Barbie
Endlich ist er da: der Barbie-Film aus der Feder von Greta Gerwig und Noah Baumbach. Dass viele das pinke Ereignis schon seit langem sehnlichst erwartet haben, liegt an der überaus wirksamen Marketingstrategie rund um den Film, die uns seit Wochen und Monaten wenig zurückhaltend mit Bildern und Trailern versorgt. Während der Produktion fand sogar ein eigenes Festival mit jenen Filmen statt, die die Konzeption von Barbie beeinflussten – darunter viele Musicals aus der Ära des Klassischen Hollywood der 1940 und -50er Jahre. Die Puppe aus unserer Kindheit, das Produkt aus dem Hause Mattel, ob wir sie mochten oder nicht, wir eine besaßen oder nicht, wir wollen sehen, wie Margot Robbie (die über die von ihr mitbegründete Produktionsfirma LuckyChap die Initialzündung für den Film lieferte und Gerwig mit der Inszenierung beauftragte) als Barbie im Barbieland lebt und welche Portion Feminismus in dieses Spiel hineingelangt.
Die stereotype Barbie (Margot Robbie) verbringt einen perfekten Tag nach dem anderen in Barbieland, wo alle „Probleme des Feminismus und der Gleichberechtigung“ gelöst sind, wie wir aus dem Off erfahren. Jeden Abend verbringt sie mit ihren Freundinnen namens Barbie, von denen jede einen anderen Beruf ausübt. Ken würde gerne mal vorbeikommen – um was zu tun eigentlich? – aber Pyjamaparty im Hause Barbie hat jeden Abend Priorität. Eines Tages erwähnt Barbie auf einer Party zum Schock aller plötzlich den Tod, das Duschwasser fühlt sich unangenehm an, der Toast verbrennt, Barbie bekommt Cellulite, fällt hin – eine existenzielle Krise kündigt sich an. Stereotypical Barbie sucht Hilfe bei weird Barbie (Kate McKinnon), die auf einem Hügel über dem Rest des Ortes wohnt und flippiger aussieht als der Rest. Sie klärt auf: Barbie muss in die reale Welt, irgendwo nach Kalifornien aufbrechen, um den Draht zu ihrer Besitzerin wieder herzustellen und den Riss in der Membran zu kitten.
In farbenfrohen wechselnden Outfits macht sich Barbie mit diversen pinken Transportmitteln also auf den Weg und Ken (Ryan Gosling) gelingt es, sich in letzter Sekunde aufzudrängen. In Venice Beach angekommen, prallen zwei Welten aufeinander: die emanzipierte, bunte Barbie und der bunte Ken, der darauf gepolt ist, als bescheidener Nebendarsteller an ihrer Seite zufrieden dreinzuschauen, treffen auf die Realität: das eintönige Patriarchat. Es wirkt wie die Entblätterung der Illusion eines Postfeminismus, in der Barbie bisher lebte. Auf dem harten Reality-Check wird sie angemacht, begrabscht, objektifiziert. Ken entdeckt währenddessen euphorisch, dass Männer und Pferde (!) in der realen Welt alles können und dürfen. Eine Idee, die Ken nach Barbieland importieren wird, um von nun an die Kens regieren zu lassen. Doch vorerst trifft Barbie noch auf die gesuchte Teenagerin (Ariana Greenblatt), die Barbie wider Erwarten hasst – „You are a fascist“ – und ihre Mutter (America Ferrera) sowie den pseudo-woken Chef von Mattel (Will Ferrell), der Barbie zurück in ihre Verkaufsschachtel bugsieren möchte.
Dass Spielzeuge in die Menschenwelt eintauchen oder zum Leben erwachen, mag keine neue Idee sein, im Fall von Barbie macht das aber besonders Spaß: den Körpern, Bewegungen und Äußerungen der Darsteller:innen in den großteils realen Sets zuzusehen sowie die spielerische Verknüpfung mit aktuellen Diskursen zu rezipieren. Eine Off-Stimme begleitet die Erzählung und klärt uns zu Beginn über die vermeintlichen Ideale, die die Puppe verkörpert, auf: von Ruth Handler erfunden und 1959 auf den Markt gekommen, sollte sie Mädchen empowern, sich in allen Berufen und Tätigkeiten des Lebens sehen zu können. Kritik an dem von Barbie propagierten Körperbild resultierte Jahrzehnte später in neuen, vielfältigeren Modellen. Dass allerdings ausgerechnet wieder die von Margot Robbie verkörperte „perfekte“, stereotype blonde Barbie mit einem perfekten, blonden Ken im Zentrum steht, gibt einem weißen, binär geprägten Feminismus im Hinblick auf die Erzählung die größte Bühne. Genderneutralität steht in der Narration von Barbie nicht im Vordergrund, Geschlechterdiversität zeigt sich dafür aber in der Besetzung. Fox News hetzte bereits gegen den „woken“ Film, da die Trans-Schauspielerin Hari Nef die Rolle als Dr. Barbie besetzte, sowie aufgrund der Mitwirkung der lesbischen Komikerin Kate McKinnon.
Barbie versäumt es nicht, diese Feinde der Wokeness aufs Korn zu nehmen: als Ken mit den anderen Kens Barbieland in Kendom verwandelt, ziert eine dicker Fellumhang seinen stählernen Körper, mit dem er sich Bier von den Barbies, inklusive der ehemaligen Präsidentin (Issa Rae), bringen und sich anschmachten lässt, während er The Godfather mansplaint. Nur Allan (Michael Cera), der beste Freund Kens und die einzige männliche Puppe mit einem eigenen Namen, stellt sich als Verbündeter im Kampf um Barbieland an die Seite der Barbies. Die Outfits und das Verhalten der Kens lesen sich als Anspielung auf den Sturm auf das Kapitol von Trump-Anhängern. An unterhaltsam-kritischen Anspielungen aus Filmgeschichte, Popkultur und Politik spart Barbie ohnedies kaum. Die gesellschaftskritische Note erhält bei der gleichzeitigen Dauerwerbung für den Großkonzern Mattel – und zuweilen Birkenstock und Chanel – aber auch einen fahlen Beigeschmack. Barbie wird der bittersüße Inbegriff für diese reale Verstrickung von Diskurs und Konsum, von Wokeness und Vermarktung, von der Hervorhebung weißer, dünner Körper bei einer gleichzeitigen Bejahung einer Vielfalt von Identitäten und Körpern, die nur im Hintergrund agieren. Kann pink die Lösung sein? Kann die Barbiewelt, als Überzeugung aus dem Kinderzimmer, eine Symbiose mit der „real world“ eingehen? Kann die Rivalität zwischen Kens und Barbies zu einem inklusiven land führen oder wird sie doch Dichotomien konsolidieren? Oder kann letztlich nur der Soundtrack mit den Stimmen von Nicki Minaj, Ice Spice („I’m a doll, but I still wanna party“), Billie Eilish („What was I made for?“) und Dua Lipa („Dance the Night away“) über eine verlorene Utopie von Empowerment hinwegtrösten?
Alle Individuen – auch wenn sie gleiche Namen tragen – sind perfekt, möchte uns dieses Märchen, das vor allem auf Millenials und vorangegangene Generationen zugeschnitten ist, sagen. Alle sind perfekt, wenn sie ihre individuelle Perfektion feiern. Ist es so einfach? Die Trennlinie zwischen den Barbies und Kens weicht nie auf. Und so baut Barbie schlussendlich auf Binaritäten auf: der Barbies und der Kens, des weiblich und männlich gelesenen Geschlechts, der konservativen und der liberalen Welt, des Pink und des Schwarz, der feministischen Fantasiewelt und der patriarchalen Realität, der Macht und Machtlosigkeit einer Gruppe. Darin sowie der dramaturgischen Struktur erinnert Barbie an klassische Märchengeschichten von Gut und Böse, Chaos und Harmonie und unterschlägt vor lauter Hyperfemininity eine wesentliche Seite feministischer Strömungen: Geschlechtergrenzen aufzuweichen, mehr Komplexität zuzulassen und Spektren aufzuzeigen, die über das Integrieren unterschiedlicher Barbiemodelle hinausgehen. Dennoch: Barbie macht Spaß und empowert auf seine pinke, bejahende, individualistische Art.
Ab 20.07.2023 im Kino.
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