IFFF 2016: Sontag, Akerman, Berg – Portraits faszinierender Frauen
Susan Sontag, Chantal Akerman, Sibylle Berg – drei faszinierende Frauen und drei Dokumentarfilme, die versuchen, ihnen gerecht zu werden. Das Internationale Frauenfilmestival Dortmund/Köln ist nicht nur eine Plattform für Filme von Frauen, sondern auch für Filme über Frauen. Neben den Würdigungen verstorbener Ikonen Regarding Susan Sontag und I don’t Belong Anywhere: The Cinema of Chantal Akerman fand sich im Programm 2016 auch der aktuelle Film Wer hat Angst vor Sibylle Berg?.
Susan Sontag verstarb lange bevor Nancy D. Kates mit ihrem filmischen Portrait begann. Chantal Akerman arbeitete mit Regisseurin Marianne Lambert für deren Dokumentarfilm eng zusammen, verstarb aber kurz nach seiner Premiere. Sibylle Berg hingegen ist an „ihrem“ Film nicht nur aktiv beteiligt, sondern wird auch seine Rezeption nach dem Kinostart am 28. April 2016 miterleben können. Aus diesen unterschiedlichen Produktionsbedingungen ergeben sich automatisch unterschiedliche Herangehensweisen. Doch die drei filmischen Denkmäler unterscheiden sich auch auf anderen Ebenen und formulieren gemeinsam betrachtet die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen biographischer Dokumentarfilme.
Nancy D. Kates profitiert gewisser Maßen von der Tatsache, dass ihre Protagonistin bereits verstorben ist. Im Gegensatz zu Sibylle Berg kann Susan Sontag kein Veto mehr einlegen, was die Darstellung ihres Privatlebens betrifft. Die Frage, ob dies als Segen oder Fluch zu werten ist, lässt sich dabei nicht final beantworten. Fest steht, dass Regarding Susan Sontag über die private Susan Sontag weit hinaus geht und dem Kinopublikum vor allem einen umfassenden Einblick in das Werk der Schriftstellerin, Filmemacherin und Aktivistin gewährt. Nach dem Motto „All writing is political“ lässt sich Sontags Schreiben ohnehin nicht von ihrem gesellschaftlichen Engagement und damit im Grunde auch nicht von ihrer Person trennen. Für sie war Autorenschaft unmittelbar damit verknüpft, an vorderster Front gegen gesellschaftliche Missstände zu kämpfen. Diese Verknüpfung aus Werk und Person übersetzt Nancy D. Kates zum Teil in Animationssequenzen, wie beispielsweise Buchstaben, die ihre Funktion als Sprachmedium abgeben und sich stattdessen als Bildelemente zu einem Portrait Sontags zusammenfügen.
Sehr bezeichnend für Susan Sontag ist auch ihr unbedingter Lebenswillen, mit dem sie zwei Krebserkrankungen überstand und bis zum Schluss – wenn auch vergeblich – gegen die Krankheit ankämpfte. Und so ist auch ihr Portrait niemals tragisch, sondern vermittelt stattdessen Ehrfurcht für eine ungewöhnliche Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Regarding Susan Sontag macht Lust, all ihre Schriften zu lesen, ja, selbst den durchgehend als Reinfall verurteilten ersten Roman. Die Sympathie, die Nancy D. Kate für ihre Protagonistin kreiert, fußt auf einer ehrlichen Darstellung, die auch Misserfolge, wie eben jenen Roman, und persönliche Schwachstellen, wie Sontags fehlende Empathie, nicht ausspart. Somit entsteht ein rundes und unglaublich informatives Portrait, das sein Publikum mit dem Gefühl entlässt, nicht nur eine Künstlerin, sondern einen Menschen kennengelernt zu haben. Aber ist das wirklich so?
Wo Nancy D. Kates mit Musik, Animationen und Montagen arbeitet, entscheidet sich Marianne Lambert für eine immens nüchterne Herangehensweise und spiegelt damit die Kunst ihrer Protagonistin wider. Die Freiheit des Publikums, so erklärt Akerman in ihrem Portrait, besteht im Verzicht auf emotionale Manipulation, die beispielsweise durch Schnitt und Montage vorgenommen wird. Zugleich ist ihr aber die Unmöglichkeit der reinen Abbildung bewusst: „As soon as you are framing something, it’s fiction“, sagt sie an einer anderen Stelle. Und so werden wir beiläufig dazu angehalten, I don’t Belong Anywhere trotz seiner so direkten und „unverzierten“ Inszenierung als Kunstwerk und nicht als tatsächliche Darstellung des tatsächlichen Menschen Chantal Akerman zu sehen.
Marianne Lambert beweist Mut zu Distanz, sowohl im übertragenen, als auch im tatsächlichen Sinne, und vertraut ganz auf ihre Protagonistin, die auch über ihre künstlerischen Schaffensprozesse spricht. Ohne emotionale Manipulation der Zuschauer_innen durch beispielsweise sentimentale Musikuntermalung erzeugt Lambert mit der Authentizität ihrer Inszenierung schließlich doch Nähe zu Akerman und findet zugleich eine auf ihre Protagonistin zugeschnittene Filmsprache, die das Portrait auf der Bildebene komplettiert.
Selbiges kann über Wiltrud Baier und Sigrun Köhler, die Regisseurinnen von Wer hat Angst vor Sibylle Berg? nicht gesagt werden. Zugegeben: Sie haben es mit einer schwierigen Protagonistin zu tun, die sich sichtbar gegen ein umfassendes Portrait sperrt, Lügenmärchen erzählt und durch die Inszenierung ihrer eigenen Person immer wieder Distanz erschafft. So unterhaltsam sich das betont abgeklärte und staubtrockene Understatement der Schriftstellerin auch gestaltet, so wenig hat das Publikum am Ende das Gefühl, tatsächlich etwas über den Menschen Sibylle Berg erfahren zu haben. Aber ist das zwingend das Ziel eines solchen Films?
Baier und Köhler gelingt es leider nicht, eine ihrer Protagonistin angemessene Bildsprache zu finden. Stattdessen bedienen sie sich der klassischen Mittel des Dokumentarfilms, interviewen Berg an verschiedenen Orten und Stationen ihres Lebens, sprechen mit Freund_innen und Bekannten und begleiten sie zu den Theaterproben für eines ihrer Stücke. Eine solche „gewöhnliche“ Herangehensweise jedoch ist nicht in der Lage eine „ungewöhnliche“ Person wie Sibylle Berg zu begreifen und zu vermitteln. Das Kinopublikum kann sich niemals sicher sein, ob Berg gerade Märchen oder tatsächlich Episoden aus ihrem Leben erzählt. Diese Ambivalenz und der dahinter stehende Diskurs über Wahrheit und Fiktion finden bedauerlicher Weise keinen Widerhall in der dokumentarischen Inszenierung.
Das ist besonders bedauerlich, weil diese Frage hinsichtlich des Sibylle Berg Portraits viel interessanter ist als die Person selbst. Letztlich entscheidet sich Berg bewusst für eine künstliche Persona, hinter der die private Sibylle kaum sichtbar ist. Damit führt sie auch den Dokumentarfilm an sich ad absurdum. Oder um mit Chantal Akerman zu sprechen: „As soon as you are framing something, it’s ficition.“ Ein filmisches Portrait ist also immer eine Interpretation, also nicht die neutrale Sichtbarmachung einer Person, sondern die subjektive Perspektive der Filmemachenden auf diese Person. Insofern sagt jedes dokumentarische Portrait ebenso viel über die Regisseur_innen aus wie über die Protagonist_innen. Wer hat Angst vor Sibylle Berg? zum Beispiel legt nahe, dass Wiltrud Baier und Sigrun Köhler ihrer Protagonistin nicht gewachsen waren und dass Sibylle Berg sich heimlich über ihren Coup, das eigene filmische Portrait dekonstruiert zu haben, irgendwo in ihrem Tessiner Appartment kaputt lacht.
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[…] kam dem Werk Chantal Akermans sowohl durch ihren eigenen Film No Home Movie wie auch durch einen Dokumentarfilm über ihr Leben näher. Außerdem entdeckte ich mit La Mujer de Nadie einen mexikanischen, emanzipatorisch […]
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