Berlinale 2024: Janet Planet – Kurzkritik

Weil sie wie gewohnt Schwierigkeiten hat, soziale Kontakte zu etablieren, bricht die 11-jährige Lacy (Zoe Ziegler) das Sommerferiencamp vorzeitig ab. Womit sie nicht gerechnet hat: Zuhause wartet nicht nur ihre Mutter Janet (Julianne Nicholson), sondern auch deren neuer Freund Wayne (Will Patton) und somit eine unliebsame Konkurrenzsituation. Immerhin macht sich Wayne alsbald auch bei Janet unbeliebt. Doch mitnichten steht nun der ersehnte Sommer zu zweit an, denn bald schon taucht die nächste Konkurrenz vor der Tür auf.

Ihr Spielfilmdebut Janet Planet erzählt Annie Baker mit großer Ruhe und wenigen Worten. Lacy und auch ihre Mutter wirken mit ihren ausdrucksarmen Gesichtern emotional gedämpft, der Plot ist ereignisarm und die Narration unaufgeregt, entspinnt sich langsam und ohne nennenswerte Spannungsbögen. Die Sommerferien plätschern so dahin und das Haus inmitten einer wilden Natur aus Sträuchern und Bäumen, in dem sich ein Großteil der Handlung abspielt, wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen.

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___STEADY_PAYWALL___Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist schwer zu greifen, wirken beide doch trotz körperlicher Nähe oft distanziert. Annie Baker erzählt sie über Bilder und Situationen und macht die Sprachlosigkeit zum inhaltlichen System: „What do we even talk about when we talk about mothers?“ fasst es im späteren Verlauf des Films die Hausgästin Regina (Sophie Okonedo) zusammen. Sowohl Lacy in ihrem frühen Adoleszenzprozess wie auch Janet versuchen eine Antwort auf diese Frage zu finden: Worin besteht denn die Beziehung zwischen Mutter und Tochter? Wie viel Nähe, wie viel Distanz braucht sie?

Dabei geht Annie Baker in ihrer Untersuchung von Begegnung über die familiäre Einheit hinaus und betrachtet Zwischenmenschlichkeit allgemeiner, zeigt Freund*innenschaft und Paarbeziehung. Und bei all dem ist es immer die Frage nach Grenzen, Nähe und Distanz: Wie nah können wir einander kommen, ohne uns selbst aber auch das Gegenüber aus dem Blick zu verlieren? Während Lacy schmerzhaft erfahren muss, dass ihre Mutter eine eigenständige, von ihr selbst verschiedene Person ist, muss auch Janet ihr Bedürfnis hinterfragen, sich immer wieder in anderen Menschen zu verlieren.

Am Ende steht der Ausbruch aus dem gemeinsamen Mikrokosmos. In Lacys Mimik spiegelt sich Schmerz wie auch Freude, wenn sie Janet beim Country Dance beobachtet, ausgelassen von einer Person zur nächsten tanzend, immer wieder in neuer Gesellschaft und doch stets bei sich. Und damit ist auch Lacys Aufgabe gesetzt: ihre Mutter zu einer Person von vielen werden zu lassen, um sich selbst als Person zu finden.

Vorführungen bei der Berlinale 2024

Sophie Charlotte Rieger
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