Pola Beck im Interview: „Man muss am Set gut atmen können und wenn man gut atmen kann, kann man auch gut spielen”

Die deutsche Film- und Fernsehlandschaft befindet sich im Umbruch. Streaming-Anbieter, Öffentlich-Rechtliche Sender, heimische und internationale Produktionen drehen heute in Deutschland mehr Filme und Serien als je zuvor. Das bedeutet nicht nur mehr Arbeit für Filmschaffende, sondern stellt auch die Frage, unter welchen Bedingungen Filme in Zukunft produziert werden sollen. Über gegenwärtige Arbeitsbedingungen am Set und Zukunftsvisionen für die deutsche Filmindustrie hat Filmlöwin mit der Regisseurin Pola Beck gesprochen. ___STEADY_PAYWALL___

Dabei ging es um die Freuden eines entspannten Casting-Prozesses und wie wichtig es ist, am Set eine offene Atmosphäre zu schaffen. Auf ihr Spielfilmdebüt Am Himmel der Tag (2012) folgten sowohl Filmprojekte wie Kleptomami (2017) als auch Serien wie Druck (Staffeln 1-4, 2018-2019). Zuletzt verfilmte sie mit Der Russe ist einer, der Birken liebt den gleichnamigen Roman von Olga Grjasnowa.

Regisseurin Pola Beck © Kasimir Bordasch

Pola Beck © Kasimir Bordasch

Seit dem 6. April streamt nun ihre neue Serie Tender Hearts auf WOW. Die Serie spielt in der nahen Zukunft und beschäftigt sich – anstatt mit Raumschiffen oder dystopischen Herrschaftssystemen – mit der Frage, wie wir zukünftig Beziehungen leben werden und wollen. Die Handlung folgt Mila (Friederike Kempter), die, enttäuscht von der Datingwelt, einen beziehungsfähigen Androiden als Partner ausprobiert. Bo (Madieu Ulbrich) ist ein Lovedroid und perfekt auf ihre Bedürfnisse eingestellt. Mit der Zeit entwickelt Mila Gefühle für Bo, was Freunde und Familie nicht so recht nachvollziehen können. Neben Akzeptanzproblemen, sieht Mila sich mit der Firma Tender Hearts konfrontiert, die Bo vermietet. Bo erkundet währenddessen die Welt und seine eigenen Bedürfnisse.

Tender Hearts entwirft ein eher utopisches Zukunftsbild. Die Serie spielt in einer Gesellschaft mit aufgeweichten Geschlechterrollen und Beziehungsformen. War es euch wichtig, eine Zukunft zu zeigen, die anstatt totalitär zu sein eher utopische Elemente aufweist?

Als ich zum ersten Mal die Drehbücher gelesen habe – damals noch als Rohfassung – fand ich es interessant, dass sich das Konzept absetzt vom klassischen Science-Fiction-Genre. Gefühlt sind 99,9 Prozent dieser Geschichten dystopisch, totalitär oder einfach sehr unterkühlt. Ich wollte stattdessen eine Serie erzählen, in der die gesellschaftspolitischen Themen, die wir jetzt diskutieren, schon ein Schritt weiter sind und einen positiven Verlauf genommen haben – nicht in allen Belangen, aber in vielen. Das war auch im Drehbuch von Eva Lia Reinegger schon so angelegt.

Pola Beck mit Frederike Kempter und Vladimir KorneevVladimir Korneev am Set von Tender Hearts © 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

© 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

In der Vergangenheit war Science Fiction ja auch ein sehr männliches, sehr weißes Genre, in dem Außerirdische oft für „das Andere” standen, das besiegt werden muss …

Es war mir unheimlich wichtig, eine weibliche Heldin zu erzählen, die sehr selbstbestimmt ist, aber nicht gegen Außerirdische kämpft. Mila muss sich mit den Problemen der Zeit beschäftigen und damit, wo sie selbst gerade steht.

„Was das Sammeln von Daten angeht […] nehmen [wir] inzwischen sehr vieles in Kauf, weil wir im Gegenzug etwas dafür bekommen.”

Welche Rolle spielt für dich Kontrolle und Macht in der Serie? Auf der einen Seite steht hinter dem Androiden Bo ja ein großes Unternehmen, das ständig Daten sammelt …

Was das Sammeln von Daten angeht oder Kontroversen darum, dass Apps uns abhören können, hatten Eva Lia Reinegger und ich den Eindruck, dass die erste Empörungswelle schon vorbei ist. Wir nehmen inzwischen sehr vieles in Kauf, weil wir im Gegenzug etwas dafür bekommen. So nimmt auch Mila in Kauf, dass die Augen des Androiden sie permanent filmen – für sie ist das relativ normal. Zurzeit haben wir damit noch ethische Probleme, aber ich kann mir vorstellen, dass sich das in Zukunft ändert. Darüber hinaus regt die Serie zum Nachdenken darüber an, ob Tender Hearts, also die Firma, die die Androiden vermietet, tatsächlich böse ist oder ob dahinter nicht auch ein guter, feministischer Gedanke steckt. Tender Hearts stellt Androiden her, die Menschen die Möglichkeit geben, eine Beziehung zu führen, in der sie nicht kontrolliert zu werden, sondern selbst die Kontrolle zu haben.

Diesen Punkt finde ich spannend. Es ist nicht ganz mit dem Patriarchat vergleichbar, aber es gibt definitiv ein Machtgefälle zwischen Mila und Bo. Es scheint fast, als würde Mila ihre Selbstbestimmung nur auf Kosten des Roboters bekommen. Das wirft viele Fragen auf über Macht in Beziehungen. Bo steckt zwar in einem männlich-gelesenen Körper, aber in der Beziehung zu Mila hat er kein Mitspracherecht. Das ist ein sehr komplexes, sehr spannendes Feld.

Unsere Drehbuchautorin Eva Lia Reinegger hat von Anfang an gesagt, ‘Ja hier ist vieles umgedreht, aber wir wollen erzählen, dass eine Frau Mitte 40 sich in eine Maschine verliebt und um Toleranz für ihre Beziehung kämpft.’ Milas Freundeskreis scheint zwar sehr aufgeschlossen, gleichzeitig geht Selbstbestimmung für sie dann aber doch nicht so weit, dass ein Mensch mit einer Maschine glücklich werden kann.

Pola Beck mit Darstellenden am Set von Tender Hearts © 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

© 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

Bo gibt Mila die Möglichkeit, Scham und Hemmnisse abzulegen – mit ihm kann sie sein, wie sie ist – viel mehr als mit anderen Menschen. Wenn du jemanden findest, der dich frei sein lässt, ist das ja auch die Essenz einer glücklichen Beziehung. Mila hat Macht über Bo, gleichzeitig gibt ihr die Beziehung eine Freiheit, die sie so vorher noch nicht kannte. Natürlich stehen Bo aber auch Rechte zu, damit er genauso handeln und leben kann wie ein Mensch – auch wenn er kein Mensch ist oder werden will.

In der Welt, die ihr erzählt, gibt es ganz viele unterschiedliche Menschen – sowohl was die Beziehungen angeht, die gezeigt werden, als auch die Figuren. Hier leben Menschen mit verschiedenen Genderidentitäten, mit verschiedenen Hautfarben, mit Behinderung und ohne Behinderung zusammen. War das so schon im Drehbuch angelegt, oder hat sich das im Produktionsprozess entwickelt?

Im Drehbuch war beispielsweise schon angelegt, dass in der Firma Tender Hearts auch Menschen mit Behinderung arbeiten und dass Mila eine Beinprothese wegen ihres gelähmten Beins hat. Im Produktionsprozess sind wir dann gemeinsam mit der Casterin Liza Stutzky in die Communities gegangen, anstatt nur in klassischen Agenturen zu suchen. Hieu Pham, die die Assistentin Izzy der Chefin Andreja (Marie-Lou Sellem) spielt, hat Liza zum Beispiel im Berliner Inklusionstheater RambaZamba gefunden. Sie hat eine Spielfreude mitgebracht, die die Serie enorm bereichert hat. Dabei ist uns bewusst geworden, dass sie ihr Talent in einem klassischen Casting vielleicht nicht hätte zeigen können, weil es den Raum dafür nicht bietet. Mir war es deshalb wichtig, hier auch andere Wege zu gehen. Beispielsweise haben wir direkt im RambaZamba Theater gecastet, anstatt dass die Leute zu uns kommen mussten. Für die Darstellerin war es so stressfreier und auch das Casting wurde dadurch zu einem richtig schönen Prozess.

Hieu Pham in der RambaZamba Inszenierung „the world flames like a discokugel (styx spricht)“

Hieu Pham in der RambaZamba Inszenierung „the world flames like a discokugel (styx spricht)“ © Andi Weiland

Wenn ihr euch außerhalb von klassischen Casting-Agenturen umschaut, wo sucht ihr dann nach Leuten?

Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Instagram ist immer sehr hilfreich. Manchmal ist es aber auch einfach Herumfragen, beispielsweise bei Kolleg:innen oder im Freundeskreis. Liza Stutzky guckt sich auch gern in der Musikszene um, denn da gibt es viele Leute, die darstellerisch sehr talentiert sind. Am Ende hatten wir dann so viele tolle Menschen im Casting, dass ich mir oft dachte, ‘Oh, ich würde dir gerne eine Rolle geben, aber wir haben gar nicht so viele Rollen.’

„Meiner Erfahrung nach führt ein Vertrauensverhältnis dazu, dass Leute besser spielen.”

Ich finde es interessant, dass ihr eine entspannte Casting-Atmosphäre geschaffen habt, anstatt Druck auszuüben und zu schauen, wie die Darstellenden damit umgehen. 

Ich versuche beim Drehen immer eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Cast und Crew wohlfühlen. Das ist allerdings auch Arbeit, aber meiner Erfahrung nach führt ein Vertrauensverhältnis dazu, dass Leute besser spielen. Druck kann unter Umständen auch helfen, aber man muss sich vorstellen, mein ganzer Körper ist angespannt und dann soll ich leidenschaftlich die Julia in Romeo und Julia spielen. Wie soll ich das denn machen, wenn alle meine Muskeln verspannt sind und ich schwitze und zittere? Ich finde, man muss am Set gut atmen können und wenn man gut atmen kann, kann man auch gut spielen.

Wie gehst du vor, um eine entspannte Atmosphäre am Set zu schaffen?

Das kann ich vielleicht am Beispiel der Sexszenen in der Serie erklären. Unter anderem gibt es eine Szene, in der Mila mit einem Strap-on Analsex mit Bo hat und das auch total genießt. Friederike Kempter und Madieu Ulbrich, die die Rollen spielen, waren sehr nervös, die Szene zu drehen. Auf der einen Seite hatten wir einen Intimacy Coach, was sehr hilfreich war, denn auch ich stoße hier manchmal an meine Grenzen. Intimacy Koordinator:innen stellen sicher, dass die Darstellenden sich wohlfühlen. Es gibt Consent Regeln und die Szene wird ganz pragmatisch angegangen.

„Ich [mache] manchmal kleine Schauspielübungen oder spiele Musik am Set, [damit] Cast und Crew – wenn sie es möchten – in eine entspanntere Atmosphäre eintauchen können.”

Für diese spezielle Szene war es mir wichtig, sehr offen und transparent vorzugehen: Wir haben viel über die Szene gesprochen, haben vorab ein Hotelzimmer gemietet und Fotos gemacht, um zu zeigen, wie die Einstellungen aussehen könnten. Das hat schon mal Druck raus genommen, denn die beiden Darsteller:innen wussten, was auf sie zukommt. Am Set hatten wir dann ein sehr kleines Team und haben beispielsweise auch die Monitore abgehängt. Dann wissen die Darstellenden, sie sind jetzt in einem ganz kleinen Kreis und da guckt niemand hinter der Tür noch zu. Generell mache ich manchmal kleine Schauspielübungen oder spiele Musik am Set. Die fünf Minuten nehme ich mir damit Cast und Crew – wenn sie es möchten – in eine entspanntere Atmosphäre eintauchen können.

Das erinnert mich an die Daniels, die ja gerade den Oscar für Everything, Everywhere All At Once gewonnen haben. Die haben sich morgens am Set immer ein wenig Zeit genommen, um mit Cast und Crew gemeinsam eine Übung zu machen – da konnten Leute auch selbst was mitbringen und anleiten.

Das macht einen großen Unterschied am Set. Leider ist es nicht so einfach einzuführen. Ein Set ist ja ein riesiger Apparat, da muss es in der Regel eine Ansage von oben geben, sonst funktioniert es nicht so gut, weil alle immer etwas zu tun haben. Für meine nächsten Projekte habe ich mir aber vorgenommen, diese zehn Minuten in den Tagesablauf einzubauen.

© 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

© 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

Das ist mir deshalb wichtig, weil momentan wahnsinnig viel gedreht wird – wir arbeiten fast wie am Fließband. Natürlich ist es schön, dass es genügend Arbeit gibt, aber – und das sehe ich auch bei meinen Kolleg:innen – werden wir nahezu verheizt. Denn natürlich steckt hinter den ganzen Serien und Filmen auch ein sehr kapitalistisches System. Filmemachen ist eigentlich etwas sehr persönliches, aber das vergessen wir, wenn wir in dieser Maschine feststecken und abliefern müssen.

„Das ist wie so eine verführerische Schlange, die die ganze Zeit lockt und sagt ‚Komm, mach doch gleich das nächste Projekt’”

Die Zeitpläne werden immer enger, insbesondere die Phase der Postproduktion schrumpft auf ein Minimum zusammen, damit Content geliefert werden kann. Das Ergebnis ist ein Überangebot an Serien und Filmen, die wenig individuell oder persönlich sind. Ich finde es deshalb wichtig, sich zwischendurch immer wieder zu fragen, unter welchen Bedingungen wir eigentlich arbeiten möchten.

Kreativität ist ein sehr persönlicher Prozess, der viel Raum und Zeit braucht. Ich kann mir vorstellen, dass es sich dann manchmal anfühlt, als würdet ihre ein Stück von euch verlieren, ohne wirklich etwas zurückzubekommen.

Ich finde, das ist wie so eine verführerische Schlange, die die ganze Zeit lockt und sagt ‚Komm, mach doch gleich das nächste Projekt’, anstatt einfach mal kurz die Batterien aufzuladen. Ich habe jetzt zum Beispiel sieben Jahre am Stück gearbeitet und stelle mir die Frage, ob ich so weitermache oder doch lieber etwas im System verändere. Wir müssen darüber nachdenken, welche Bedürfnisse die Menschen haben, die an unseren Filmen und Serien arbeiten.

Blick auf Monitore am Set von Tender Hearts © 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

© 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

Die langen, intensiven Arbeitstage in der Filmproduktion schließen ja mehr oder weniger bewusst alle Menschen aus, die Care Arbeit leisten. Dabei gibt es Beispiele wie zuletzt Women Talking von Sarah Polley, die zeigen, dass 18 Stunden Tage gar nicht notwendig sind. Es ist also mehr eine Systemfrage. Was sind hier deine Erfahrungen? Gibt es eine Bereitschaft, sich für bessere Bedingungen einzusetzen oder werdet ihr von der Produktion angehalten, einfach durchzuziehen?

Also ich habe den Eindruck, es gibt hier vor allem einen Generationskonflikt. Viele Menschen kommen noch aus der Tradition des langen Arbeitens und können nicht verstehen, was das Problem ist.

So nach dem Motto, junge Menschen sind faul und wollen nicht arbeiten?

Genau. Oder: ‘So ist das halt beim Film. Was kommt ihr hier mit Pausen und acht Stunden Tagen?’ Aber die jüngere Generation, die gerade permanent Jobs annimmt und in diesem Hamsterrad festhängt, ist natürlich irgendwann total ausgebrannt. Es gibt verschiedene Ursachen dafür, dass Menschen plötzlich sagen, sie wollen so nicht mehr arbeiten und eine ist definitiv, dass es immer weniger Drehtage für den gleichen Inhalt gibt. Bei Serien drehen wir teilweise 60-100 Tage am Stück und müssen dann täglich oft einen immensen Workload schaffen. Es gibt zwar geregelte Arbeitszeiten, die auch von der Gewerkschaft geprüft werden, aber gleichzeitig arbeiten auch wahnsinnig viele Freiberufler:innen in diesem Metier, die eben nicht nach zehn Stunden Schluss machen können. Da kommt man dann schnell auf 16 Stunden Tage.

„Das Stichwort ist also nicht unbedingt familienfreundliches Drehen, sondern menschengerechtes Drehen.”

Wir Filmschaffende haben also viele Drehtage, die dann auch noch eng getaktet sind, wir drehen ein Projekt nach dem anderen, es gibt enorm wenig Planbarkeit, weil Drehpläne ständig hin- und hergeschoben werden. Das kann Familien kaputt machen oder man sieht seine Freunde nicht mehr. Das gilt nicht nur für Menschen mit Kindern, sondern für alle. Das Stichwort ist also nicht unbedingt familienfreundliches Drehen, sondern menschengerechtes Drehen.

Pola Beck und Filmcrew am Set von Tender Hearts © 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

© 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

Auf dem Berlinale-Kongress der ProQuote Film ging es dieses Jahr um familiengerechtes Drehen. Dort waren auch Vertreter:innen der großen Produktionsfirmen, die zumindest sagen, dass sie bessere Bedingungen schaffen wollen. Es tut sich einiges, aber es geht immer noch zu langsam. Es wäre beispielsweise schön, wenn auch die Deutsche Filmakademie sich noch mehr mit dem Thema beschäftigen würde. Meiner Meinung nach müssen wir uns besser vernetzen und unsere Forderungen dann von unten in die großen Gremien tragen.

Gibt es denn Möglichkeiten, trotz eng getakteter Drehpläne die Arbeitsbedingungen am Set zu verbessern?

Es gibt verschiedene Stellschrauben. Bei Tender Hearts hatten wir in der Maske zum Beispiel ein Jobsharing-Modell. Unsere Maskenbildnerin Sylvia Grave hat gesagt, dass sie das Projekt nicht machen kann. Sie war gerade aus einem 100 Tage langen Projekt gekommen und musste sich um ihr Kind kümmern. Ich wollte sie sehr gern beim Projekt dabeihaben und am Ende hat sie sich die Arbeit gemeinsam mit ihren zwei Kolleginnen, Ester Nyakato Rüppel und Gerda Ziegler geteilt. Es gab keine einzelne Hauptverantwortliche, die drei haben sich abgesprochen und es hat trotzdem super funktioniert.

© 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

© 2022 Odeon Fiction/ Sky Studios/ Nik Konietzny

Unsere Hauptdarstellerin Friederike Kempter hatte während des ganzen Drehs ihre kleine Tochter am Set, natürlich mit Nanny, aber sie hat Still-Pausen gemacht und es war toll zu sehen, dass das funktioniert. Es wäre schön, wenn auch Crew-Mitglieder die Möglichkeit hätten, so zu arbeiten. Oder wenn es mehrere Kinder gibt, auch mal eine Kinderbetreuung anzubieten.

„Es [wäre] super, wenn es bei der Filmförderung ein Budget für familienfreundliches Drehen gäbe.”

Die Finanzierung ist hier immer das Totschlagargument. Es wird gesagt, es sei kein Geld da, aber im Film betreibt man ja die ganze Zeit einen Kuhhandel. Wenn ich für eine Sache mehr Geld möchte, ob das jetzt VFX ist oder Kinderbetreuung, dann muss ich dafür an anderer Stelle sparen. Das Argument stimmt also genau genommen nicht. Natürlich wäre es super, wenn es bei der Filmförderung ein Budget für familienfreundliches Drehen gäbe. Dann muss ich nicht was anderes streichen, sondern kann diese Extraförderung einfach beantragen.

Was wünschst du dir für die Zukunft des deutschen Films?

Oh, da gibt es einiges. Ich wünsche mir, dass mehr Produktionen von Anfang an die Bedürfnisse von Cast und Crew mitdenken, dass menschengerechtes Drehen möglich wird, dass überhaupt danach gefragt wird. Ich wünsche mir, dass es in Zukunft weniger eine Film-und-Fernseh-Maschine ist und dass unsere Arbeit, unsere Kreativität wieder mehr wertgeschätzt wird. Kreative Freiheit ist die Basis künstlerischen Schaffens. Und um die umzusetzen, wünsche ich mir weniger Angst und mehr Mut. Durch diese vielen einzelnen Finanzierungstöpfe, die wir in Deutschland haben, werden Projekte und Ideen oft zerredet. Das ist schade. Zu guter Letzt wünsche ich mir, dass Filme und Serien wieder mehr Zeit bekommen, sich zu entfalten, anstatt nach zehn Tagen oder dem ersten Kinowochenende in der Schublade ‘erfolgreich’ oder ‘nicht erfolgreich’ zu verschwinden. Dass sie die Möglichkeit bekommen, ihr Publikum zu finden, auch wenn es manchmal länger dauert. Also lieber weniger produzieren, auch wenn das weniger Arbeit bedeutet. Bei allen Wünschen muss ich aber doch sagen, dass es einfach eine spannende Zeit fürs Filmemachen ist, weil sich so viel bewegt und das mach ich mir auch immer wieder bewusst.

Tender Hearts kann seit dem 6. April auf WOW gestreamt werden

https://www.youtube.com/watch?v=xOyIqwvNAe8

Theresa Rodewald