DVD: Angel of Mine
Lizzie (Noomi Rapace) ist eine seelisch verwundete Frau. Ihre Ehe mit Mike (Luke Evans) ist geschieden, Sohn Thomas (Finn Little) möchte lieber bei seinem Vater wohnen. Ihr Ringen um ein “normales”, gut ausbalanciertes Leben bleibt trotz Psychopharmaka vergeblich. Dann glaubt sie in Lola (Annika Whiteley) ihre Tochter zu erkennen, die als Baby bei einem Krankenhausbrand ums Leben kam. Über eine Freund:innenschaft mit Lolas Mutter Claire (Yvonne Strahovski) versucht Lizzie, dem Mädchen näher zu kommen, doch aus der zaghaften Annäherung wird eine selbstzerstörerische Manie. So droht der Schmerz einer verwaisten Mutter in Angel of Mine zwei Familien zu zerstören.
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Regisseurin Kim Farrant inszeniert die seelische Benommenheit ihrer Protagonistin in hellen, jedoch kontrastarmen Bildern, das bedächtige Tempo, mit dem sie die Erzählung entwickelt, spiegelt die Zähigkeit, die Lizzies Depression ihrem Leben verleiht. In diese Schwere dringt Lola mit der unbeschwerten Leichtigkeit eines Kindes ein und setzt damit früh einen zentralen Punkt, auf den sich Lizzie mit wachsender Energie zu bewegt. Noomi Rapace verleiht ihrer zutiefst verletzten Figur eine im Unglück erstarrte Mimik, die sich nur beim Anblick des Sohnes und Lolas erhellt. In Begegnungen mit anderen Erwachsenen ist Lizzie verschlossen und scheu, als schirme sie ein Geheimnis, eine Verwundbarkeit vor ihnen ab – und das tut sie ja auch.
Farrant verdeutlicht einfühlsam, dass das Leid, ein Kind zu verlieren, in vielerlei Hinsicht unaussprechlich ist – für die Eltern selbst, aber auch als Tabu in der Gesellschaft. Lange bleibt die Tragödie ungenannt, Lizzies Trauer wird vom Ex-Ehemann als “die Finsternis in Dir” umschrieben. Stattdessen verweisen Details auf den Ursprung von Lizzies psychischer Labilität, etwa wenn Lizzie Kerzen auf einer Geburtstagstorte anzündet und Thomas ermahnt: “Wir dürfen sie nicht vergessen!”, oder ihre Aussage, sie habe Kinder, die sie dann jedoch im Verlauf des Gesprächs korrigiert, weil nur ein Kind bei ihr lebt. Die Menschen in ihrer Umgebung, die davon wissen, scheinen vor allem von ihr zu erwarten, dass sie darüber hinweg kommt, weshalb es ihr unmöglich ist, ihnen von ihrem Verdacht zu erzählen. Durch die Auslassungen und vagen Andeutungen in den Gesprächen mit ihrem Ex-Ehemann und den Eltern, auch in ihren Lügen gegenüber dem Therapeuten, wird der Tod des Kindes zu einer deutlich umrissenen Leerstelle. Lizzie wehrt sich mit passivem Widerstand gegen die Erwartungen ihrer Familie und der Gesellschaft, diesen Verlust hinter sich zu lassen, und die entstandene Lücke mit anderen Lebensinhalten zu füllen. Denn die Leere ist alles, was ihr von ihrer Tochter geblieben ist.
Damit thematisiert Angel of Mine ein gesellschaftliches Defizit, mit dem verwaiste Eltern zu kämpfen haben: Sie empfinden noch stets die Elternschaft, doch in ihrem Alltag ist das Kind nicht vorhanden. Dies trifft zu, wenn der Todesfall innerhalb der Kindheit und Jugend eintritt, doch umso mehr wenn ein Kind vor, während oder kurz nach der Geburt verstirbt. Wenn das verstorbene das einzige Kind ist, gelten die Eltern für Institutionen und in der Wahrnehmung ihres Umfeldes als kinderlos, in Familien mit Geschwisterkind wird das “Sternenkind” nicht als Familienmitglied mitgezählt. Für die Eltern selbst bleibt die Existenz des Kindes jedoch eine Tatsache, die vielleicht nicht anfassbar, aber unleugbar wahr ist. Aus dieser Unstimmigkeit zwischen gefühlter und faktischer Realität entsteht Sprachlosigkeit und Isolation, die Kim Farrant hier quälend nachfühlbar abbildet.
Die Musik in Angel of Mine sorgt immer wieder für das Gefühl einer Bedrohung, doch die Inszenierung lässt offen, wem sie gilt. Lola oder Claire könnten in körperlicher Gefahr sein, weil Lizzies Idee zu einer echten Psychose zu werden scheint. Die trauernde Mutter könnte in eine Situation geraten, in der sie sich einem schonungslosen Gespräch stellen muss oder in der ihren Annäherungsversuchen Grenzen gesetzt werden; so oder so ginge ihre Hoffnung verloren, Lola als ihre Tochter in ihr Leben zu holen. Indem Farrant weder Claire noch Lizzie eindeutig als Antagonistin positioniert, baut sie eine anhaltende Spannung auf und lässt Raum für die gleichberechtigte Identifikation mit beiden Müttern. Deren Bedürfnis, nämlich das nach einer intakten Familie, ist gleichermaßen nachvollziehbar, aber weil sie beide Anspruch auf Lola erheben, stehen sie einander als Widersacherinnen gegenüber.
Dieser über weite Strecken sehr sensible Umgang mit der Ausgangslage Lizzies und ihrem seelischen Zustand macht es umso unverständlicher, dass Angel of Mine im letzten Drittel die Tonart von einem einfühlsamen Psychogramm zu einem Psychothriller wechselt. Dabei geht gegen Ende jegliche Uneindeutigkeit über Bord, zugunsten eines Finales, das die vorangegangene Empathie noch dazu schmerzlich vermissen lässt. Der dramatische Höhepunkt und die als allgemein versöhnlich inszenierte Endsequenz stellen nur für eine der zentralen Figuren eine tatsächliche Auflösung dar, während für andere hier die Herausforderungen im Grunde erst beginnt – ein neuer Auftakt, dem der Film hier nicht ausreichend Rechnung trägt. Damit aber begeht Angel of Mine einen Verrat an diesen Charakteren und all jenen Menschen, die sich emotional mit ihnen identifizieren und deren komplexe und verletzliche Seelenlage der Film zuvor so behutsam nachgezeichnet hat. Das nimmt der bis dahin bewegenden Erzählung im letzten Moment viel von ihrer Glaubwürdigkeit und psychologischen Tiefe.
DVD-Veröffentlichung: 5. Dezember 2019
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