Berlinale 2024: Reas – Kurzkritik

Eine Person singt, ihre Stimme wird in den Raum projiziert. Sie hallt nach, gleitet, berührt verschiedene Körper. Die singende Person befindet sich im Knast, alle anderen Figuren um sie herum stehen, sitzen oder bewegen sich zwischen den Mauern des Gefängniskapitalismus, der in Lola AriasReas durch die Unwirklichkeit der faktischen Inszenierung Realität wird.

Arias konzentriert sich auf Yoseli als einleitende Figur, anhand derer die anderen bald ihre jeweilige Geschichte entfalten. Sie ist gerade im Frauengefängnis Caseros in Buenos Aires angekommen und lernt die Regeln des ihr zugewiesenen Ortes kennen. Doch im Gefängnis werden die Gesetze nicht nur gesagt und ausgesprochen, sondern auch in den Körpern getragen, eintätowiert wie Erinnerungen an eine düstere Nacht. ___STEADY_PAYWALL___

© Gema Films

Weder eine Feier der vermeintlichen Emanzipation seiner Figuren unter abscheulichen Bedingungen noch eine leicht nachzuerzählende Geschichte der Trauer – Reas ist eine von Widersprüchen geprägte Erzählung über das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Lebensrealitäten, die vor dem Gesetz plötzlich radikal gleichgesetzt werden. Arias‘ Ansatz ist eine filmische Distanzierung, die eine Identifikation ablehnt und stattdessen Solidarität einfordert. Sie bittet darum, diese Nacherzählung tatsächlicher Leben, erzählt von den Menschen, die sie gelebt haben, zu betrachten, nicht um Mitleid zu erzeugen, sondern um den schwesterlichen Standpunkt einzunehmen, der weder urteilt noch erlöst, sondern nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge fragt. Die cis-, lesbischen, trans-Frauen und trans-Männer, die Arias‘ Welt bevölkern, strahlen die Menschenwürde aus, die man versucht hat, ihnen zu rauben. 

Deshalb stammen die Lieder, die sie singen und tanzen, von ihnen und nicht von anderen „professionellen“ Quellen. Ihre Bewegungen sind nicht hyper-choreographiert, ihre Stimmen rau und gefühlvoll. Sie singen Cumbia, tanzen Marinera, Vogue, stehen auf der Bühne vor ihren Familien. Die Choreographie ihres Lebens braucht keine unnötige Perfektion. Arias fragt nach den Bedingungen für die Bildung einer Gemeinschaft, deren Freiheit gewaltsam eingeschränkt wird. Die Antworten sind ungewiss, Happy Ends sind Brücken zwischen den Wolken. Die stürmische, schöne Solidaritätsbekundung von Reas stößt einen weg, damit man besser sehen kann. Der Blick von oben macht schwindlig. Ein kleiner Preis, um klarer zu sehen.

Reas bei der Berlinale 2024

Giancarlo M. Sandoval
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