Vamos a la playa
Wenn wir als mitteleuropäische Tourist:innen im globalen Süden Urlaub machen, befinden wir uns immer an der Spitze eines ökonomischen Machtgefälles. So nah wir auch glauben, den Menschen vor Ort kommen zu können, so schwierig gestaltet es sich auf Grund postkolonialer Strukturen eine Augenhöhe zu erreichen. Vamos a la playa von Bettina Blümner widmet sich diesem Spannungsfeld aus gut gemeinter finanzieller Unterstützung, Sextourismus und binationaler Romantik am Beispiel drei junger Deutscher und ihrer Reise nach Kuba.___STEADY_PAYWALL___
Mit dem Auftrag, seinen Freund Wanja zu finden, reist Benjamin (Leonard Scheicher) mit dessen Schwester Katharina (Victoria Schulz) und deren Freundin Judith (Maya Unger) nach Kuba, wo Wanja (Jakub Gierszal) im Zuge seines Auslandssemesters verschwunden ist. Finanziert durch die wohlhabende Familie des verlorenen Sohnes, muss sich die kleine Reisegruppe zumindest um Geld keine Sorgen machen. Sie mieten sich in teuren Hotels ein und Katharina ist wild entschlossen, mit dem elterlichen Budget auch Sex zu bezahlen. Das aber ist komplizierter als gedacht, ebenso wie die Suche nach Wanja, die von Havanna schließlich nach Trinidad führt, wo die Begegnung mit dem kubanischen Tanzlehrer Ignacio (Eugenio Torroella Ramos) das Dreiergespann auf mehreren Ebenen herausfordert.
Vamos a la playa beginnt und endet mit Benjamin, der damit zur Hauptfigur der Geschichte wird und durch dessen Augen wir als Kinopublikum auf die übrigen Personen und deren Verhalten blicken. Benjamin ist auch die Stimme der Moral, betont immer wieder das Machtgefälle zwischen den Reisenden und der Bevölkerung vor Ort und wirft schließlich die interessante Frage auf, wo gleichberechtigte Liebe endet und Sextourismus beginnt. Umso überraschender ist, dass sich Bettina Blümner für seine Perspektive statt der ihrer beiden weiblichen Figuren entschieden hat: Wo Katharina sich ihrer Privilegien so wenig bewusst ist, dass sie potenzielle Liebhaber schmerzhaft erniedrigt, bahnt sich ausgerechnet bei Judith, die eigentlich gar keine Beziehung will, eine Romanze an.
Alle drei Hauptfiguren sprechen immer wieder in Form von Selfie-Videos in ihre Handykamera und reflektieren über die Themen Beziehung und Sexualität oder auch ihre Erlebnisse auf der Reise. Bei diesen Passagen handelt es sich um improvisierte Szenen innerhalb der geskripteten Spielfilmhandlung, die sich nicht recht in das von Authentizität geprägte Gesamtkonzept einfügen wollen. Tatsächlich ist Vamos a la playa unter anderem mit Hilfe eines Stipendiums der Film- und Medienstiftung NRW entstanden, das an Experimente mit Erzählform und Bildsprache gebunden ist. Mit dieser Information im Hinterkopf, wirken die Handyvideos wie ein schlecht integriertes Mittel zum ökonomischen Zweck. Bedauerlich ist auch, dass die improvisierten Reflektionen der Darsteller:innen beziehungsweise ihrer Figuren zu wenig an den aufgeworfenen Diskurs um ökonomische Macht, Sextourismus und binationale Liebe anknüpfen. Es ist ein grundsätzliches Problem von Vamos a la playa, dass der Film verschiedene Themen aufwirft, ohne sich einem davon konsequent zu verschreiben: Geht es hier um die Voraussetzungen einer gleichberechtigten Beziehung allgemein oder die Frage nach ökonomischer Macht und Sextourismus im Kontext binationaler Romanzen zwischen Kuba und Deutschland oder vielleicht doch einfach nur um die Entwicklungsgeschichte eines jungen Mannes, der erkennen muss, dass sich Hierarchie auch in moralischen Urteilen ausdrückt?
Um eines geht es jedenfalls nicht: Kuba. Vamos a la playa legt sowohl durch die Kameraarbeit wie auch das Drehbuch einen erfrischend ehrlichen Fokus auf seine deutschen Figuren und deren Geschichte und maßt sich nicht an, eine kubanische Perspektive einzunehmen. Das Filmpublikum blickt stets durch die Augen der Tourist:innen, ohne jedoch dass Bettina Blümner – die selbst ein Austauschsemester auf der Karibik-Insel verbracht hat – die kubanische Lebensrealität exotisierend oder elendsvoyeuristisch ausstellen würde. Das Fehlen der klassischen Stadtpanoramen von Havanna und seiner Uferpromenade „Malecón“ ist vielleicht im kleinen Budget begründet, der Verzicht, die Kolonialbauten Trinidads pittoresk in Szene zu setzen, ist aber definitiv eine bewusste Entscheidung. Kuba bleibt zwar hauptsächlich Kulisse für eine deutsche Geschichte, erscheint hier aber immerhin nicht als Klischeeversion aus weißen Sandstränden, Oldtimern und Zigarren. Da die Armut der Bevölkerung des Inselstaats aber ein zentrales Thema darstellt, hätte eine komplexere Beleuchtung der – durchaus auch durch Rassismus bedingten – Klassenunterschiede innerhalb der Bevölkerung dem Film gut getan. Auch bleibt die Armut von Figuren wie Ignacio in erster Linie auf der Dialogebene behauptet und ist in ihrem realen Ausmaß für ein deutsches Publikum schwer greifbar.
Während wir Bettina Blümner zugute halten können, dass sie sich keine kubanische Perspektive anmaßt, bleibt es schade, dass sie durch die Vermischung zu vieler Themen sowie den oberflächlichen Blick auf den kubanischen Alltag den Finger nicht tief genug in die Wunde des Kuba-Tourismus legen kann. Überhaupt ist der Massentourismus in ihrem Film komplett unsichtbar – wie auch der tatsächlich omnipräsente und vielgestaltige Sextourismus mehr als Hirngespinst Katharinas erscheint.
Kinostart: 27. April 2023
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