Wintermärchen – Das Klischee der Täterin

Lea Gronenberg

Becky (Ricarda Seifried) und Tommi (Thomas Schubert) leben im Untergrund, weil sie ein Zeichen setzen und Aufmerksamkeit für ihr politisches Anliegen bekommen wollen. Sie sind Nazis und wollen etwas gegen „Ausländer“ unternehmen, stattdessen leiden sie unter ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit und einem Lagerkoller. Wintermärchen zeigt auf erdrückende Art die Frustration der beiden. Sie schreien sich an, werden aggressiv, brechen in Heulkrämpfe aus und haben so schlechten Sex, dass es kaum zu ertragen ist. Besonders unangenehm ist die Inszenierung des Stickermotivs „Nazis essen heimlich Döner“, als Becky mit einem Döner in der Hand heulend auf der dunklen Straße zusammenbricht und das herausfallende Dönerfleisch vom Boden aufsammelt.

Erst als Maik (Jean-Luc Bubert) in der kleinen Wohnung auftaucht, befreien sich Becky und Tommi aus ihrer Lethargie. Gemeinsam planen und verüben sie rassistische Morde. Die Parallelen zum „Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)“ sind dabei vom Regisseur Jan Bonny gewollt.
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© W-film / Heimatfilm

In der Auseinandersetzung mit dem NSU ist insbesondere die Frage nach der Rolle von Frauen* in der rechten Szene und Täterinnen*schaft spannend. Becky ist eine Draufgängerin, die findet „Es muss mal wieder richtig knallen!“. Immer wieder fordert sie ihren Partner Tommi heraus – beim Schießtraining oder wenn sie ihm wahllos People of Colour als potentielle Opfer vorschlägt. Sie ist aggressiv und fordernd, auch wenn sie ohne Rücksicht auf Tommi Sex mit Maik hat. Mit ihrem Verhalten durchbricht sie Rollenbilder, ihr Mackertum steht dem der Männer* in nichts nach. Allerdings werden gleich mehrere Klischees in Bezug auf Täterinnen*schaft bedient.

Täterinnenschaft passt nicht in die geläufige Gleichsetzung von Weiblichkeit* mit Friedfertigkeit, Fürsorge und Mütterlichkeit. Als ein Erklärungsansatz wird Begehren und sexuelle Abhängigkeit herangezogen, also die Annahme, Frauen* würden nur wegen der Männer* Teil einer terroristischen Gruppe  – sie werden nur als Mitläuferinnen* betrachtet. Ein weiterer Ansatz sieht bei Täterinnen* den Wunsch, sich mit den Männern* zu messen und sie dabei zu übertrumpfen, doch damit werden ihnen ebenfalls die politischen Motive ihres Handelns abgesprochen. Frauen* werden in den letzten Jahren immer aktiver und sichtbarer in der rechten Szene, es ist nicht nur sexistisch, sondern auch gefährlich, sie nicht als eigenständig handelnde Personen mit politischem Anspruch ernst zu nehmen. Dies sollte gerade im Hinblick auf die realen Ereignisse, auf die Wintermärchen Bezug nimmt, deutlich geworden sein.

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Immerhin war eine Frau* Mitgründerin und Mitglied des „Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)“: Beate Zschäpe war an den rassistischen Morden an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Taşköprü, Habil Kiliç, Yunus Turgut, Ismail Yaşar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubaşik und Halit Yozgat beteiligt und wurde von der Generalbundesanwaltschaft wegen zehnfachen Mordes, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht stellte die besondere Schwere ihrer Schuld fest und verdeutlichte, dass Zschäpe „gleichberechtigtes Mitglied“ der rechtsextremen, terroristischen Vereinigung NSU war.

Regisseur Jan Bonny wählt die Analogie zum rechtsterroristischen Kerntrio des NSU bewusst. Indem er Becky, Tommi und Maik als (sexuell) frustrierte Dilettant*innen zeigt, verharmlost er aber die Gefahr eines rechtsextremen Netzwerks, dass es Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermöglichte, über zehn Jahre im Untergrund zu leben, unentdeckt zu morden und Anschläge zu verüben.

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Der Mord an mehreren Beschäftigten eines türkischen Supermarktes durch Tommi und Maik ist fast wie eine Slapstick-Nummer inszeniert, bei der die beiden Täter durch das Blut ihrer Opfer schlittern. Sie wirken nicht wie überzeugte Mörder, die ihre Opfer gezielt nach rassistischen Motiven aussuchen und observieren. Eher zufällig erschießen sie Inhaber, Angestellte oder Reinigungskräfte in (vermutlich) türkischen Geschäften. Gelingt ihnen ein Mord, sind sie selbst so überrascht, dass sie erstmal eine Flasche Schnaps am Tatort leeren, anstatt möglichst schnell und spurlos zu verschwinden. Auch wenn Bonny nicht den Anspruch verfolgt, das Wirken des NSU detailliert nachzuerzählen, erzeugt er so den Eindruck, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten einfach nur Glück gehabt, dass sie so lange unentdeckt blieben und verschleiert so die Professionalität rechtsextremer Netzwerke, die nach wie vor bestehen.

Der Titel Wintermärchen verweist auf Heinrich Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ von 1844, in dem der Exilant satirische Kritik an seinem Heimatland äußert, weil sich dort zunehmend nationalistische und antidemokratische Ideen durchsetzten. Die Beklemmung, die Heine beschreibt, erzeugt auch Bonnys Film. Das Wetter ist trist, die Farben verblasst. Selbst die fröhlichen, ausgelassenen Momente lösen Beklemmungen aus, die Protagonist_innen stoßen mit ihrer Freude über die gelungenen Morde auch Außendstehende vor den Kopf. Bei einer Karnevalsfeier prahlt Becky mit ihrem Hass und Aktionismus und bringt damit ihre Gesprächspartner_innen zum Verstummen. Überhaupt kann die Inszenierung der Party bei Zuschauer_innen Ekel auslösen. Wie das Trio ausgelassen zu dem Song Superjeile Zick durch ein tristes Vereinsheim tanzt und dabei mit einer Polizeimütze posiert, macht deutlich, wie anschlussfähig Rassismus sein kann.

Zugleich ist Wintermärchen der Gegenentwurf zum Sommermärchen der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer* in Deutschland 2006, das einen vermeintlich harmlosen Partypatriotismus gesellschaftsfähig machte. Auch diese salonfähige Form von Nationalismus fördert die Ablehnung von „Fremden“ und senkt die Befürwortung demokratischer Strukturen, wie die Studien des Soziologen Wilhelm Heitmeyer zu „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ zeigen. Diese Verknüpfung von gesellschaftlich akzeptiertem Nationalismus und dem rechtsextremen NSU ist ein politisches Statement, das jedoch im Film selbst kaum thematisiert wird.

© W-film / Heimatfilm

Jan Bonny schafft mit Becky, Tommi und Maik Pappkameraden, die mit den Zuschauer_innen nichts gemein haben. Es fällt leicht, sich angewidert von ihren Aggressionen und ihren emotionalen Störungen abzuwenden. Wintermärchen verliert trotz des politischen Anspruchs die ideologischen Hintergründe des NSU und deren Anschlussfähigkeit in der Gesellschaft aus dem Blick. Stattdessen verliert er sich in der Spekulation darüber, wie das Leben von einer Frau* mit zwei Männern* und ungeklärten Beziehungskonstellationen im Untergrund wohl abläuft, und fantasiert von unterdrückter Homosexualität und Sex zu dritt. Wintermärchen soll nicht unterhalten, schafft aber auch keine neue Perspektive oder einen Erkenntnisgewinn. Die 125 Minuten wären mit der Lektüre von www.nsu-watch.info besser investiert.

Kinostart: 21. März 2019

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