Interview: Kyra Scheurer vom Filmplus Festival für Filmschnitt
Filmplus, das vom 26. bis zum 29. Oktober 2018 in Köln stattfindet, ist ein Filmfestival, das sich nicht einem inhaltlichen Thema oder einer bestimmten Region der Welt, sondern dem Schnitt beziehungsweise der Montage verschrieben hat. Das klingt – zumindest für mich – erst einmal ungewöhnlich und genau deshalb besonders interessant. Also habe ich mich mit Kyra Scheurer getroffen, die Filmplus gemeinsam mit Dietmar Kraus und Jenny Krueger leitet, und mich mit ihr über das Gewerk der Montage, den dort vorherrschenden außergewöhnlich hohen Frauen*anteil und natürlich ihr Festival unterhalten.
Warum braucht es ein Festival über Schnitt?
Filmplus war ursprünglich eine Initiative des Filmmagazins Schnitt, als es das noch gab. Und es entstand aus der Position heraus, dass die Montage das originär Filmische ist – eigentlich fast schon eine filmhistorische Binsenweisheit. Als wir vor 18 Jahren mit dem Festival angefangen haben, wurden die Montage und der Berufstand der Editor_innen noch viel stiefmütterlicher behandelt als heute. Da hieß es noch mehr: „die unsichtbare Kunst des Filmschnitts“.
Stimmt das denn? Ist die Montage unsichtbar?
Es natürlich gibt Filme, da ist es dienlich, wenn man die Montage nicht so wahrnimmt, aber grundsätzlich sollten eben die Künstler_innen, die das machen, nicht unsichtbar bleiben. Und über dieses „unsichtbar“-Thema sollten wir eigentlich schon hinaus sein. So ähnlich wie mit den Frauenthemen. Aber Fakt ist natürlich, dass dieses Gewerk in der Öffentlichkeit, in der Filmkritik und so weiter, sehr wenig wahrgenommen wird.
„MAN KANN VOM SCHNITT EXTREM VIEL LERNEN“
Was ist an der Montage das Bedeutende?
Die Montage ist so etwas wie der Herzschlag des Films, sie verbindet, kontrastiert, baut Geschichten, schafft Tonalitäten und vermittelt gegebenenfalls auch Haltungen. Man kann vom Schnitt extrem viel lernen. Ich komme ja aus der Drehbucharbeit und habe durch die intensive Beschäftigung mit der Montage für meine Arbeit mit Autoren unheimlich viel gelernt, also für alles Dramaturgische. Uns ist es sehr wichtig, andere Gewerke dafür zu sensibilisieren. Zum Beispiel ist deswegen bei Filmplus die Hauptjury ganz bewusst Gewerke übergreifend besetzt.
Was ist denn in Deinen Augen eine gute Montage? Wonach wählt ihr aus?
Es gibt sehr viele verschiedene Aspekte, um über Montage zu reflektieren, von der Gesamt- über die Szenendramaturgie, Genrekonventionen, Innovative Ansätze, ganz simples handwerkliches Können – man betrachtet immer eine Gesamtkomposiotion. Wobei noch wichtig ist, dass Filmplus in den Wettbewerbssektionen ein Kinofestival ist. Es ist für die Auswahl also auch entscheidend, ob die Montage für die große Leinwand geeignet ist.
„DAS WAR ETWAS, DAS KLASSISCH FRAUEN GEMACHT HABEN“
Im Schnitt gibt es ja grundsätzlich viele Frauen*, insbesondere im Vergleich mit anderen Gewerken wie Regie, Kamera oder Ton. Was glaubst Du, woran das liegt?
Da gibt es viele verschiedene Theorien, aber welche davon zutrifft, kann und will ich nicht wirklich beurteilen. Zum Beispiel gibt es historische Gründe. Ältere Editorinnen haben mir oft erzählt, dass die Montage während und nach dem Krieg ein Gewerk war, in dem Frauen gut für die fehlenden Männer eingearbeitet werden konnten. Dann galt der Schnitt – ähnlich wie das Drehbuchschreiben – als eher „dienendes“ Gewerk, das von der Arbeitsteilung her schon mal andere Qualitäten erfordert als beispielsweise die Regie. Das war etwas, das klassisch Frauen gemacht haben. In den letzten Jahren hat sich vieles geändert, was man zum Beispiel am Bundesverband Filmschnitt sehen kann, wo nun deutlich mehr Männer im Vorstand sind als vorher. Fest steht: In den letzten Jahrzehnten ist das Gewerk für Männer durchaus interessanter geworden. Hierzu gibt es auch wieder verschiedene Theorien: Vielleicht, weil das Gewerk mehr wahrgenommen wird, einen Hauch mehr „Glamour“ bekommen hat, vielleicht wegen der oft vermuteten eher männlichen Technik-Affinität mit der Einführung des digitalen Schnitts.
Wie ist das mit eurem Frauen*anteil? Achtet ihr darauf?
Nein, in dem Gewerk wäre das Quatsch. Da müssten wir bei Filmplus eher auf einen ausreichenden Männeranteil achten.
„ICH GLAUBE NICHT, DASS MAN DA VON EINER MÄNNERDOMÄNE SPRECHEN KANN“
In diesem Jahr gibt es eine Hommage an einen Mann*. Aber das kommt nicht zu so häufig vor, oder?
Bei der Hommage ist es in all den Jahren erst der vierte Mann. In diesem Jahr ist das Norbert Herzner, der den ersten Film mit der Software Avid geschnitten hat – also ein Technik-Pionier, aber eben auch ein großartiger Schnittmeister.
Und bei den Wettbewerbs-Nominierungen geht es wirklich ganz klar einfach nur um die Montage-Leistung. Da ergibt sich in diesem Jahr zum Beispiel ein Anteil von einem männlichen Nominierten unter den fünf Filmen im Dokumentarbereich und ein Verhältnis von zwei Männern zu drei Frauen im Spielfilm. Das kann auch mal ganz anders aussehen. Da denken wir nicht in Gender-Kategorien. Bei der Zusammensetzung der Jurys natürlich schon eher.
Aber ich finde auch, da sollte man nicht zu viel drüber nachdenken. Bei uns in der Festivalleitung, die ja auch aus zwei Frauen und einem Mann besteht, ist ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis z.B. bei den Gremien ganz selbstverständlich, auch für meinen Kollegen Dietmar.
Bei euch braucht es also keine Quote, aber gerade bei höher budgetierten Filmen gibt es doch weniger Frauen* als Männer*…
Im Bereich Budget stimmt das sicher, nimmt man den Erfolg, auch im Bereich Festivals dazu, ist das Bild differenzierter, denke ich: Filmplus Schnitt Preis-Gewinner wie Das weiße Band oder Toni Erdmann genau wie andere Arthouse-Erfolge wie Barbara oder der in diesem Jahr nominierte Transit sind zum Beispiel alle von Frauen montiert. Und auch im Mainstream wie Werk ohne Autor, egal was man von dem Film hält, ist die Editorin Patricia Rommel weiblich. Ich würde sagen, im Spielfilm gibt es beides. Auch wenn man sich die High End Serien anguckt, wo jetzt ja auch viel Geld hingeht, ist es gemischt. Filmplus Akademie-Dozentin Julia Karg hat zum Beispiel bei Bad Banks und bei Charité mit montiert. Und Babylon Berlin hat auch zwei männliche Editoren und eine Frau. Also ich glaube nicht, dass man da von einer Männerdomäne sprechen kann.
„DA KANN ICH NUR EINLADEN, ZU UNSEREM FESTIVAL ZU KOMMEN“
Wie groß ist eigentlich der künstlerische Einfluss einer Editorin auf das Werk?
In Deutschland gilt auch für die Montage völlig zurecht das Urheberrecht, das heißt es gibt einen gesetzlich anerkannten Anteil des Filmschnitts am arbeitsteiligen Gesamtkunstwerk Film. Prozentual ist das jenseits dieser rechtlichen Lage im Einzelfall schwer zu sagen und man wird es auch nie ganz genau festmachen können.
Viele Menschen haben ja nur eine vage Vorstellung davon, was einen Filmschnitt überhaupt ausmacht.
Da kann ich nur einladen, mal zu unserem Festival zu kommen, denn da wird nach jeder Festivalvorführung mit den Editor_innen gesprochen. Und das lässt sich viel leichter an Beispielen erfahren.
Jetzt hast Du gleich Werbung für Dein Festival gemacht. Was sind dieses Jahr die Highlights?
Wir haben zwei Neuerungen dieses Jahr, auf die wir sehr stolz sind. Das ist zum Einen die Filmplus Akademie, also Weiterbildung für Filmschaffende, nicht nur Editor_innen, sondern auch andere Gewerke, aber natürlich mit Fokus auf Montage. Das ist sehr gut angekommen und tatsächlich schon ausgebucht.
Das zweite ist das International Film Editors Forum, wo wir ein neues Format ausprobieren, das an das World Café Format angelehnt ist, also eine Open Space Veranstaltung, wo es verschiedene Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen gibt. Das ist dann wirklich nur für Editor_innen, begrenzt auf 5 Teilnehmer_innen pro Land
Und für das Publikum?
Ein Publikumshighlight ist sicher die schöne Hommage an Norbert Herzner. Wir eröffnen das Festival mit Out of Rosenheim – die neue 4K Version. Und der Regisseur Percy Adlon kommt auch und hält die Laudatio. Und Norbert ist natürlich die ganze Zeit da. Dann gibt es Samstag immer den Gastland-Abend, das ist in diesem Jahr Italien. Das wird sicherlich nicht nur temperamentvoll, sondern auch abwechslungsreich. Wir haben Cristiano Travaglioli zu Gast, den Stammeditor von Paolo Sorrentino. Und wir zeigen eben nicht Loro oder etwas andres Neues, sondern noch mal Il divo, der ja schon ein paar Jahre alt, aber ein „Montage-Klassiker“ ist.
Dann haben wir natürlich den Förderpreis Kurzfilm. Daran ist immer besonders schön, dass alle Gattungen, also Spielfilm, Dokumentarfilm und Experimentalfilm dabei sind mit den jeweiligen Nachwuchseditor_innen, die über ihre Arbeiten berichten. Sehr abwechslungsreich.
FILME, „DIE GANZ WESENHAFT UM DIE MONTAGE KREISEN“
Der Themenschwerpunkt heißt „Re-Edited“. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Wir stellen die Montage noch mehr in den Fokus, als sie ohnehin schon ist, mit „Re-Edited-Filmen“, die ganz wesenhaft um die Montage kreisen. Wir haben zum Beispiel den Filmexperten Daniel Kothenschulte dabei, der einen Vortrag zum Found-Footage-Film hält. Außerdem ist Monika Willi zu Gast, die Stammeditorin von Michael Haneke und Michael Glawogger. Sie hat die US-Version von Funny Games montiert. Und da sprechen wir schon fast von einem „shot to shot“-Remake, so dass sich die spannende Frage stellt: Welche Montagemöglichkeiten gibt es da überhaupt noch?
Und ihr zeigt auch ER SIE ICH, einen Film, der mir persönlich sehr deutlich gezeigt hat, wie stark Schnitt erzählen kann.
Ja, der ist auch nominiert. Da ist die Montage übrigens alles andere als unsichtbar. Aber im besten Sinne!
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