Berlinale 2024: Mit einem Tiger schlafen

Wie ein Leben erzählen, wie dem Werk einer Person Rechnung tragen, dem Kern ihres Charakters ebenso wie ihren biografischen Entwicklungen? Anja Salomonowitz wagt den Versuch, in Mit einem Tiger schlafen die österreichische Malerin Maria Lassnig zu portraitieren und ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Dabei entscheidet sich die Regisseurin für eine Filmsprache, die – ähnlich wie Lassnigs eigene Kunst – Realität nicht abzubilden, sondern ihre Essenz zu erzählen versucht. Und so kommt es auch, dass die Hauptfigur mit der Ausnahme einzelner weniger Kindheitsszenen durchgehend von der immergleichen Birgit Minichmayr dargestellt wird. Ohne entsprechendes Make Up und mit wenigen zeitspezifischen Requisiten ist es vor allem das beeindruckende körperliche Schauspiel von Minichmayr, dass gleichzeitig eine Art Essenz von Maria Lassnig transportiert und doch verschiedene Etappen ihres Lebens markiert.

Minichmayr als Lassnig in ihrem Atelier. Sie sitzt auf einem Korbsessel, weit zurückgelehnt mit geschlossenen Augen. Sie trägt ein blaues Unterhemd. Neben ihr ein Regal mit Malutensilien. Im Hintergrund Gemälde in Blautönen.

© coop99 Filmproduktion

Im Zentrum des Films steht die Kunst, von der ausgehend sich die Geschichte ihrer Schöpferin entwickelt. Einzelne Bilder leiten Episoden von Lassnigs Leben ein oder fassen sie zusammen, kaum eine Szene kommt ohne eines ihrer Gemälde aus. Gegen die bunten Motive Lassnigs, ihre surrealen Selbstportraits und Untersuchungen von Körpern und Emotionen in starken Farben, wirkt der Film reduziert, mit wenigen und sich stark ähnelnden Settings. Die Ateliers in verschiedenen Großstädten, in denen die Künstlerin arbeitet, unterscheiden sich nur durch die wenigen Einrichtungsgegenstände oder Hintergrundgeräusche. Wiederholt bricht der Film mit seiner eigenen Illusion, wenn Figuren direkt in die Kamera sprechen oder sich gar dokumentarische Interviewsequenzen in die Handlung mischen. Die ist zwar grob chronologisch strukturiert, unternimmt aber immer wieder assoziative Sprünge, um beispielsweise die Beziehung Lassnigs zu ihrer Mutter und deren Einfluss auf ihr späteres Leben und Schaffen zu betrachten.

Maria Lassnig in ihrem Atelier. Sie steht mit dem Rücken zu uns, trägt ein Unterhemd und eine Unterhose, stemmt die Hände in die Hüften. Vor ihr an der weißen Wand hängt ein großes weißes Blatt Papier.

© coop99 Filmproduktion

Während Maria Lassnig in ihrem BioPic das unangefochtene Zentrum darstellt, steht sie in ihrem Leben oft im Schatten männlicher Künstler, allen voran Arnulf Rainer, der hier verkörpert vom nicht mal 20jährigen Oskar Haag einen starken Kontrast zu Minichmayr als Lassnig bildet. Die Künstlerin, tatsächlich zehn Jahre älter als Rainer, wirkt hier noch einmal deutlich reifer, weiser und talentierter als der junge Mann, dessen Erfolg im Kontext dieses Films zuweilen gar lächerlich oder absurd erscheinen muss. Wiederholt bleibt Maria Lassnig ein vergleichbarer Erfolg und die darin enthaltene Wertschätzung verwehrt, was die im Film durchgehend spröde und menschenscheue Frau immer verbissener werden lässt. Als an ihrem Lebensende die Kunstwelt endlich den künstlerischen, aber auch monetären Wert ihrer Werke entdeckt, kann sie darin keine Befriedigung mehr finden. Die Entschiedenheit, mit der sie durchgehend ihr Talent und ihren Wert behauptet und die sich im Alter in Überlegenheit oder gar Arroganz wandelt, lässt die Maria Lassnig des Films zuweilen schwer zugänglich bis hin zu unsympathisch erscheinen.

Minichmayr als Maria Lassnig im Zentrum des Bildes. Sie trägt eine große Brille und eine Leopardenfelljacke und eine Krawatte auf der "Police" steht. Sie stemmt die Arme in die Hüften. Im Hintergrund sehen wir unscharf Ausstellungsräume mit ihren Bildern. Links von ihr eine junge Person mit Brille und weißem Anzug mit buntem Muster, die sie anlächelt. Rechts von ihr eine Person mit kurzen Haaren und rosa Hemd, die aus dem Bildausschnitt heraus vermutlich auf ein Gemälde Lassnigs blickt.

© coop99 Filmproduktion

Aber es geht Anja Salomonowitz augenscheinlich auch nicht darum, ihre Heldin zur Sympathieträgerin zu machen, mit der das Kinopublikum mitfühlen kann. Wenn sie den Kunstbetrieb als frauenfeindlichen und sexistischen Raum zeichnet, in dem Maria Lassnig immer wieder schmerzhafte Niederlagen erleidet, dann aus einer feministischen Analyse heraus und nicht zum Zwecke einer emotionalen Rührung ihrer Zuschauer*innen. Und wenn insbesondere die späte Lassnig zunehmend wie eine Diva erscheint, dann vermutlich vor allem deshalb, weil uns diese Einordnung genau jenen Sexismus in der Kunst vorführt, der für männliche Künstler kein entsprechendes Label kennt. Mit einem Tiger schlafen bricht ein ums andere mal mit formalen und inhaltlichen Erwartungen seines Publikums und kann ihm auf diese Weise auch ein bisschen etwas über sich selbst erzählen.

Aus dem Mosaik der mal realistischen, mal surrealen Spielszenen, Interviews und vielen, vielen Beispielen von Lassnigs Kunst setzt Editorin Joana Scrinzi ein schlüssiges Gesamtwerk zusammen, das weniger eine Geschichte als eine Figur erzählt, weniger eine Narration darstellt als ein Bild. An einer Stelle des Films kritisiert Lassnigs Mutter die Kunst ihrer Tochter dafür, dass ihre Modelle sich in den Portraits nicht wiedererkennen könnten, und die junge Künstlerin entgegnet, diese Leute hätten eben keine Ahnung von moderner Kunst. Und so verhält es sich auch mit diesem Film: Er will kein fotorealistisches Abbild schaffen, wie dies ein klassisches BioPic täte, sondern mit den Mitteln der Kunst den Blick einer Künstlerin auf die andere manifestieren: den von Anja Salomonowitz auf Maria Lassnig.

Termine bei der Berlinale 2024

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)