Berlinale 2024: La Cocina

Der auf dem gleichnamigen Stück von Arnold Wesker basierte Film La Cocina von dem mexikanischen Regisseur Alonso Ruizpalacios (Güeros) transportiert die Handlung von London nach New York und folgt einer Gruppe migrantischer und nicht migrantischer Menschen, von denen das Liebespaar Pedro (gespielt von nicht-binärem*r Schauspieler*in Raúl Briones) und Julia (Rooney Mara) von Ruizpalacios hervorgehoben werden. Er ist ein mexikanischer Immigrant, der in die USA gekommen ist, um bei The Grill zu arbeiten, kocht dort seit 3 Jahren; sie ist gebürtige US-Amerikanerin, arbeitet als Kellnerin in demselben Restaurant. Das Setting ist klassisch. Sie lieben einander, ihr Arbeitsplatz setzt sie aber unter Druck, weil, wie sich spätestens seit The Bear (FX) erkennen lässt, Küchen gekapselte Achterbahnen von wahnsinniger Energie sind, die durch den nächsten Bestellvorgang in Bewegung gesetzt werden. Die nächste Transaktion treibt das Ganze an, bestimmt alles. 

© Juan Pablo Ramírez / Filmadora

Es wird sofort klar, dass das kulinarische Geschehen in La Cocina nach Geschlechtern getrennt ist. Die Männer kochen, schreien und schwelgen in sadistischer Ironie. Teilweise als Bewältigungsmechanismus, teilweise um ein Gefühl auszuleben, das ihnen in den USA gesellschaftlich verboten ist. Die Frauen servieren, geben die Bestellungen weiter, werden beinahe sexuell belästigt von den Männern. Diejenigen, die solche Belastungen verkraften und sich darüber beschweren können, haben einen nicht unerheblichen Vorteil namens USA-Staatsbürgerschaft. Die, die es nicht ertragen können, sind spanischsprachig. Sie rufen nach Menschlichkeit und tolerieren den von den Männern getriebenen Zirkus nicht.

Ruizpalacios beschäftigt sich mit diesen Themen zwiegespalten zwischen der Kritik an dem US-amerikanischen System und der Empathie für seine Hauptfigur. Pedro ist ein Arschloch, wie es von allen in der Küche heißt. Sein Austoben beschreibt dennoch die migrantische Erfahrung nicht als Suche nach einem Traum, sondern als eine andauernde Bewältigung des Heimwehs, des Nicht-Frei-Seins, des Nicht-Sprechen-Könnens. Pedro kann nur “auf Englisch weinen” und muss “sich anstrengen, um irgendwas zu sagen,” weil die Sprache ihm eben versagt. Ruizpalacios entschied sich gegen eine Heldenreise und stellt einen Migranten dar, der sich unrettbar in Bedingungen verirrt hat, die sich seiner Kontrolle entziehen.

Mit den Mitteln des klassischen Hollywood-Kinos formt Ruizpalacios seine Hauptfigur, aber dabei gerät Julia in Vergessenheit, wird in konkreter, determinierter Beziehung zu Pedro gesetzt und ist zum Teil Retterin seines Schicksals und Objekt seiner Frustration. Was strahlt, nicht nur wegen Pedro, sondern wegen der Empathie der Regie, ist ein Respekt gegenüber der Männlichkeit, die als eine Art Schutzschild von den von ihm gezeigten Migranten getragen wird, um mit den Bedingungen des Auswanderns zurechtzukommen. Die Gewalt, die von Pedro und anderen männlichen Figuren kommt, wird dadurch gerechtfertigt, von der Grammatik des Filmes verziehen, durch den dynamischen Schnitt sogar motiviert. La Cocina erkennt schließlich die Schweinerei, die es zu kritisieren gilt, doch er stellt die Traurigkeit und das Leiden seiner Hauptfigur als Begründung seines schattenhaften Verhaltens dar. Wenn Julia aus der Erzählung aussteigt, gerät Pedro in ein Durcheinander, seine Welt zerstört sich, das gerechtfertigte Beklagen einer Kellnerin demoliert sein Leben. Das idealisierte Bild der Frau, das er beizubehalten versucht, bedeutet, dass Liebe und Hass derselben Figur gegeben werden können, je nach psychologischem Zustand. Denn was wehtut, was wirklich verletzt, sind nicht die autonomen Entscheidungen einer Person, die man liebt. Was sich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlt, ist nicht sagen zu können, was man wirklich meint, in einer Welt, die einen wegen der Hautfarbe verachtet und erniedrigt. Eine Welt, die Arbeitsgenehmigungen verspricht, und nie wirklich gibt.

Pedro ist im Allgemeinen ein Opfer des Systems und im Besonderen ein Opfer seiner eigenen Männlichkeit, wobei beide durch die Druckverhältnisse in der Küche miteinander verbunden sind. Julia kann nur weggehen, ihr Verbleib als idealisierte Figur bringt sie in Gefahr. Dass aber nicht nur sie, sondern auch andere weibliche Migrantinnenfiguren aus der Erzählung herausfallen, beraubt den Film der Möglichkeit einer notwendigen, anderen Perspektive.

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Giancarlo M. Sandoval
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