Blockbuster-Check: Life
Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehme ich im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.
Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!
Held_innen und Geschlechterrollen allgemein
Was mich an Life am meisten begeistert hat, ist das Fehlen einer hierarchischen Gewichtung der Figuren. Ich verzichte in diesem Fall auf die Unterscheidung zwischen der Kategorie „Held_innen“ und „Geschlechterrollen allgemein“, da nicht eindeutig zwischen Haupt- und Nebenfiguren unterschieden werden kann.
Durch das Setting im Raumschiff ist der Cast auf sechs Personen begrenzt, eben jene Austronaut_innen, die an der Marsmission teilnehmen. Sicherlich ließe sich über die Frauen*quote von 2:4 streiten. In Anbetracht der vorherrschenden Marginalisierung von Frauen*figuren im Hollywoodkino bin ich aber mit einer solchen Verteilung – trauriger Weise – schon zufrieden.
Viel wichtiger als die quantitative Verteilung ist aber die qualitative. Commander des Raumschiffs ist eine Frau*. Die Sicherheitsbeauftragte ist ebenfalls eine weibliche* Figur. Beide sind klar durch ihre spezifischen Aufgaben innerhalb der Mission gekennzeichnet und zu keinem Zeitpunkt Dekorationsobjekte. Diese Figuren sprengen zudem das Stereotyp der Hysterikerin, indem sie – oftmals im Unterschied zu ihren männlichen* Kollegen – in Gefahrensituationen Ruhe bewahren. Sie urteilen nicht emotional, sondern rational, setzen für das Gelingen der Mission bzw. die Sicherheit der Crew ihr Leben aufs Spiel und eignen sich damit nahezu die Märtyrerinnenrolle an, die auch dieser Tage fast ausschließlich Männern* vorbehalten ist.
Nahezu… Denn am Ende ist es dann doch ein Mann*, der sich für das große Ganze opfern möchte. Glücklicher Weise findet der Film hierfür eine Erklärung, die über das Klischee der schützenswerten Frau* hinausgeht: Er ist einfach qualifizierter für diesen Part der Rettungsmission. Dennoch bleibt die sexistische Logik bestehen, dass es im Zweifelsfall die Heldin ist, die durch den Helden gerettet oder geschützt werden muss statt andersherum.
Dass Life nicht vor Geschlechterstereotypen gefeit ist, zeigt auch ein anderes Detail: der Schöpfungsmythos des Lebens. Und dieser ist – wie der Titel markiert – für den Film zentral. Die Handlung stellt dabei zwei Wege der Lebensschöpfung recht offensichtlich nebeneinander: die Geburt eines Kindes und den wissenschaftlichen Schöpfungsakt außerirdischen Lebens (mit etwas Unwill ließe sich hier eine kritische Botschaft zu Reagenzglas-Babys hineinlesen). Und während die natürliche Geburt einer Cis-Frau* vorbehalten ist, wird der kreative und damit „göttliche“ Schöpfungsakt von einem Mann* ausgeübt.
Im Namen der Intersektionalität möchte ich an dieser Stelle unbedingt erwähnen, dass es sich bei diesem Helden um eine Person of Color mit Behinderung handelt – ein querschnittsgelähmter schwarzer Wissenschaftler im All. Ich finde das ziemlich großartig! Gleichzeitig, ebenfalls im Namen der Intersektionalität, muss aber auch hinzugefügt werden, dass die beiden weiblichen* Figuren weiß sind und sich die ethnische Diversität und Körpervielfalt allein auf die Männer* beschränkt.
Gegenspieler_innen
Der Bösewicht ist, wie sollte es auch anders sein, hier der Außerirdische, das Andere, das Fremde. Dabei handelt es sich wie schon in Kong nicht um eine dieser Lebensform inhärente Bösartigkeit. Vielmehr erhält der außerirdische Organismus eine Form der Charakterzeichnung, wenn seine Aggressionen deutlich sichtbar als Verteidigungsreaktion erklärt werden. Im Grunde kämpft der Alien genauso um sein Überleben wie die übrigen Filmfiguren. Während das Wesen auf Grund seiner Andersartigkeit eigentlich geschlechtslos ist – zumindest lassen sich die menschlichen Mann/Frau-Kategorien hier eindeutig nicht anwenden – trägt die Figur dennoch einen Männer*namen: Calvin. Einerseits scheinen der Film und auch seine Figuren den Organismus als Individuum und Charakter zu begreifen, was ihn in Kombination mit dem Namen Calvin als „männlichen* Bösewicht“ ausweist. Andererseits wird über das Alien in der Regel mit dem Pronomen „es“, also geschlechtsneutral gesprochen.
Dresscode und Sexappeal
Life macht beim Kostüm keine Unterscheidung zwischen männlichen* und weiblichen* Figuren: Alle tragen die dem Setting angemessene Funktionskleidung. Eine Sexualisierung der Figuren findet ebenso wenig statt – weder durch die Kamera, noch durch die Erzählung, noch durch Kommentare der männlichen* Figuren. Volle Punktzahl in dieser Kategorie!
Dramaturgie
Hier wird es knifflig. Obwohl die Figuren derart gleichberechtigt scheinen, schlich sich bei mir insbesondere zum Ende des Films das Gefühl ein, dass die Frauen* für den Verlauf der Dinge insgesamt verzichtbarer seien. Auf struktureller Ebene, also in Hinblick auf ihre Funktion für die Storyline, haben die weiblichen* Figuren in Life tatsächlich deutlich weniger Macht als die männlichen*. Die großen Wendepunkte der Geschichte entstehen durch Entscheidungen der Helden (und Bösewichte, wenn wir Calvin als männlichen* Akteur* betrachten wollen). Auch entspricht der Anteil der Frauen* am Gesamtdialog des Films nicht der Geschlechterverteilung von 2:4: Sie haben deutlich weniger zu sagen. Auffällig ist außerdem, dass die Heldinnen eklatant wenig Kontakt miteinander haben, selten im selben Bildausschnitt auftauchen und noch seltener miteinander in den Dialog treten.
Botschaft
Die Kategorie „Gender“ verliert im All an Bedeutung.
Gesamtwertung: 7
von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)
Kinostart: 23. März 2017
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