Blockbuster-Check: Alien: Covenant
Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehme ich im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.
Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!
Held_innen
Selten in der Filmgeschichte hat es ein derart irreführendes Plakat gegeben wie jenes zu Alien: Covenant, das uns mit seinem Motiv auf wenig subtile Weise eine neue Ripley verspricht. Die bekommen wir aber nicht einmal im Ansatz. Denn Hauptdarstellerin Katherine Waterston ist hier nur aus einem einzigen Grund abgebildet: Frauen* sind als Ansichtsobjekt auch heute noch deutlich beliebter als Männer*. Nichtsdestotrotz ist ihre Figur, mit dem Ruf- wie auch Nachnamen „Daniel“ wohl noch am ehesten von allen Frauen* der Geschichte als Heldin zu bezeichnen. Leider beschränken sich ihre heroischen Taten auf die letzten 15 Filmminuten. Davor verschwindet Daniel auffällig oft von der Bildfläche und verfügt über deutlich weniger Dialog als die männlichen* Figuren im paritätisch besetzten Ensemble. Eine charakterliche Entwicklung oder ein innerer Konflikt sind ihr ebenso wenig vergönnt wie eine eigene Agenda, die über private Trauerbewältigung nach dem Tod ihres Ehemannes (James Franco mit viel zu wenig Screentime) hinausginge. Da sie über keine eigene Geschichte verfügt, zählt Daniel streng genommen nicht als Heldin. Zumindest haben wir in allen bisherigen Alien-Filmen, Prometheus mit inbegriffen, deutlich komplexere Frauen*figuren gesehen, an die das Püppchen mit Rehaugen aus Alien: Covenant wahrlich nicht heranreichen kann.
Ich würde wagen zu behaupten, dass Android Walter (Michael Fassbender) der eigentliche Held dieser Geschichte ist, auch wenn der Film diesem Fokus leider nicht bis zum Ende treu bleibt. Um nur einen kleinen Abstecher in eine allgemeine Filmkritik zu machen: Dass sich Alien: Covenant nicht entscheiden kann, ob der Film Daniels oder Walters Geschichte erzählen möchte, ist sicher die Ursache für den gelegentlich durchhängenden Spannungsbogen.
Gegenspieler_innen
Im Gegensatz zu anderen Alien-Filmen spielt das Geschlecht der grausigen Kreaturen in Alien: Covenant keine Rolle. Die außerirdische Lebensform bleibt sehr anonym und eindimensional – auch das haben wir bei Ridley Scott schon komplexer gesehen. Von den Monstern abgesehen gibt es noch einen weiteren, natürlich männlichen* Bösewicht, der – um nicht gnadenlos zu spoilern, hier bewusst schwammig formuliert – als direkter Gegenspieler zu Android Walter fungiert. Dieser „zwischenfigürliche“ Konflikt stellt die einzige Beziehung zwischen zwei Charakteren dar, die Alien: Covenant tatsächlich verhandelt, weshalb Walter trotz fehlender Seele weitaus komplexer wirkt als alle anderen Figuren des Films.
Frauen* sind in Alien: Covenant immer, aber auch wirklich immer die Guten. Nicht eine von ihnen ist in dieser Hinsicht auch nur ambivalent. Das fällt im Kontext der generell unterkomplexen Charaktere nicht sofort ins Auge, lässt Alien: Covenant in dieser Kategorie aber trotzdem komplett leer ausgehen.
Geschlechterrollen Allgemein
Alien: Covenant ist ein gutes Beispiel für das Frauen*problem des zeitgenössischen Films. Der paritätisch besetzte Cast kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte mit ihren Frauen*figuren nichts anzufangen weiß. Die weiblichen* Besatzungsmitgliedern stehen den männlichen* hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Bedeutung für die Mission eigentlich in nichts nach, haben jede ihre Spezialisierung und sind keine „Damsels in Distress“, deren Funktion darin bestünde, die eigentlichen Helden zu ihren Heldentaten anzutreiben. Was auf den ersten Blick wie Gleichberechtigung wirkt, entpuppt sich jedoch bei genauerem Hinsehen als eben jener perfide strukturelle Sexismus, den wir auch in unserer Gesellschaft erleben: Zu unsichtbar, um der Mehrheit aufzustoßen, und gleichzeitig zu präsent, um echte Gleichberechtigung zu ermöglichen. Frauen* sind in Alien: Covenant zwar vorhanden, doch sie verfügen über weniger Screentime, weniger Einfluss auf den Handlungsverlauf und vor allem eklatant weniger Dialog als die Männer*.
Sehr spannend ist in Alien: Covenant auch das Thema Mutter- bzw. Vaterschaft, das Ridley Scott uns hier mit dem Holzhammer als Oberthema präsentiert. Auch dieser Elterndiskurs ist zutiefst sexistisch: Während Väter (göttliche) Schöpfer darstellen, bzw. göttliche Figuren als Väter bezeichnet werden, beschränkt sich die Rolle der Mutter auf die eines Gefäßes. Walters Erfinder beispielsweise ist als Vaterfigur inszeniert, das Raumschiff wiederum wird von der Besatzung „Mutter“ genannt. Im Bauch dieser Mutter brechen die raumfahrenden Kolonisator_innen in ein neues Leben auf, gemeinsam mit über 1000 eingefrorenen Embryonen, die zur Besiedelung des „unentdeckten“ Planeten dienen sollen. Wo der Vater als Schöpfer eine aktive Figur ist, bleibt das Raumschiff ausschließlich passiv. Was in dieser Mutter transportiert und ausgetragen wird, entzieht sich völlig ihrer Kontrolle. Über die Vorgänge in ihrem „Körper“ erhält sie keinerlei Mitspracherecht und muss sich den Befehlen der menschlichen Fracht stets beugen. Das „ungeborene Leben“ ist also wichtiger als ihres! Auch im Kontext der Aliens spielt Mutterschaft eine ebenso tragende wie zweifelhafte Rolle, denn hier ist der Frauen*körper ebenfalls eine entrechtete Hülle, die ohne Mitspracherecht dem männlichen* Schöpfungsakt dient. Insbesondere dieses zweite Beispiel des Mutter-Motivs ist klar als Akt der Gewalt inszeniert und übt damit Kritik an der Gleichsetzung von Schwangeren mit „Wirten“.
Diese Verhandlung von Mutterschaft könnte als feministische Gesellschaftskritik gelesen werden, frei nach dem bekannten Motto „Mein Bauch gehört mir“. Dagegen jedoch spricht eine verstörende „Abtreibungsszene“ zu Beginn des Films. Hier entsorgt Walter pragmatisch und ohne jede Gefühlsregung verstorbene Embryonen im Biomüll, ein Anblick, der uns erschreckt und somit eher als Abtreibungskritik funktioniert. Aber wie auch immer die „Abtreibungsszene“ gemeint sein mag: Für die „Mein Bauch gehört mir“-Metapher bekommt Alient: Covenant von mir 5 Bonuspunkte!
Dresscode und Sexappeal
Belinde Ruth Stieve hat auf ihrem Blog kürzlich einen Text zu Duschszenen veröffentlicht und darin unter anderem deren Notwendigkeit in Frage gestellt. Und ich wage zu behaupten: Alien: Covenant verfügt über die unnötigste Duschszene der Filmgeschichte. Ganz am Schluss, etwa 5 Minuten vor Ende des Films, nach zwei Stunden ohne Sexualisierung weiblicher* Figuren durch Kleidung, Blicke oder Kommentare, müssen wir plötzlich einem – natürlich heterosexuellen – Besatzungspaar beim Vögeln in der Dusche beiwohnen, wobei wie in nahezu allen Dusch-Szenen der Frauen*körper stärker erotisiert und ausgestellt wird als der männliche*. Und als würde dies noch nicht reichen, bedient sich Ridley Scott auch noch an einem höchst verstörenden Tentacle-Porn Motiv. Warum? Da weder die Nacktheit der Figuren, noch das Setting in der Dusche den Film in irgendeiner Weise voranbringen, bleibt als simple Antwort leider nur der voyeuristische Umgang mit Frauen*körpern.
Und wo wir schon bei Sex sind: Lange vor der expliziten Kopulation im Feuchtraum zeigt Ridley Scott uns eine angedeutete Vergewaltigung. Im Gegensatz zur Duschszene ist diese jedoch zum Einen angenehm zurückhaltend inszeniert und ordnet sich zudem in den größeren Kontext der Frage nach Mutterschaft, dem Umgang mit dem weiblichen* Körper als Wirt eines Embryos und der damit einhergehenden Reduktion der Frau* auf ein Funktionsteil ein. Der Verzicht auf eine voyeuristische Ausschlachtung des Vergewaltigungsmotivs sowie dessen Kontextualisierung retten Alien: Covenant in dieser Kategorie vor weiteren Punktabzügen.
Dramaturgie
Auch wenn Alien: Covenant insbesondere in seinem Subtext partiell als feministisch gelesen werden kann, gesteht der Film seinen Frauen*figuren keinerlei strukturelle Macht zu – auch dies eine Spiegelung des strukturellen Sexismus in unserer Gesellschaft. Es sind hier ausschließlich Männer* die Entscheidungen treffen und damit die Handlung in die eine oder andere Richtung lenken. Die Frauen* versuchen zu intervenieren. Sie sind hier die Sicherheitsfanatikerinnen, während die Kerle mutig Risiken eingehen – so wie es sich für eine sexistische Figurenzeichnung gehört. Daniel, die ja so prominent auf dem Poster prangt, entbehrt nicht nur eine eigene Geschichte und Charakterentwicklung, sondern auch einen Einfluss auf den Verlauf der Handlung, wie sie in einem metaphorischen Moment ganz am Ende des Films, quasi als „Moral der Geschichte“, schließlich selbst mit großer Verzweiflung feststellen muss. Wenn Alien: Covenant seiner zentralen Frauen*figur also bewusst und demonstrativ die gestalterische Macht raubt, ist der Film dann am Ende vielleicht feministischer als zunächst angenommen?
Botschaft
Struktureller Sexismus macht Frauen* auch im 21. Jahrhundert noch immer zu laufenden Brutkästen.
Gesamtwertung: 5
von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)
Kinostart: 18. Mai 2017
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Die Bewertung von „emanzipatorisch“ bis „sexostische“ Kackscheisse“ ist mir neu auf Ihrer Seite, gefällt mir ausnehmend gut.
Mein erster Eindruck nachdem ich einen Artikel über die Eröffnungsszene dachte ich, na super…wieder nur Männer die philosophisch diskutieren.
Bin im Zwiespalt, was auch Ihre Bewertung mit 5 Punkten widerspiegelt. Die Sexszene könnte auch als „abschreckend“ gelten. Hmm…ich mag die Alienreihe, bin damit aufgewachsen…während die Aliens immer mehr Anmut und Screentime zugesprochen bekamen, scheint es bei den Frauen immer weniger zu werden?
*Hmmm
vorab gesagt ich habe den Film noch nicht gesehen, werde die „Mutter“ Szenen daher sicher mit ganz besonderem Augenmerk verfolgen.
Das Übergewicht der Vater-Figur-Probleme scheint mir ein roter Faden in zeitgenössischen Science-Fiction Filmen zu sein. Das ist z.B. auch in „Star Wars“ und „Guardians of the Galaxy“ omnipräsent. Die Marginalisierung der Mütter scheint mir mehr ein Prinzip als eine versteckte Kritik zu sein.
Das kann gut sein. Die Marginalisierung bzw Abwesenheit von Müttern fällt mir im Kinderfilm immer besonders auf. Ich habe das bislang nicht auf andere Genres übertragen, finde das aber gerade sehr spannend… Danke für den Hinweis!
Hier muss ich mal kurz für „Guardians of the Galaxy“ in die Bresche springen: Peter Quill misst seiner Mutter selbst Jahre nach deren Tod noch enorme Bedeutung zu (indem er z.B. ständig ihre zusammengestellten Tapes hört), sie ist also über den Tod hinaus noch präsent, weitaus mehr als sein Vater (SPOILER: der sich ja dann als nicht sehr netter Kerl entpuppt). So jedenfalls empfinde ich das beim Anschauen der Filme.
Die tote Mutter ist eine totale Trope. Selbst quasi unsichtbar und nur dazu dienend, den Helden zu bestimmten Taten zu motivieren. Sie selbst aber hat keinen eigenen Charakter, keine Geschichte, keine physische Präsenz und keine Stimme…
Hallo Anneke, ich sprach bewusst (nur) von Übergewicht der Vaterfiguren, für den Fortgang der Handlung und die „Entstehung der Geschichte“ sind Quills echter Vater und sein Ersatzvater viel bedeutsamer als die Mutter – bezeichnend ist auch, dass es keine Ersatzmutter gibt.
Oh, ja in diesem Sinne haben Sie natürlich Recht. Wobei ja Quill über seinen „Vaterersatz“ auch recht überrascht zu sein scheint. 🙂
Generell muss ich euch aber zustimmen. Die Verbindung zur Mutter ist in Filmen oft viel zu unterrepräsentiert. Meist hat der Protagonist/die Protagonistin nicht mal eine Mutter (diese ist dann entweder tot oder verschwunden). Schon komisch, wo doch im realen Leben die meiste Erziehung und Arbeit immer noch an den Frauen hängen bleibt. 😉
P.S. davon abgesehen fande ich „Guardians of the Galaxy“ klasse 🙂
P.P.S Darth Vader vermisst seine Mutter auch.
[…] schon – ziehen sie ins Lächerliche. Dafür nehmen sie sich meine feministische Analyse von Alien: Covenant vor, beschränken sich aber nicht auf diesen Text, sondern verurteilen die gesamte Artikelreihe […]