Anleitung zum Unglücklichsein
Dieser Artikel erschien zuerst auf kino-zeit.de
Mit Hilfe der paradoxen Intervention versuchte der Psychotherapeut und Schriftsteller Paul Watzlawick in den 80er Jahren, der Menschheit ihren zwanghaften Drang zum Unglücklichsein vor Augen zu führen. Sein Buch Anleitung zum Unglücklichsein hält, was der Titel verspricht und bietet zahlreiche Anregungen, wie sich die Leser_innen das eigene Leben erfolgreich zur Hölle machen können. Regisseurin Sherry Hormann (Wüstenblume) ist der literarischen Vorlage insofern treu geblieben, als dass ihrer Hauptfigur Tiffany (Johanna Wokalek) die Ironie Watzlawicks entgangen zu sein scheint, denn wenn die junge Frau* etwas beherrscht, dann ist es die Fähigkeit, ihr eigenes Unglück zu kultivieren.
Nach dem Abbruch ihres Medizinstudiums hat Tiffany einen Feinkostladen eröffnet, den sie erfolgreich in Zusammenarbeit mit Rita (Katharina Marie Schubert) und Luise (Margarita Broich) führt. Unterstützt werden die drei Frauen von Luises geistig behindertem Neffen Benno (David Kross), der leidenschaftlich Blumen aus Mohrrüben schnitzt, ansonsten aber wenig Produktives beizutragen weiß. Tiffanys Leben dreht sich um das frühe Aufstehen, die Arbeit im Laden und das Heraufbeschwören pessimistischer Zukunftsvisionen. Das Lachen hat sie schon lange verlernt, aber wen wundert das in Anbetracht dessen, dass ihre tote Mutter (Iris Berben) in den unmöglichsten Momenten erscheint und der Tochter auch den letzten Rest positiver Energie stiehlt. Mit dem Vater (Rüdiger Vogler) redet Tiffany seit Jahren nicht mehr und ein Mann ist auch nicht in Sicht. Aber wer sollte sich auch für jemanden interessieren, die so mittelmäßig ist wie Tiffany?
Sherry Hormanns Tiffany hat Watzlawicks Anleitung zum Unglücklichsein in der Tat etwas zu ernst genommen. Sie schafft es, auch die schönsten Momente durch ihren Pessimismus zu zerstören. Scheint die Sonne, denkt sie schon an den – wann auch immer – bevorstehenden Regen und von der Zukunft erwartet sie nur das Schlechteste. Bei aller Vorlagentreue, die in Tiffanys Vermeidung jeglicher Lebensfreude steckt, ist ihr Charakter für das Filmkonzept problematisch. Denn wie auch im wahren Leben ewige Nörgler_innen selten mit einem großen Freundeskreis gesegnet sind, ist auch Tiffany alles andere als eine Sympathieträgerin. Ihre Naivität und Hilfsbereitschaft schützen sie zwar davor, dass ihre andauernde Schwarzmalerei beim Publikum echte Antipathie auslöst, eine Identifizierung mit der Figur ist aber dennoch kaum möglich. Das ist doppelt schade. Zum einen leidet das Filmerlebnis, denn ohne die Einfühlung in die Hauptfigur müssen Tiffanys amouröse Irrungen und Wirrungen letztendlich uninteressant bleiben. Gleichzeitig kann Anleitung zum Unglücklichsein nicht mit dem Charme der literarischen Vorlage mithalten, die ja ihre Wirkung gerade dadurch entfaltet, dass sich die Leser_innen vor lauter Selbsterkenntnis bei nahezu jeder Seite die flache Hand vor die Stirn klatschen.
Vielleicht hätte es dem Film gut getan, die charmanten Nebenfiguren stärker in den Fokus zu rücken. Neben der Belegschaft des Feinkostladens treten mit Richy Müller als melancholischem, alterndem Klavierlehrer und Michael Gwisdek als Vermieter und Ratgeber Paul (Watzlawick?) weitere liebenswerte Figuren auf, die dem Zuschauer weitaus mehr ans Herz wachsen als Tiffany.
Mit Hilfe einer soliden Dramaturgie schafft es Sherry Hormann die fehlende Bindung an die Hauptfigur einigermaßen auszugleichen. Auch die knappe Länge des Films führt dazu, dass sich Anleitung zum Unglücklichsein trotz allem in die Kategorie „kurzweilige Unterhaltung“ einordnen lässt. Problematisch ist in dieser Hinsicht lediglich, dass die Geschichte ohne große Dramatik so unbeschwert vor sich hin plätschert, dass die Zuschauenden den Wendepunkt zu verpassen drohen und Tiffanys finale Wesensänderung daher ebenso wenig nachvollziehen können wie ihren anfänglichen Pessimismus.
Die Verfilmung des paradoxen Ratgebers Anleitung zum Unglücklichsein kann einen Großteil der lebensverneinenden Haltung der Vorlage transportieren. Leider gelingt es Regisseurin Sherry Hormann nicht, auch die Ironie Paul Watzlawicks zu übernehmen. Doch es ist genau diese ironische Distanz, die dem Buch nicht nur seinen Witz verleiht, sondern es dem Leser auch ermöglicht, sich schmunzelnd selbst zu erkennen. Ohne die Ironie fügt sich Anleitung zum Unglücklichsein passgenau in das Selbstbild der Hauptfigur: mittelmäßig und ohne großen Wiedererkennungswert.
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