der Handlung in einer Zeit, in der S.H.I.E.L.D noch nicht in der heutigen Form existierte, kann Captain Marvel sich voll und ganz auf seine Heldin, ihre Reise, ihre Motivationen und ihre Charakterentwicklung konzentrieren.
Eine sich durch den kompletten Film ziehende dramaturgische Linie ist hier besonders hervorzuheben. Ganz zu Anfang hören wir, wie Yon-Rogg (Jude Law), zu diesem Zeitpunkt noch Carols Mentor bei den Kree, ihr eine stärkere Kontrolle von Emotionen nahelegt. Versucht hier eine Mentorenfigur das regressive Narrativ der überemotionalen (“hysterischen”) Frau* ohne Impulskontrolle zu etablieren? Nein, denn spätestens wenn sich seine Rolle am Ende als antagonistisch erweist und Carol ihn mit einem saftigen „I have nothing to prove to you“ in den Berg schießt, dürfte klar werden, dass Captain Marvel seiner Heldin sehr wohl erlaubt, nicht nur stark, sondern auch emotional und impulsiv zu sein.
Botschaft:
„Hinter jeder starken Frau* stehen noch unzählige andere starke Frauen*
Gesamtwertung: 8
von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)
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Danke für diesen Artikel!
Ich habe mittlerweile das komplette MCU gesehen, mich öfters auch mal durchgequält und kann bis auf Ausnahmen den großen Hype nur schwer nachvollziehen.
Captain Marvel dagegen war eine Offenbarung, die sich nicht nur durch die emanzipatorische Machart (in einem Blockbuster!), sondern auch durch die erfrischend mutige Selbstironie auszeichnet.
In Anbetracht dieses Mainstreamkinos gab es von mir sogar 9/10 Punkte, da mit oben so gut beschriebenen „emanzipatorisch wertvollen“ Inhalten ein ganz neues, breites Publikum erreicht oder auch konfrontiert werden konnte.
Hier alle meine MCU-Wertungen:
https://www.moviepilot.de/liste/mcu-marvel-cinematic-universe-takatukaland
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