Interview: Bernadett Tuza-Ritter über EINE GEFANGENE FRAU (A WOMAN CAPTURED)

© Guido Schiefer / IFFF

Was für ein Film! Selten habe ich im Kino so gelitten wie in Bernadett Tuza-Ritters Regiedebut Eine gefangene Frau (A Woman Captured). In diesem eindringlichen Dokumentarfilm nimmt sich die Ungarin dem Phänomen der modernen Sklaverei an und begleitet Marish, die unter unmenschlichen Bedingungen den Haushalt ihrer „Besitzerin“ Eta führt und dabei nicht nur im übertragenen, sondern im tatsächlichen Sinne eine Gefangene ist. Das mit anzusehen fällt nicht nur mir als Zuschauerin schwer, sondern auch der Regisseurin selbst, weshalb sie sich allen Regeln zum Trotz entschloss, in das Geschehen einzugreifen.

Wieso sie das getan hat und wie es überhaupt zu diesem erstaunlichen Filmprojekt kam, hat mir Bernadett Tuza-Ritter beim Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund | Köln erzählt, wo sie mit Eine gefangene Frau (A Woman Captured) den Publikumspreis gewann.

FILMLÖWIN: Wie hast Du Marish kennengelernt?

Bernadett Tuza-Ritter: Um mich in Ungarn an der Filmhochschule für den Studiengang „Regie“ zu bewerben. Ich hatte zuvor schon Montage studiert, wollte jetzt aber noch Regie studieren. Für die Bewerbung musste ich einen fünfminütigen Dokumentarfilm machen und die Idee war, in meinem Film nur ein einziges Gesicht zu zeigen. Ich kannte die Familie von Eta schon seit einer Begegnung ein paar Jahre zuvor und wusste, dass sie Bedienstete hatten, darunter auch Marish. Aber ich hatte keine Ahnung, was dahinter steckte. Also fragte ich die Familie, ob ich bei ihnen ein paar Tage drehen könnte.

Also dachtest Du, Marish sei eine gewöhnliche Angestellte?

Ja, ich meine, es gibt durchaus Menschen, die ein Hausmädchen haben. Das ist ein normaler Job. Aber da Marish in Etas Haus wohnt, musste ich natürlich deren Erlaubnis einholen. Und sie hat dann auch die Regeln festgelegt: Ich durfte Marish nicht anrufen und nicht mit ihr drehen, ohne Eta vorher Bescheid zu geben.

© Frauenfilmfestival Dortmund | Köln

Und das kam Dir nicht merkwürdig vor?

Ja, es war schon merkwürdig, aber es gibt eben auch merkwürdige Menschen! Und sie war eigentlich ganz nett zu mir. Ich versprach ihr dann auch, ihr Gesicht nicht zu zeigen, weil sie nicht Teil des Films sein wollte. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, sie war ziemlich stolz darauf, diese Bediensteten zu haben. Und während der ersten Drehtage erzählte mir Marish dann, dass sie nicht bezahlt würde.

„In erster Linie sind wir doch Menschen!“

Gab es einen bestimmten Moment, in dem Du gemerkt hast, dass das jetzt kein Kurzfilmprojekt mehr ist?

Das ist ein gradueller Prozess. Es beginnt damit, dass man mehr und mehr an der Protagonistin und dem Thema interessiert ist, immer mehr Material sammelt. Ich kann mich erinnern, dass ich jedes Mal, wenn ich dort gewesen war, wieder irgendetwas im Kopf hatte, eine bestimmte Einstellung, wegen der ich wieder zurück wollte.

Im Film sagt Marish einmal zu dir: „Du bist die einzige Person, der ich vertrauen kann“. Das ist ein sehr kritischer Moment, weil Du als Filmemacherin ja eigentlich Distanz wahren musst. Wie kam es dazu, dass Du von der Rolle der Filmemacherin abgewichen bist und dich eingemischt hast?

Natürlich habe ich als Filmemacherin am Anfang versucht, Distanz zu wahren. Aber irgendwann war es einfach offensichtlich, dass das nicht möglich war. In erster Linie sind wir doch Menschen! Du kannst nicht total auf Distanz mit deiner Protagonistin gehen, die du den ganzen Tag beobachtest. Ich denke, du musst reagieren. Die sogenannten „Regeln“ sind mir dabei egal. Ich hätte mich schuldig gefühlt, wenn ich ihr nicht geholfen hätte. Aber ich wusste auch, wo die Grenze war: Ich konnte sie nicht mit nach Hause nehmen und ich konnte ihr kein Geld geben.

Hat Marish jemals eine Grenze gezogen und dich gebeten, etwas nicht zu filmen?

Ich habe ihr gleich zu Beginn der Dreharbeiten gesagt, dass sie mir immer sagen kann, wenn ich nicht filmen soll. Ich kann mich nur an einen Moment erinnern, in dem sie das getan hat. Das war während der Flucht, als wir in dieser Bar saßen. Und sie sagt: „Ich fühle solch eine Erleichterung in meinem Herzen.“ Und dann wollte sie mir in die Augen schauen und nicht in die Kamera.

Davon abgesehen hat sie keine Grenzen gezogen?

Ich war wirklich sehr aufmerksam, habe ihre Emotionen sehr genau beobachtet und die Kamera zur Seite gelegt, bevor sie etwas sagen konnte. Es gibt z.B. diese Szene, in der man nur ihre Hände sieht. Ich legte die Kamera auf den Tisch, weil ich es nicht in Ordnung fand jemanden zu beobachten, der so traurig ist. Insofern gab es für sie keinen Grund, Grenzen zu ziehen.

„Zu zeigen, wie sie psychisch misshandelt wird und dann einfach gehen, ist keine Option.“

Ich finde, dass Du ihr durch die Art und Weise wie Du sie filmst Würde verleihst.

Das wollte ich ihr auch mit meiner Anwesenheit zeigen, dass sie ein Mensch ist, dass sie tun kann, was sie will. Ich respektiere sie, ich will nicht in ihre Privatsphäre eindringen. Ich habe sie auch nie etwas gefragt, wenn sie nicht von sich aus angefangen hat, mit mir zu sprechen.

Also hat sie die Geschichte mitbestimmt.

Ja, und darum ging es mir auch. Ich wollte, dass sie stärker wird. Wenn sie ihre eigenen Entscheidungen trifft, kann sie es schaffen, frei zu bleiben.

© Frauenfilmfestival Dortmund | Köln

Gab es einen Moment, in dem Du Zweifel daran hattest, den Film einem Publikum zu zeigen?

Ja, weil ich nicht sicher war, ob sie fliehen würde. Und ich fragte mich, was ich tun sollte, wenn sie niemals fliehen würde. Ich wollte nicht einfach nur diese Tortur ohne ein glückliches Ende zeigen. Zum Glück aber ist sie geflohen. Hätte sie das nicht gemacht, hätte ich sie wohl doch befreit. Zu zeigen, wie sie psychisch misshandelt wird und dann einfach gehen, ist keine Option.

Glaubst Du, sie wäre ohne den Film auch geflohen?

Ich glaube, sie wäre immer noch dort. Sie war so einsam, aber als ich mit meiner Kamera dort ankam, hatte sie eine Freundin. Ich glaube, das war wichtig.

Es ist schwer zu glauben, dass Eta diesen Film genehmigt hat und sich dabei nicht dessen bewusst war, was sie Marish antat.

Sie fühlt sich nicht schuldig, nicht mal heute. In Ungarn waren die Zeitungen voll mit diesem Thema und dem Film und Eta hat das gelesen. Aber sie ist anderer Meinung.

Wie gehst Du mit einer solchen Person um?

Es war furchtbar. Wirklich, es war ein Albtraum für mich. Manchmal habe ich mehrere Tage damit gerungen, Eta anzurufen. Ich wollte nicht in dieses Haus gehen. Aber gleichzeitig fühlte ich mich schuldig, wenn ich nicht ging, weil ich ja wusste, dass Marish noch dort ist. Also habe ich einfach versucht, immer weiter zu machen.

„in meinem Film tut das eine Frau einer anderen Frau an!“

Glaubst, Du dass Frauen* und Männer* andere Filme oder Filme anders machen?

Es ist mir eigentlich egal, ob ein Film von einem Mann oder einer Frau ist, weil ich nur an seiner Qualität interessiert bin. Aber bei meinem Film glaube ich nicht, dass ein Mann das geschafft hätte. Der reine Fakt, ob da ein Mann oder eine Frau ist, macht einen Unterschied. Eta hätte sich mit einem Mann niemals so angefreundet wie mit mir. In ihren Augen war ich eine gute Freundin.

Ich finde, in Deinem Film geht es auch um ein Empowerment durch weibliche* Solidarität.

Ich sehe Marish weniger als Frau denn als Mensch. Gleichzeitig weiß ich, dass sie so schlecht behandelt wird, weil sie eine Frau ist. Aber in meinem Film tut das eine Frau einer anderen Frau an! Ganz ehrlich: Ich weiß, wie manche Männer Frauen behandeln, aber ich weiß auch, wie manche Frauen andere Frauen behandeln. Ich verstehe das nicht.

Macht es für Dich einen Unterschied, ob Du mit einer Frau* oder einem Mann* drehst?

Ich habe auch Kurzfilme mit Männern gemacht, aber ich kann nicht dieselbe Art von Freundschaft mit ihnen aufbauen. Sie haben schnell ganz andere Gedanken dabei. Ich erinnere mich, wie ich einmal das starke Gefühl hatte, mein Protagonist sähe da eine aufkeimende Liebe. Einfach nur, weil wir so intime Momente miteinander geteilt haben.

Glaubst Du, Männer * und Frauen* sind als Filmemacher_innen heutzutage gleichberechtigt?

Ja, das glaube ich wirklich, auch wenn ich als Frau schlechter bezahlt werde als Männer. Und das machen übrigens ProduzentINNEN! Es ist auch manchmal schwierig, mit Frauen geschäftlich zusammenzuarbeiten. Bei Eine gefangene Frau (A Woman Captured) hatte ich zufällig ein rein weibliches Team. Und als ich mal einer ganz freundlich gesagt habe, dass ich mit ihrer Arbeit nicht zufrieden war, fing sie an zu weinen. Ich meine, ich bin auch emotional, aber das ist einfach unprofessionell. Gleichzeitig aber hatte ich in diesem Umfeld auch besonders viel emotionale Unterstützung.

Kinostart: 11. Oktober 2018

Sophie Charlotte Rieger
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