Berlinale 2024: Treasure – Kurzkritik
Kurz nach dem Mauerfall, Anfang der 90er Jahre, begibt sich die 36-jährige Ruth (Lena Dunham) mit ihrem Vater auf eine Reise nach Polen und damit auf die Suche nach der Geschichte ihrer jüdischen Familie vor und während des Holocausts. Eigentlich möchte Ruth diese Reise alleine unternehmen, hat sie akribisch geplant, Literatur gewälzt, doch Edek (Stephen Fry) möchte die Tochter unbedingt begleiten und hat seine ganz eigene Vorstellung vom wo und wie. Während Ruth alle Spuren ihrer Familie nachvollziehen und fotografieren will, hält sich Edek auffällig zurück. Der Konflikt zwischen Vater und Tochter spitzt sich zu, als Ruth immer tiefer in das transgenerationale Trauma einsteigt, das Edek zu verdrängen sucht. ___STEADY_PAYWALL___
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© Anne Wilk
Treasure ist die Verfilmung des Romans Too Many Men der Australierin Lily Brett, der wiederum von wahren Begebenheiten inspiriert ist, adaptiert von der deutschen Regisseurin Julia von Heinz, die das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Ehemann John Quester verfasste. Größtenteils gefilmt im mitteldeutschen Halle, inszeniert von Heinz ihr bitterkomisches Drama inmitten einer postsowjetischen Tristesse. Während im ersten Drittel des Films der bissige Austausch zwischen Vater und Tochter noch vornehmlich unterhält, entwickelt der Generationenkonflikt zunehmend Tragik, geschürt durch einen rührseligen Score, gipfelnd in einem emotional aufgeladenen kathartischen Finale.
Nicht nur diese klassische Dramaturgie, auch die Dialoge, die dem Kinopublikum spürbar eine Interpretationshilfe sein sollen, verleihen dem Film Mainstream-Charakter: Hier soll ein breites Publikum für das transgenerationale Trauma des Holocausts sensibilisiert werden. Julia von Heinz scheint dabei keinerlei Zweifel oder Unklarheiten zulassen zu wollen, überlässt wenig der Vorstellungskraft oder Interpretation. Eine subtilere Vorgehensweise hätte Treasure sicherlich weniger aufdringlich und damit vielleicht sogar zugänglicher gemacht, hätte dem Publikum ermöglicht, eigene Schlüsse zu ziehen. Film kann über Bilder und Motive, über Blickwechsel und Bildausschnitte zusätzliche Bedeutungsebenen erzählen, die Zuschauer*innen dechiffrieren und darüber – vielleicht nicht einmal bewusst – Erkenntnisse gewinnen, Zusammenhänge verstehen, Emotionen nachfühlen.
Doch wo so viel über Sprache vermittelt wird und so wenig zu erspüren ist, bleibt die Erzählung vom transgenerationalen Trauma in Treasure vor allem genau das: eine Erzählung, die wir als Zuschauer*innen zwar beweinen, aber nur schwerlich begreifen können.
Vorstellungen bei der Berlinale 2024
Kinostart: 26. September 2024
- Irene von Alberti über Die geschützten Männer - 11. Dezember 2024
- Interview: Elizabeth Sankey über Witches - 25. November 2024
- FFHH 2024: Blindgänger - 2. Oktober 2024
Ich muss gestehen, dass ich diese Einschätzung nicht teilen kann. Als jemand der mit Menschen aufgewachsen ist, die den Holocaust überlebt haben, ist es weniger Erklärung als eine Art von Dokumentation, die auf ihre ganz eigene und poetische Art zeigt, wie es sich anfühlt nicht zu wissen wo man her kommt und was passiert ist.
Ein Film gegen das Vergessen auf sehr individueller Ebene. Ein Trauma das meine Generation, die der Enkel, oft für ihre Eltern aufarbeiten muss, musste. Und genau diese Karthasis, die nicht selten in der Realität noch emotionaler ist, ist es die uns ermöglicht unser Leben im Zwiespalt zwischen Erinnerung und Hoffnung zu leben.
Ist der Film voller Klischees, ja, aber welcher Film ist das bitte nicht?
Manchmal mus man etwas auch nicht begreifen, sondern kann es durch die Emotionen, die es hervorruft erleben. Sollte gutes Kino nicht genau das tun?
Vielen lieben Dank für Deine Perspektive auf den Film und die persönlichen und offenen Worte. Falls mein Text Deine Gefühle verletzt hat, tut mir das sehr leid. Ich bewerte ausschließlich die filmische Inszenierung der Geschichte und nicht die Geschichte selbst. Natürlich darf Kino Emotionen hervorrufen, die Frage für mich ist an dieser Stelle: auf welche Weise? Ruft es Gefühle hervor oder zwingt sie sie mir auf? Ich finde es gut, dass hier mit Deinem Kommentar auch eine positive Perspektive auf den Film zu lesen ist. Ich glaube, da können wir unterschiedlicher Meinung sein, ohne uns gegenseitig überzeugen zu müssen. Filmerlebnisse sind subjektiv.