The Wolf of Wall Street und die nackte Ironie

Martin Scorsese spaltet mit seinem neuen Film The Wolf of Wall Street die Gemüter. Auch meins. So sehr ich mich auch von Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) und seinen Exzessen mitreißen ließ, so oft tauchte während des Films in meinem Hinterkopf diese Stimme auf, die hartnäckig fragte: „Muss das denn sein?“

© Universal

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Da werden kleinwüchsige Menschen zum Spaß auf Zielscheiben geworfen, aus dem Betrug an Unschuldigen wird eine große Lachnummer und wann immer möglich laufen halbnackte Frauen durchs Bild. In der Welt des schwerreichen Börsenmaklers Jordan Belfort hat die weibliche Spezies nur zwei Aufgaben: nett auszusehen und die Beine breit zu machen. Aber das ist doch Ironie, werden jetzt die meisten sagen. Der Film ist doch derart überzogen, dass auch die Darstellung der Frau als Sexobjekt hier nicht ernst, sondern im Grunde nur als Kritik genommen werden kann. Wirklich? Ich bin mir da nicht so sicher. The Wolf of Wall Street heult mir laut die Frage entgegen, wie viele nackte Brüste eigentlich noch als gelungene Ironie bezeichnet werden können.

Zugegebenermaßen war „Ironie“ auch das erste, das ich bei der Pressevorführung des Films in mein Notizbuch schrieb. Allerdings war das Wort mit einem dicken Fragezeichen versehen, als sei mir dieses hyperbolische Konzept schon beim ersten Sehen fragwürdig oder zumindest hinterfragenswert erschienen. Ganz sicher war ich mir also nicht. Und wenn ich mir selbst nicht sicher bin, muss ich doch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich auch anderen Menschen die Ironie des Konzepts nicht umgehend erschließt.

Viele Menschen halten Ironie (gesprochen IH-RO-NI-JE) ja noch für eine Balkonpflanze. Wie ich im Laufe meiner journalistischen Karriere mehrfach erlebt habe, muss eins den Begriff „Ironie“ für viele Leser_innen umständlich ausbuchstabieren, damit sie ihn in aller Gänze erfassen („Nein, dass Transformers in erster Linie durch seine komplexe Dramaturgie und den künstlerischen Anspruch überzeugt, habe ich nicht ernst gemeint.“). Dem Argument, blanke Brüste seien „nur“ ironisch, begegne ich daher mit großer Skepsis. Blanke Brüste sind erst einmal genau das: blanke Brüste.

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Darüber hinaus ist es durchaus relevant, in welchem Kontext die erwähnte Nacktheit zu finden ist und welche Funktion sie erfüllt. Ich las zu diesem Thema kürzlich etwas im Zusammenhang mit der TV-Serie Girls. „The female body in photographs and film is still, at some level, considered to be public property, something that is intended to provoke, entertain, inspire or arouse the audience. We don’t often see women having agency over their own bodies“, schreibt hier die Autorin Arielle Bernstein und kontrastiert diesen allgemeinen Trend mit einer konkreten Szene aus der erwähnten Serie, in der es sich zwei nackte Damen in der Badewanne gemütlich machen, und – so Bernstein – nur sich selbst gehören. Ich glaube, es besteht kein Zweifel daran, dass die zahlreichen weiblichen Nackedeis in The Wolf of Wall Street in erster Linie Jordan Belfort und in zweiter Linie dem voyeuristischen Blick des Publikums gehören, in keinem Falle aber sich selbst. Im Idealfall empfindet einer von zehn männlichen Kinogästen in Anbetracht der übertriebenen Präsenz halbnackter Frauen moralische Zweifel, aber die restlichen 9 haben mit großer Wahrscheinlichkeit fortan feuchte Träume von wilden Büro-Orgien, bei denen sie den Nutten das Koks aus dem Arsch schnupfen.

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Mein Kollege Alexander Matzkeit gehört zu jenen, die der Film nicht zu realen oder erträumten Exzessen verleitet. „Nach The Wolf of Wall Street habe ich mich schmutzig gefühlt“ betitelt er seine Kritik des Films. In seinem Text bringt er einen entscheidenden Punkt zur Sprache, den auch ich in Hinblick auf die eingangs gestellte Frage nach der Ironie berücksichtigen will: Jordan Belfort ist zu sympathisch. Um noch einmal Einblick in meine Notizen zu geben: „Wolf ist der Held – Wieso? Er ist ein Arschloch!“ Martin Scorsese erzählt seine Geschichte so, dass wir Jordan Belfort nicht nur cool, sondern darüber hinaus auch irgendwie sympathisch finden. Er mag geldgierig, egoistisch, gewissenlos und sexistisch sein, aber irgendwie auch eine ziemlich coole Sau. Und mal ehrlich, wärt ihr nicht auch gerne „eine ziemlich coole Sau“!? Ich glaube, ich schon. Die ironische Distanz schrumpft auf ein Minimum, wenn Mann sich sagt, er würde zwar seine Frau besser behandeln als dies Jordan Belfort täte, aber wenn die Angetraute so aussähe wie Margot Robbie, wäre das zugebener Maßen schon ziemlich geil.

Womit ich zum vierten und letzten Punkt komme, der mir helfen soll zu entscheiden, ob ich bei der Nackedei-Parade in The Wolf of Wall-Street von gelungener Ironie sprechen möchte: Körperfaschismus, also das Propagieren eines alleinig gültigen Idealbilds des weiblichen Körpers. Die Frauen in Martin Scorseses Film sind nicht nur nackt, sie sind in der Regel auch weiß, schlank, großbusig und bevorzugt blond. Weicht ihr Körperbild von dieser Formel ab, sagt dies im Film auch etwas über ihren Wert aus. „Hübsche“ Nutten sind teuer, „hässliche“ sind billig. In dieser viel zu selbstverständlichen Logik nimmt The Wolf of Wall Street ganz nebenbei auch eine klare Definition von Schönheit vor und ordnet die weiblichen Charaktere in einer Hierarchie, an deren Spitze das „Trophy-Wife“ Naomi (Margot Robbie) als potentielles Idealbild der Frau von heute thront.

Ach, aber ich vergaß. Das ist ja auch IHRONIJE. Oder nicht?!

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Die Frage, wie viel nackte Haut noch Ironie ist, lässt sich nicht beantworten. Es ist viel zu eindimensional lediglich die Anzahl freizügiger Damen mit dem gesellschaftskritischen Potential des Films abzugleichen. Ich glaube, wie sehr wir uns auch bewusst sind, dass Frauen* nicht von Männern* besessen werden, sondern Eigentümer ihres eigenen Körpers sein sollten, so stark prägen sich doch Bilder wie die aus The Wolf of Wall Street in unser Unterbewusstsein ein. Bilder davon, wie eine Frau idealer Weise auszusehen hat. Vielleicht auch Ideen davon, wie eine Frau sich idealer Weise zu verhalten hat. Und je vergnüglicher sich so ein Film ausnimmt, desto geringer ist die Bereitschaft der Zuschauer_innen, sich mit seinem Inhalt kritisch auseinanderzusetzen. Kaum anzunehmen, dass irgendjemand nach The Wolf of Wall Street aus dem Kino kommt, sich an den Kopf fasst und spricht: „Ei der Daus, jetzt werd‘ ich Feminist_in!“

Sophie Charlotte Rieger
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