Certain Women

Diese Frauen*, diese ganz bestimmten Frauen*… Der Titel von Kelly Reichardts neuem Film klingt wie die Einleitung zu einer sexistischen Anekdote, denn Certain Women kann sowohl mit „selbstsichere Frauen*“ als auch mit „gewisse Frauen*“ übersetzt werden. Die Zuschauer*innen werden bewusst auf die falsche Fährte gelenkt und versuchen, aus der episodischen Erzählung dreier lose verknüpfter Einzelschicksale eine allgemeingültige Aussage zu generieren, die nicht getroffen werden kann. Diese ganz bestimmten Frauen* gibt es nicht.

Und doch existiert zwischen Laura (Laura Dern), Gina (Michelle Williams) und Jamie (Lily Gladstone) eine Verbindung. Es sind starke, aber auch einsame Frauen*, die kleine Herausforderungen meistern, ohne in eine Krise zu geraten. Sie stehen im eklatanten Gegensatz zum Klischee der Hysterie, das weibliche* Filmfiguren so oft bedienen müssen, sprechen betont leise, langsam und bedacht und nehmen das Leben als solches mit all seinen Hürden bedingungslos an. Kein Grund zur Aufregung, kein Grund zur Verzweiflung.

© Peripher

Kelly Reichardts Inszenierung dreier Kurzgeschichten von Maile Meloy spiegelt diese Ausgeglichenheit mit langen Einstellungen und einer unaufgeregten Inszenierung wider, die größtenteils ohne Musikuntermalung auskommt. Die Erzählung ist subtil und lebt von der Beobachtung: Durch Atmosphäre, Kameraperspektiven und Blickwechsel weiß Reichardt uns alles über ihre Figuren zu vermitteln, das wir zum Verständnis ihrer Persönlichkeit benötigen. Auf diese Weise zeichnet sie komplexe Porträts dreier Frauen* unterschiedlichen Alters.

Da ist die Anwältin Laura, die vor der unangenehmen Aufgabe steht, ihrem Klienten Fuller (Jared Harris) die Ausweglosigkeit seiner Lage vor Augen zu führen. Hin- und hergerissen zwischen dem moralischen Bedürfnis, gegen die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit zu kämpfen, und einer professionellen und von Vernunft getriebenen Distanz, bleibt sie schließlich der eigenen Linie treu und verliert doch nie ihre Menschlichkeit.

Da ist die beruflich erfolgreiche Gina, die sich mit ihrem Lebensgefährten und der gemeinsqamen Tochter aufs Land zurückziehen möchte und damit den Unmut des pubertierenden Teenagers auf sich zieht. Auch sie ist in einem Dilemma gefangen, möchte einem Nachbarn (Rene Auberjonois) Baumaterial abkaufen und spürt zugleich die emotionale Bindung des alten Mannes* zu den Steinen auf seinem Grundstück. Auch Gina verfolgt selbstbewusst ihr Ziel – mit Rücksicht auf Verluste und doch entschieden.

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Und da ist Jamie (Lily Gladstone), eine Pferdepflegerin in der Einsamkeit des amerikanischen Westens, die sich in die Juristin und Teilzeitlehrerin Beth (Kristen Stewart) verliebt. Zögerlich und respektvoll nähert sich Jamie Beth an, unsicher nicht nur über deren Reaktion, sondern auch die eigenen Gefühle.

Von einer Episode zur nächsten bewegt sich der in Montana angesiedelte Film zunehmend aus der Stadt hinein in die Natur, an die „Frontier“, die sagenumwobene Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis, in das Spannungsfeld, auf dem sich in der US-amerikanischen Literatur, Musik, Malerei und Filmproduktion zahlreiche dramatische Westernhandlungen abspielen, Menschen sich beweisen und Grenzen, aber immer auch ihren Platz in der Gesellschaft suchen.

Es ist diese Suche, die Reichardts Figuren schließlich eint, selbst wenn sie nicht dasselbe Ziel verfolgen. Laura und Gina sehen sich auf beruflicher Ebene mit sexistischen Gesellschaftsstrukturen konfrontiert, die ihnen weniger als den verdienten Respekt zukommen lassen. Während Lauras Klient ihre Einschätzung der Lage erst nach der Bestätigung durch einen männlichen Anwalt akzeptiert, wird Gina wie selbstverständlich als Angestellte ihres Mannes behandelt, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Jamie wiederum befindet sich auch geografisch am Rande einer Gesellschaft, die sie als Frau* jenseits des Stereotyps gar nicht wahrzunehmen scheint. Und so kämpfen alle drei um Anerkennung und Sichtbarkeit, darum, nicht nur als „diese gewissen Frauen*“ gesehen zu werden, sondern als ganze Menschen.

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Certain Women tut genau das, wirft einen umfassenden und feinfühligen Blick auf drei Figuren, die sich ihre Bühne nicht durch Dramen erkämpfen müssen. Mit einem zärtlichen und herzerwärmenden Humor zeichnet Kelly Reichardt melancholische und doch nie pessimistische Bilder.

Das Ende ihres Films, die Rückkehr zu allen drei Protagonistinnen, mag ein wenig zu versöhnlich geraten sein, zeigt aber auch das „ganz normale Leben“. Reichardts Hauptfiguren müssen keine Heldinnen sein, um unsere Aufmerksamkeit zu verdienen. Diese gewissen, ganz bestimmten Frauen*, die eben keine ganz bestimmten sind, verdienen unser aufrichtiges und differenzierteres Interesse auch jenseits von Dramen und emanzipatorischen Siegeszügen. Certain Women erzeugt Respekt, ohne zu überhöhen. Einen Respekt, den eben nicht nur „diese gewissen Frauen*“ verdienen, sondern alle.

Kinostart: 2. März 2017

Sophie Charlotte Rieger
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