Das „Clumsy-Girl“ – Ungeschick als Ideal

Eines muss mensch Twilight ja lassen: Die Buch- und Filmreihe hat eine Ära der Heldinnen eingeleitet. Das Genre der „Young Adult Fiction“ – zu deutsch: Jugendliteratur – ist plötzlich gleichbedeutend mit taffen Mädels, die übersinnliche Kräfte entwickeln oder mit Pfeil und Bogen durch Science Fiction Szenarien hüpfen.

Der kommerzielle Erfolg dieser Filme belegt deutlich, dass nicht nur ich als „Filmfeministin“ mich über die gestiegene weibliche Präsenz auf der Kinoleinwand freue, sondern durch die Post-Twilight-Franchises auch endlich eine viel zu lange vernachlässigte Leerstelle gefüllt wurde. Aber Stephenie Meyers Vampirromanze hat leider noch einen anderen Trend gesetzt, denn Bella und ihre Nachfolgerinnen sind nicht nur Heldinnen, sie sind vor allem auch „Clumsy Girls“.

© Concorde

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„Clumsy“ ist ein großartiges englisches Wort, das im Deutschen keine adäquate Entsprechung findet. „Clumsy“ bedeutet ungeschickt, tollpatschig, aber auch plump oder unbeholfen. Jemand, der „clumsy“ ist, ist immer fehl am Platz, schmeißt ständig versehentlich etwas um oder läuft mit voller Geschwindigkeit gegen Glastüren. Die grundlegende Unsicherheit in der eigenen Person, die diesem Phänomen zu Grunde liegt, ist selbstredend integraler Bestandteil der furchterregenden Lebensphase, die sich Pubertät nennt, weshalb sich ein bisschen „clumsiness“ in der Jugendliteratur durchaus anbietet. Das „Clumsy Girl“ zum neuen Idol der Popkultur zu erheben, ist hingegen eine bedenkliche Übertreibung.

Das „Clumsy Girl“ gibt es natürlich schon länger. Meine früheste diesbezügliche Erinnerung ist der Film Dirty Dancing, der mit dem Satz „Ich habe eine Wassermelone getragen“ den Grundstein für eine ganze Generationen von Tollpatsch_innen legte. Die weibliche Hauptfigur, Baby, ist klug, aber wie das nun mal vermeintlich so ist mit klugen Frauen, in puncto Partnersuche ist sie nicht nur unbefleckt, sondern auch ziemlich unfähig. Als sie erstmals in die schmutzige Tanzhölle der Hotelangestellten gerät, ist sie augenscheinlich fehl am Platz. Ihre Verlegenheitsaussage „Ich habe eine Wassermelone getragen“ schrieb Filmzitatgeschichte. Die ersten Tanzversuche sind unbeholfen und bevor sie vom Entlein endlich zum Schwan mutiert, muss sie eine ganz Reihe unangenehmer Situationen durchstehen. Das Besondere an Baby ist, dass sie anhaltend die Richtung vorgibt, den Lauf der Dinge maßgeblich beeinflusst. Dirty Dancing ist allein ihre Geschichte. Je mehr Baby über sich selbst und andere Menschen lernt, desto mehr Selbstsicherheit gewinnt sie. Ihre Transformation am Ende des Films ist also der Schritt vom Mädchen zur Frau, den sie aus eigener Kraft vollzieht.

Hierin unterscheidet sich Baby deutlich vom „Clumsy Girl“ des 21. Jahrhunderts. Bella Swan, in der Twilight-Leinwandadaption verkörpert von Kristen Stewart, ist das neue und ideale „Clumsy Girl“. Wie damals Baby ist sie klug und belesen, während das Knüpfen sozialer Kontakte ebenso wenig zu ihren Stärken gehört wie ein souveränes Auftreten. Ständig verunfallt das arme Mädchen und überlebt die vier Romane und fünf Verfilmungen im Grunde nur deshalb, weil ein starker, übermächtiger Vampir als personifizierte Rettung in letzter Sekunde an ihrer Seite steht. Im Gegensatz zu Katniss Everdeen aus Die Tribute von Panem, die ungefähr zur selben Zeit die popkulturelle Bühne betrat, ist Bella Swan eine weitgehend passive Figur, deren Geschichte maßgeblich durch die Männer in ihrem Umfeld bestimmt wird. Zum Topos wurde schließlich nicht die mutige Katniss, sondern das „Clumsy Girl“ Bella, das nun in nahezu jeder Young Adult Geschichte durchschimmert.

Nehmen wir zum Beispiel das deutsche Pendant zur Twilight-Saga, die Edelstein-Trilogie. Heldin Gwendolyn ist überraschend Trägerin eines Zeitreise-Gens. Überraschend ist das deshalb, weil sie so „clumsy“ ist, ungeschickt nämlich und auch in gesellschaftlichen Dingen oftmals unbeholfen. Ganz anders als ihre hübsche Cousine Charlotte, auf der die gesamte Hoffnung der Familie ruht. Durch den Vergleich der beiden Frauenfiguren, Gwendolyne und Charlotte, charakterisiert die Edelstein-Trilogie hier deutlicher als andere Formate das „Clumsy Girl“ auch als eine Frau, die nicht den gängigen Idealen von weiblicher* Schönheit entspricht. Schon Baby und Bella scherten sich nicht um Make-Up und Styling, wurden durch Tranzrevues und Vampirbisse aber schließlich transformiert und betonten damit die Unzulänglichkeit ihres ungeschminkten Ursprungszustands. In Twilight wie auch in der Edelstein-Trilogie steht dem Weibchen* außerdem ein patentes Männchen* gegenüber, dem sich die Heldin zwar graduell annähern kann, dessen Perfektion jedoch ebenso anbetungswürdig wie unerreichbar scheint.

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Weniger deutlich ist die Tendenz des „Clumsy Girl“ in den Franchise-Auftaktfilmen Divergent – Die Bestimmung und Chroniken der Unterwelt – City of Bones, doch auch hier muss das verunsicherte Mädchen von ihrem Mentor und zukünftigen Lover an die Hand genommen werden, bevor es eigene Kompetenzen entwickeln kann, die – selbstredend – niemals die des männlichen Gegenübers überschreiten. Auch das ist paradigmatisch für das „Clumsy Girl“: Wie aus lauter Dankbarkeit verliert es sein Herz immer an einen überlegenen Mann. Denn so will es die traditionelle Geschlechterrollenverteilung: Die Frau ist schwach, der Mann ist stark und sollte die Frau einmal stärker geraten sein, muss der Mann eben besonders potent sein (und ja, den Begriff „potent“ habe ich hier bewusst gewählt).

Weil ich den Topos des „Clumsy Girl“ inzwischen nicht mehr sehen kann, gehöre ich auch zu jener kleinen Gruppe an Zuschauer_innen, die von Frances Ha in erster Linie genervt waren. Ich liebe Greta Gerwig – ehrlich! Aber gerade deshalb fiel es mir schwer mit anzusehen, wie sie hier über 90 Minuten die Lebensunfähigkeit ihrer Figur demonstriert. Am Ende wächst Frances über sich hinaus und selbstredend ist dieser zärtliche Indie-Film nicht mit Hochglanz-Teeny-Blockbustern vergleichbar, doch gemeinsam ist beiden Formaten, dass der Charme der Heldin über einen Großteil des Films aus ihrer ach so niedlichen Dauerverpeilung generiert wird.

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Und an dieser Stelle komme ich endlich zu der Frage, was an „Clumsy Girls“ eigentlich so niedlich sein soll. Ich jedenfalls finde das nicht niedlich. Ich finde das traurig. Und bedenklich obendrein. Das „Clumsy Girl“ ist eine Weiterführung der patriarchalen Tradition, Frauenfiguren in wohl bemessene und möglichst kleine Schubladen zu packen. Die eine schön, die andere klug. Die eine biederer Gutmensch, die andere promiskuitives Miststück. Die eine tollpatschig und sympathisch, die andere topfit, aber hinterlistig. Aber bitte keine ausgewogene Mischung, denn starke, intelligente, gut aussehende und souveräne Frauen gibt es schließlich nicht. Sonst wären sie ja Männer!

Dass die jungen Heldinnen unserer Tage so ungeschickt und „clumsy“ sind, nimmt ihnen einen Großteil jener Kraft, die ihnen das Rampenlicht nur zum Schein verleiht. Bella und ihre Leidensgenossinnen dürfen zwar im Zentrum einer Geschichte stehen, doch nur unter der Bedingung, ein Klischee weiblicher Unterlegenheit zu bedienen. Mit jedem Stolpern, mit jedem „unpassenden“ Verhalten in gepflegter Gesellschaft machen diese Filme ihre Heldinnen ein bisschen kleiner. Die gestiegene weibliche Präsenz insbesondere im Jugendfilm ist daher mit Vorsicht zu genießen. Denn das Vorhandensein weiblicher Identifikationsfiguren hilft niemandem, wenn sie ein Ideal tollpatschiger, sozial unbeholfener und von der Hilfe starker Männer abhängiger Frauen postulieren.

Dieser Text erschien in meiner Kolumne „Bis(s) zum Abspann“ bei kino-zeit.de

Sophie Charlotte Rieger
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