20. dokumentarfilmwoche hamburg – Maren Grimm & Eva Kirsch

Für die 20. Ausgabe der dokumentarfilmwoche hamburg hat das 14-köpfige Organisations- und Kurationsteams ein vielfältiges Programm aus Dokumentarfilmen, Werkstattgesprächen, Diskussionsrunden und Vorträgen zusammengestellt. Eine ganze Woche lang bietet das Dokumentarfilmfestival ein Forum für formal und inhaltlich anspruchsvollen Dokumentarfilm.

Maren Grimm und Eva Kirsch sind Teil des Teams der dokumentarfilmwoche hamburg. Maren ist seit der Festivalausgabe 2019 mit dabei, Eva seit der Festivalausgabe 2022. Mit FILMLÖWIN sprachen sie über feministische Perspektiven im Dokumentarfilm und hoben einige Highlights des diesjährigen Programms hervor.

Maren Grimm und Eva Kirsch © dokumentarfilmwoche hamburg

FILMLÖWIN: Was erwartet das Publikum bei der dokumentarfilmwoche hamburg?

Maren: Wir verstehen uns insgesamt als Ort, der sowohl inhaltlich als auch formal anspruchsvolle Dokumentarfilme präsentiert. Da ist uns wichtig, ein großes Spektrum an Arbeiten abzubilden. Wir haben eine Schiene, die Filme und Filmemacher:innen aus Hamburg zeigt und einlädt. Es gibt also einen Regionalbezug. Gleichzeitig zeigen wir auch immer größere, renommierte, internationale Produktionen. Das ist auch dieses Jahr so, dass wir z.B. mit Sylvain George und Travis Wilkerson zwei Größen der internationalen Filmszene da haben und aber gleichzeitig auch Filme von Studierenden der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg zeigen.

„Wir wollen einen Raum für sozialen Austausch und Vernetzung über die Kinos hinaus schaffen und als Festival auch selbst so ein Raum sein.“

Die dokumentarfilmwoche hamburg feiert ihr 20-jähriges Bestehen. Wie zeigt sich das im Programm?

Eva: Wir besinnen uns dieses Mal wirklich darauf zurück dokumentarfilmwoche zu sein und eine ganze Woche stattzufinden und als Festival, als Austauschraum groß zu sein. Das bedeutet, dass wir jeden Tag in nur einem Kino sind, dass wir möglichst wenig Dinge parallel zeigen, sodass man wirklich gemeinsam durch diesen Festivalfluss geht.

Maren: Es ist die erste große Nach-Corona Ausgabe. Wir haben das erste Mal seit 2019 wieder ein Festivalzentrum, das bei uns traditionell immer als  Ort für Zusatzveranstaltungen dient. Das Festivalzentrum ist in der fux eG in Altona und wir kooperieren in diesem Jahr erstmals mit dem dort angesiedelten afrikanischen Bildungszentrum Arca. Wir wollen einen Raum für sozialen Austausch und Vernetzung über die Kinos hinaus schaffen und als Festival auch selbst so ein Raum sein.

Welche Veranstaltungen habt ihr geplant?

Maren: Wir präsentieren das Online-Archiv Die fünfte Wand von Merle Kröger und Mareike Bernien zu Navina Sundaram, der wir eine Ausstellung widmen in unserem Festivalzentrum.

Navina Sundaram © NDR

Eva: Was wir dieses Jahr besonders groß machen, sind diverse Gesprächs- und Vortragsformate. Es wird Werkstattgespräche geben mit Travis Wilkerson und Sylvain George, es wird ein Podiumsgespräch geben zur Tamara Trampe-Programmreihe, es gibt eine Buchpräsentation zum österreichischen Dokumentarfilm. Dieses Jahr führen nochmal mehr Linien aus den Kinos raus hier in die fux eG, in den Ausstellungsraum, zu den Gesprächsformaten und Austauschräumen.

„Wir versuchen Filme zu versammeln, die sich inhaltlich mit feministischen oder queerfeministischen Fragestellungen auseinandersetzen. Gleichzeitig geht es auch darum bewusst Filmemacherinnen einzuladen.“

Welche Rolle spielen feministische Perspektiven bei der dokumentarfilmwoche hamburg?

Eva: Queerfeministische Diskurse sind gerade ein vorherrschendes gesellschaftliches Thema. Als Dokumentarfilmfestival sind wir immer interessiert an einer Abbildung von verschiedenen Realitäten und an einer Auseinandersetzung mit der Realität. Selbst wenn wir wollen würden – was nicht der Fall ist – gäbe es gar kein Vorbeikommen an diesen Thematiken. Abgesehen davon gibt es im Organisations- und Kurations-Kollektiv Menschen, die sich auch sonst in ihren Arbeitspraxen damit gezielt auseinandersetzen.

Was genau versteht ihr unter einer feministischen Perspektive?

Eva: Wir versuchen Filme zu versammeln, die sich inhaltlich mit feministischen oder queerfeministischen Fragestellungen auseinandersetzen. Gleichzeitig geht es auch darum bewusst Filmemacherinnen einzuladen. Dazu kommen die Programmreihen, dieses Jahr zu Navina Sundaram und Tamara Trampe. Damit legen wir besonderes Augenmerk auf die Arbeit von frühen Vorkämpferinnen. Auch postkoloniale Themen sind nicht mehr wegzudenken aus dem feministischen Diskurs und es gibt auch bei den Arbeiten, die wir zeigen, viele Schnittmengen zwischen postkolonialen und queerfeministischen Perspektiven.

Tamara Trampe © dokumentarfilmwoche hamburg

Maren: Auch die letzte Retrospektive, die wir gemacht haben, möchte ich da in Erinnerung rufen. Wir hatten Trinh T. Minh-ha eingeladen und alle ihre Filme gezeigt. Davor gab es eine Retrospektive von Chantal Akerman. Ich würde schon sagen, dass es im Team in den letzten 20 Jahren eine starke Sensibilisierung für die Frage gegeben hat und weiterhin gibt, von wem wir Filme zeigen, wie das Verhältnis von Filmemacherinnen zu Filmemachern im Programm ist.

„Auch postkoloniale Themen sind nicht mehr wegzudenken aus dem feministischen Diskurs und es gibt auch bei den Arbeiten, die wir zeigen, viele Schnittmengen zwischen postkolonialen und queerfeministischen Perspektiven.“

Was sind feministische Highlights eures diesjährigen Programms?

Eva: Wir zeigen viele Filme von Filmemacherinnen, die nicht oder zumindest nicht auf den ersten Blick feministische Thematiken untersuchen. Was inhaltlich an das Thema anschließt, ist die Reihe zu Navina Sundaram, die wirklich spannende, redaktionelle Beiträge zu verschiedenen feministischen Thematiken gemacht hat. Das sind auch interessante Zeitdokumente dazu, wie damals Fernsehen gemacht wurde, wie politisch pointiert diese Fernseharbeiten von ihr sind. Das ist auch Teil von Migrations- und Mediengeschichte in Hamburg. Sie verhandelt eben auch postkoloniale und feministische Fragen in ihrem Zusammenspiel. Es gibt z.B. ein Interview, das sie mit zwei Redakteurinnen des indischen feministischen Magazins Manushi geführt hat, oder einen wundervoll bissigen Tagesthemen-Kommentar zum Paragrafen 218. Navina Sundaram supportet viele feministische Belange und bezieht sehr klar Stellung und es gibt gleichzeitig Statements von ihr, die sich nicht mit allen feministischen Forderungen heute decken.

Und dann auch die Reihe zu Tamara Trampe, die mit ihrem Film Meine Mutter, ein Krieg und ich aus heutiger Perspektive auch feministische Thematiken behandelt, wo sie sich auch trifft mit Überlegungen von Navina Sundaram, die viel thematisiert hat, dass in Kriegen vor allem weiblich gelesene Personen betroffen sind.

Gibt es darüber hinaus weitere Filme, die feministische Thematiken verhandeln?

Eva: Da wäre Ours zu nennen von Morgane Frund, einer jungen schweizer Filmemacherin, der nochmal ein ganz anderes Meta-Kommentar bietet und total klug Fragen zum male gaze und zu Blick- und Machtdynamiken thematisiert und darüber einen größeren Diskurs generell über Machtverhältnisse im dokumentarischen Filmemachen aufmacht.

Ours © dokumentarfilmwoche hamburg

Maren: Für mich sind auch Filme wichtig an dieser Stelle, die sich mit einem Zerbröseln von normativen Männerbildern beschäftigen. Ein Beispiel ist der Film von Laure Portier Soy Libre. Das ist eine gefilmte Auseinandersetzung mit ihrem Bruder, also gewissermaßen seine coming-of-age-Geschichte, wo sie als Filmemacherin mit ihm, der zunächst  eine klassische kleinkriminelle Vorstadtkarriere hinlegt, in den Dialog geht  Dadurch dass sie immer wieder das Gespräch anbietet und in die Auseinandersetzung geht, ermöglicht sie ihm, andere Perspektiven einzunehmen. Das ist deshalb im feministischen Zusammenhang interessant, weil es oftmals  eine weibliche Funktion ist   – in diesem Fall Laure Portiers – mit einer vermittelnden Perspektive in Konfliktsituationen zu gehen, in  privaten oder auch gesellschaftlichen Situationen, wo wir immer häufiger an Grenzen stoßen und Leute nicht mehr miteinander reden können oder wollen, oder nicht mehr wissen wie man überhaupt noch miteinander reden kann. Das hat für mich unbedingt auch mit feministischen Perspektiven zu tun.

Soy Libre © dokumentarfilmwoche hamburg

FILMLÖWIN: Zu den aktuellen feministischen Kämpfen im Iran habt ihr außerdem eine Carte Blanche an das Woman* Life Freedom Kollektiv Hamburg vergeben.

Eva: Wir haben Woman* Life Freedom Hamburg eingeladen, im Rahmen unseres Festivals ein Programm zusammenzustellen. Dieses Programm bildet in sich ein spannendes Spektrum ab. Das Kollektiv zeigt z.B. einen Film aus 1979 über Demonstrationen gegen die damals eingeführte Schleierpflicht, dann zeigen sie einen Film von 2015 über kurdisch-iranische Frauen, die in einem feministischen Kampf sind und dann wieder eine sehr zeitgenössische Position mit einem Film von Amina Maher A Letter to My Mother. Ich freue mich außerdem sehr auf die Diskussionen, die die Aktivist:innen von Woman* Life Freedom Hamburg vorbereitet haben.

A Letter To My Mother © dokumentarfilmwoche hamburg

Die dokumentarfilmwoche hamburg findet vom 24.-30. April 2023 statt. Das vollständige Programm steht auf www.dokfilmwoche.com und als PDF zum Download bereit.

Dieses Interview ist im Rahmen einer Medienkooperation entstanden.

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