Berlinale 2024: Keyke mahboobe man (My Favorite Cake)

Keyke mahboobe man ist einer dieser Filme, der von der Realität überholt wird: In Heimlichkeit und unter großen Risiken im Iran entstanden, erzählt er die Geschichte von Mahin (Lily Farhadpour), einer unverheirateten Frau im letzten Lebensdrittel, deren Leben sich fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden abspielt und die in der Begegnung mit dem Taxifahrer Faramarz (Esmail Mehrabi) einen letzten Versuch wagt, aus der Eintönigkeit und Einsamkeit auszubrechen. Und während Mahin ein märchenhafter Abend voller Hoffnung gelingt, bleiben die Regisseur*innen dieses Films, Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha eingesperrt, dürfen den Iran nicht verlassen und dementsprechend nicht an der Premiere ihres Films im Wettbewerb der 74. Berlinale teilnehmen.

Auch wenn Keyke mahboobe man auf den ersten Blick eine kleine, private Geschichte erzählt, so ist er doch – wie das so oft mit dem Privaten ist – hoch politisch. Immer wieder tritt die iranische Sittenpolizei auf, in Erzählungen wie auch auf der Handlungsebene, um die Menschen, insbesondere aber die Frauen, ihrer Freiheit zu berauben. Immer wieder bezieht sich das Drehbuch mit seinen Dialogen explizit auf eine bessere, freiere Vergangenheit. Die Kritik am autoritären iranischen Regime ist unübersehbar und ebenso der Mut der Filmemacher*innen, diese Geschichte auf diese Weise zu erzählen. Allein die Protagonistin, eine ältere Frau, die selbstbestimmt romantische wie auch körperliche Intimität sucht, stellt einen Tabubruch dar.

Mahin im Park mit einer jungen Frau. Beide tragen ein Kopftuch, aus dem Haare herausschauen. Die junge Frau hält Mahin an den Schultern fest und schaut sie eindringlich an.

© Mohammad Haddadi

In der Gegenüberstellung Mahins mit einer jungen Iranerin, die im Park von der Polizei auf Grund eines nicht ordnungsgemäß sitzenden Hijab aufgegriffen wird, scheint sich im fortgeschrittenen Alter der Hauptfigur zunächst ein Möglichkeitsraum aufzutun. Als auf gesellschaftlicher Ebene entsexualisierte Seniorin, läuft sie in vielerlei Hinsicht unter dem Radar der Obrigkeit. Zudem – so formuliert es Mahin schließlich selbst während ihres Dates mit Faramarz – was soll die Sittenpolizei ihr als über 70-jähriger schon antun? Eine Pflichtehe jedenfalls jagt ihr in diesem Alter keine Angst mehr ein.

Das Leben der Witwe ist durch Eintönigkeit und Stillstand gekennzeichnet – bis zu diesem besonderen Tag, an dem Mahin in durchaus streitbarer Stalking-Manier einem alleinstehenden Taxifahrer nachstellt und ihn schließlich mit eindeutiger Absicht in ihr Haus einlädt. Die Kamera von Mohammad Haddadi arbeitet im ersten Teil des Films ausschließlich mit statischen Aufnahmen, doch mit Faramarz‘ Ankunft im Mahins Haus verändert sich die Bildgestaltung, wird dynamisch und begleitet die tanzenden Senior*innen durch das Wohnzimmer. Spürbar kommt nicht nur Bewegung in Mahins Leben, sondern auch in diesen Film. Zumindest vorübergehend.

Mahin und Faramarz stehen nebeneinander, Mahin hat ihren Kopf auf Faramarz' Schulter gelegt und auch er neigt den Kopf. Sie blicken auf ein Smartphone, das Mahin vor sich hält. Im Hintergrund ist Mahins Wohnzimmer zu sehen.

© Hamid Janipour

Die Begegnung von Mahin und Faramarz entwickelt in ihrer Intensität zuweilen eine absurde Komik, derart romantisch gestaltet sich die Interaktion dieser beiden im Grunde völlig fremden Menschen. Offenbar sind sie so geeint durch die Sehnsucht nach Liebe, die außerhalb der durch das Regime klar abgesteckten Normen auch immer eine Sehnsucht nach Freiheit ist, dass sie ohne die kleinsten Momente des Zweifels direkt in eine eheähnliche Interaktion gleiten. Allein die im Raum stehende sexuelle Begegnung sorgt beiderseits für große Unsicherheit und wird dem Liebespaar schließlich zum Verhängnis.

Eine Aufnahme von Faramarz' Gesicht im Profil. Er blickt rechts aus dem Bild heraus, sein Gesichtsausdruck ist ernst. Im Hintergrund unscharf das Profil von Mahin. Es ist dunkel, die beiden sitzen in Faramarz' Taxi.

© Hamid Janipour

Ganz so einfach ist es eben doch nicht, scheinen Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha zu sagen. Der Möglichkeitsraum ist allzu fragil, bleibt ein Ausflug in ein anderes Leben, fast wie ein Traum, fast wie die Soap Operas, die Mahin so gerne im Fernsehen anschaut. Die Regisseur*innen gönnen ihren Protagonist*innen wie auch ihrem Publikum Momente der Freude, des Lachens und der Ausgelassenheit und machen doch gleichzeitig deutlich, dass diese in einem repressiven System, das Menschen ihrer Rechte, ihrer Freiheit und somit auch ihrer Liebe beraubt, nicht von Dauer sein können.

Sophie Charlotte Rieger
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