4 Könige – Ein Anti-Weihnachtsfilm?

Weihnachten in der Klappse – das Setting kommt mir bekannt vor. Ich habe einst selbst mit meiner Theatergruppe ein Weihnachtsstück an eben jenem Ort angesiedelt. Und das kommt nicht von ungefähr, ist die Weihnachtszeit doch nicht nur von Stress geprägt – Geschenke kaufen, Familienbesuche, Firmenfeiern – sondern vor allem auch von dem unbedingten Willen zur Feierlichkeit. Oder wie es eine der Protagonistinnen aus 4 Könige formuliert: „Man wünscht sich das doch, dass alles einmal schön ist.“

© Port-au-Prince

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Aber es ist eben nie alles schön. Schon gar nicht im Leben der vier Jugendlichen, die sich in diesem Film von Theresa von Eltz zur Weihnachtszeit in der Psychiatrie treffen. An ihrer Seite steht Dr. Wolff (Clemens Schick), dessen unkonventionelle Methoden schließlich am psychiatrischen Kliniksystem scheitern. Ohnehin sind es doch eigentlich gar nicht die Kinder, die hier problematisch sind, sondern ihr familiäres Umfeld.

Die Ausgangssituation wirkt leider zu sehr wie auf dem Reißbrett entstanden: Da sitzen sie nun in der unrealistisch kleinen Therapiegruppe von vier Personen mit einem Arzt, der immer für alle Zeit hat und noch dazu ein dufter Kumpel ist. Und obwohl angeblich die gesamte Station überbelegt ist, sind außer der vier Protagonist_innen keine anderen Jugendlichen zu sehen. Und dann gibt der Herr Psychiater auch noch eine Videokamera aus. Angeblich, damit seine Patient_innen sich gegenseitig über ihre Weihnachtsdepression interviewen. Tatsächlich aber, damit 4 Könige ein bisschen mit Perspektive und Technik spielen kann.

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Das gesamte Kliniksetting will nicht ganz überzeugen. Mit viel zu wenigen Menschen auf den Fluren – es mangelt nicht nur an Patient_innen, sondern auch an Ärzt_innen – wirkt die Jugendpsychiatrie zu sehr wie eine Kulisse, die von sorgfältig konstruierten Typen bespielt wird. Das promiskuitive Drogenluder aus reichem Elternhause, der aggressive Proll aus dem Prekariat – alles ganz so wie es sich gehört. Auch die Geschlechterrollen sind insbesondere beim Personal „vorbildlich“ verteilt: Arzt männlich, Schwester weiblich. Männliches Pflegepersonal taucht erst dann plötzlich aus dem Nichts auf, wenn es um Krafteinsatz geht und ein tobender Patient fixiert werden soll.

Aufgebrochen werden die Geschlechterstereotype durch die Figur des georgischen Jungen Fedja (Moritz Leu), der als traumatisiertes Mobbingopfer einen zerbrechlichen Männer*typus repräsentiert. Leider findet seine Schwäche keine Aufwertung, sondern bleibt als pathologischer Makel bestehen, so dass im Grunde doch wieder ein durch Stärke geprägtes Männer*bild proklamiert wird.

Es ist alles ein bisschen unglaubwürdig. Der Ort, die Figuren, ihre individuellen Geschichten und auch das Schauspiel, bei dem sich oftmals nicht sagen lässt, ob es die Schauspieler_innen oder die Leinwandfiguren sind, deren Emotionen aufgesetzt wirken. Und trotzdem hat 4 Könige eine immens starke emotionale Wirkung.

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Es ist vor allem die Figur des Timo, die berührt. Jannis Niewöhner spielt die Hilflosigkeit des gewaltbereiten Jugendlichen mit einer Intensität, die uns die Nackenhaare aufstellt und Tränen in die Augen treibt. An Timo wird noch stärker als an den übrigen Figuren offenbar, wie wenig das System Psychiatrie in der Lage ist, dem einzelnen Menschen zu helfen. Denn was heißt „helfen“ hier überhaupt? Was ist denn krank, was ist normal? Oder wie Dr. Wolff es formuliert: „Wie sollen traumatisierte Jugendliche denn angemessen reagieren?“

Regisseurin Theresa von Eltz gelingt es, ihr Publikum ganz nah an Timos Perspektive heranzuführen und schafft damit Verständnis für einen schwer zugänglichen Charakter. Leider gelingt ihr dies bei den anderen Figuren weniger, weshalb die übrigen Einzelschicksale auch eine deutlich schwächere Wirkung entwickeln.

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Vielleicht ist es aber auch nicht nur die Perspektive und das intensive Spiel von Jannis Niewöhner, das die Inszenierung für uns so nahbar und erfahrbar macht. Vielleicht ist es doch das Phänomen der Weihnachtsdepression, das eben nicht nur auf den psychiatrischen Kontext beschränkt ist.

Obwohl Theresa von Eltz und Drehbuchautorin Esther Bernstorff mit ihrem offenen und bedrückenden Ende großen Mut beweisen, halten sie für ihre Zuschauer_innen doch auch einen kleinen Trost parat. Es ist in Ordnung, wenn Weihnachten besinnlich, wenn „alles einmal schön“ sein soll. Das Bedürfnis nach heiler Welt am 24. Dezember steht uns zu. Es ist nicht heuchlerisch, sondern vollkommen menschlich. Die Akzeptanz des Wunsches ist schon der erste Schritt zu seiner Erfüllung. Der zweite Schritt, und auch das geben von Eltz und Bernstorff mit auf den Weg, sind unsere Kindheitserinnerungen, Momente, in denen Weihnachten noch voller Zauber war. Darauf müssen wir nicht wehmütig zurückblicken, sondern daran dürfen wir uns freudig erinnern!

Vielleicht ist 4 Könige am Ende also doch gar kein Anti-Weihnachtsfilm.

Kinostart: 3. Dezember 2015

https://youtu.be/qK4HAj2F2c0

Sophie Charlotte Rieger
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