Blockbuster-Check: Star Wars – The Force Awakens
Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehme ich im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe. Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!
Held_innen
Rey (Daisy Ridley) ist zugleich eine der stärksten, wie auch der unprätentiösesten Heldinnen des zeitgenössischen Kinos und beschreitet erfolgreich den Weg, den Katniss Everdeen für starke Frauen*figuren geebnet hat. Rey besitzt nicht nur den notwendigen Edelmut für eine Heldenfigur, sondern kann auch in allen übrigen Disziplinen den Männern* das Wasser reichen. Sie ist überlebensstark, taff, eine geschickte Mechanikerin und noch bessere Pilotin. Rey ist so richtig „badass“. Phallische Kampfgeräte, zu denen nicht zuletzt auch das Laserschwert zählt, verdeutlichen ihre „Potenz“, ihre Kraft, ihre Überlegenheit.
Star Wars – The Force Awakens spielt immer wieder mit der Erwartungshaltung der Zuschauer_innen und Protagonist_innen, Rey müsse aus dieser oder jener Situation gerettet werden, nur um die geschürte Erwartungshaltung jedes einzige Mal zu enttäuschen. Nach dem „Panem-Prinzip“, wie ich es fortan nennen werde, entspricht auch die Beziehung zwischen Rey und Mitstreiter Finn (John Boyega) dem Motto „We’re keeping each other alive“. Männliche* und weibliche* Figuren, retten, schützen und unterstützen sich also gegenseitig, wobei Rey dem stets nervösen Finn mental stets überlegen ist.
Der Höhepunkt des Films ist zweifelsohne das finale Duell zwischen Heldin und Gegenspieler, in dem Rey ganz ohne Unterstützung ihres Sidekicks obsiegt. Die Kampfszene ist auf Augenhöhe inszeniert: Zwei gleich starke Individuen treten im Kampf Gut gegen Böse gegeneinander an und ihre Geschlechtsidentität spielt dabei überhaupt keine Rolle.
Interessant ist bei all dem, dass Rey zumindest in diesem ersten Teil der neuen Trilogie, keinen Lehrer benötigt. Insofern verkörpert sie als weiblicher Jedi auch den Abschied an ein patriarchales Prinzip der „geistigen Führung“. So fehlt in diesem Teil der Star Wars Saga auch eine Führungsfigur, ein Guru, wie ihn in den bisherigen Filmen Yoda darstellte.
Held Finn, mit dem die Geschichte bedauerlicher Weise beginnt (mehr dazu unter „Dramaturgie“), ist das männliche* Pendant zum „Clumsy Girl“ Archetyp: ein wenig tollpatschig, „putzig“ – eine Figur, zu der nicht nur das Publikum herunter schaut, sondern auch Rey. Dieses ungewöhnliche Machtverhältnis wird in einer, in dieser Form sehr seltenen, Kameraeinstellung veranschaulicht, in der Rey ihren männlichen* Gegenpart überragt und von oben zu ihm herab spricht. Diese Figurenanordnung ist bemerkenswert, da hier eine klassische Blickrichtung umgekehrt wird: Der Mann schaut zur Frau auf. Auch in anderer Hinsicht findet ein Rollentausch statt, denn es ist Finn, nicht Rey, der sich im Zuge der Geschichte sichtbar romantisch verwickelt.
Gegenspieler_innen
Auf der Seite des Bösen sieht es leider schon wieder ganz anders aus. „The First Order“, wie die Bösen hier heißen, ist eine männlich* dominierte Organisation. Hinter einer der maskierten Figuren scheint sich zwar eine Frau* zu verstecken, doch erfahren wir kaum etwas über sie, so dass dieser Charakter weitgehend anonym bleibt.
Der Oberoberböse, Supreme Leader Snoke (Andy Serkis), ist männlich* wie auch der am diabolischen Wahnsinn rangierende General Hux (Domhnall Gleeson) und der wichtigste Gegenspieler Kylo Ren (Adam Driver). In der Sphäre der dunklen Seite der Macht ist die hierarchische Befehlskette das strukturgebende Element, so wie hier auch die obig erwähnte Idee der geistigen Führung eine große Rolle spielt, die jedoch wenig subtil als Manipulation entlarvt wird.
Bösewicht Kylo Ren stellt einen eher ungewöhnlichen Männer*typ für diesen Part dar, scheint trotz allen Hasses verletzlich und von einer tiefen Trauer und Enttäuschung geleitet. Damit unterscheidet er sich deutlich von Darth Vader, dessen emotionale Abgründe zwar durch die bisherigen Filme dargelegt wurden, der aber in seiner Rolle als Bösewicht stets gefühlskalt und undifferenziert bösartig auftrat.
Geschlechterrollen allgemein
Star Wars – The Force Awakens arbeitet mit großartigen Frauenfiguren. Neben Rey gibt es natürlich noch die in die Jahre gekommene Prinzessin Leia (Carrie Fisher), die als Anführerin der Rebellen fungiert, dabei jedoch keineswegs einen autoritären, sondern einen von Liebe geprägten Führungsstil an den Tag legt.
Die alte Maz Kanata (Lupita Nyong’o) ist eine an Yoda angelehnte, durch Weisheit charakterisierte Figur. Sie ist es, die Rey mit der Macht bekannt macht und ihr den Impuls gibt, einen neuen Weg einzuschlagen. Dabei zeigt sich Maz Kanata weniger als eine geistige Führerin, die Regeln aufstellt und Aufgaben erteilt, als eine Türöffnerin, die zutiefst darauf vertraut, dass Rey den folgenden Weg erfolgreich alleine zu beschreiten im Stande ist.
Hiermit jedoch sind auch schon alle relevanten Frauen*figuren erwähnt. Das übrige Ensemble, zu dem beispielsweise Han Solo (Harrison Ford), Poe Dameron (Oscar Isaac) sowie die obig erwähnten Bösewichte gehören, ist männlich* dominiert. Auch Chewbacca (Peter Mayhew) und selbst die Druiden sind mit eindeutig männlichen* Geschlechtsidentitäten ausgestattet, erhalten das Personalpronomen „er“. Würde mensch sich die Mühe machen und die Figuren durchzählen, so wären die Frauen* auch hier mit Sicherheit stark in der Minderheit. Schade!
Dresscode und Sexappeal
Rey hebt sich auch rein äußerlich deutlich von anderen Heldinnen ab. Ihre zarte und androgyne Figur ist von nahezu geschlechtsneutraler Kleidung umhüllt. Sie ist stark und doch feingliedrig und in dieser Hinsicht unprätentiös. Sie muss nicht männlich* aussehen, um eine Heldin zu sein, sich nicht mit Muckis und grimmigem Gesicht profilieren. Aber sie darf beim Essen herrlich schmatzen. Es ist eine wahre Freude, ihr dabei zuzusehen, derart „unweiblich“ zu speisen, steckt hierin doch eine nicht zu verkennende Freiheit der Figur, ein auf der Leinwand wie auch in unserer Realität seltenes Für-Sich-Sein der Frau*.
Auch Leia und Maz Kanata sind keine sexualisierten Figuren, wie überhaupt Star Wars – The Force Awakens wie kürzlich auch Mockingjay 2 weitgehend ohne die sexuelle Objektifizierung einer Figur auskommt. Erzählt der Film von einer amourösen Anziehung, wie beispielsweise zwischen Han Solo und Leia, so steht Verbundenheit, Freundschaft und Loyalität dabei stets im Vordergrund. Auch Finns Zuneigung zu Rey wurzelt nicht in einer erotischen Ausstrahlung der Heldin, sondern in ihrem Charakter und ihrer mentalen Stärke.
Dramaturgie
Die Dramaturgie ist hinsichtlich der Geschlechterrollen die Achillesferse des Films. Obwohl Rey zweifelsohne die Heldin der Geschichte ist, die Nachfolgerin von Anakin und Luke Skywalker, richtet sich die Dramaturgie von Star Wars – The Force Awakens überraschend stark an den männlichen* Figuren aus.
Wie bereits erwähnt, beginnt der Film nicht mit Rey, sondern mit Finn. Er ist also der Ausgangspunkt der Geschichte und erhält dadurch mehr strukturelle Macht als die Heldin. Der rote Faden der Handlung wiederum ist durch die Suche nach Luke Skywalker gegeben, der Kernkonflikt der Story findet zwischen Han Solo und Kylo Ren statt. Hier tritt Teil 7 in die Fußstapfen der vorherigen Filme: Im Kern ist auch Star Wars – The Force Awakens das Drama einer missglückten Vater-Sohn-Beziehung, die den Motor der Geschichte darstellt.
Richtung, Verlauf, Wendepunkte, Konflikte und Spannungsbogen werden maßgeblich durch die männlichen* Figuren bestimmt. Sie geben die Richtung vor, während Rey trotz ihrer zentralen inhaltlichen Rolle überraschend passiv von einer Situation in die nächste gerät. Wie die Jungfrau zum Kind gelangt sie an den Droiden BB-8 (Bill Hader) der nicht mehr von ihrer Seite weicht, wodurch sie ins Zentrum eines Konflikts um Dominanz und Männlichkeit, nämlich um Herrschaftsverhältnisse gerät. Rey bewegt sich durch den Film wie auf einem Laufband: Es geht bestätigt voran und sie beeindruckt auf ihrem Weg durch Mut und Kraft, aber die Richtung ihres Weges und ihr Tempo bestimmen andere für sie. Die Emanzipation der Figur findet ausschließlich auf der inhaltlichen, nicht auf der strukturellen Ebene statt.
Botschaft:
Die Wende zum Guten nicht nur durch das WAS geschieht. Auch auf das WIE achten du musst.
Gesamtwertung: 8
von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)
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Wie immer sehr gründlich und sehr lesenswert, vielen Dank!
Super, ich schau ihn mir auf jeden Fall mal an.
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