Berlinale 2017: The Misandrists

Bruce LaBruce hat den Albtraum aller Maskulinisten in bewegte Bilder gebannt. So, genauso – stelle ich mir zumindest vor – sehen die erbosten Männer* von heute zeitgenössische Feminist_innen: Fanatisch, militant, engstirnig, narzisstisch, verbohrt und vor allem gemeingefährlich. Bei jedem anderen Regisseur wäre ich wohl entgeistert aus dem Kino gerannt: Wie kann eins nur ein derart klischeehaftes und realitätsverzerrendes Bild von Feminist_innen zeichnen? Doch Bruce LaBruce, das steht fest, ist nicht im Mindesten an der Konstruktion oder Konstitution von Stereotypen gelegen, sondern am genauen Gegenteil.

In einem Wald nahe Berlin wartet eine Gruppe feministischer Revolutionärinnen, die „FLA“, unter der Leitung von Big Mother (Susanne Sachsse)auf den großen Tag der Weltherrschaft. Vier strenge Lehrerinnen bemühen sich um die dogmatische Erziehung von acht „gefallenen“ Mädchen*, jungen Frauen*, die entweder direkt oder indirekt männliche* Gewalt erfahren haben und vom patriarchalen System im Stich gelassen wurden. Hier aber erfahren sie freie Liebe. Naja, eigentlich erfahren sie keine freie Liebe, sondern werden zu lesbischer Liebe genötigt. Aber das darf frau nicht so genau nehmen… Denken ist in jedem Fall in dieser Schule nicht angesagt. Es geht darum, die in einer haarsträubend gestelzten Sprache vorgetragenen pseudo-intellektuellen Geistesergüsse des Lehrpersonals zu wiederholen.

© Jürgen Brüning Filmproduktion / J.Jackie Baier

Nun will es der Zufall so, dass Schülerin Isolde (Kita Updike) aus Neugier, Liebe oder Sympathie einen verwundeten männlichen* Revolutionär im Keller versteckt. Aber das ist nicht das einzige, nein, nicht einmal das schlimmste Geheimnis, das sie vor ihren Mitstreiter_innen verbirgt.

Für einen queeren Filmemacher wie Bruce LaBruce erscheint die Definition von Weiblichkeit* in The Misandrists auf den ersten Blick schockierend biologisch. Wie sich jedoch im Laufe des Films herausstellt, besteht gerade darin die Herausforderung für seine Heldinnen: Was genau ist denn eine eigentlich eine Frau*? Wenn die Welt radikal in zwei Geschlechter aufgeteilt und von einem von ihnen befreit werden sollte, wo kann dann die Linie gezogen werden? „Nirgendwo“ – das ist selbstverständlich die Antwort. Doch bis der Film an diesen Punkt gelangt, wird so manches sexistische Klischee abgearbeitet.

The Misandrists liest sich wie der Gründungsmythos des dritte Welle-Feminismus, der sich von der Vorstellung einer klaren Unterscheidbarkeit der Geschlechter ebenso löst wie von der Verurteilung bestimmter Formen der Sexualität. Sexarbeit und Pornografie werden nicht mehr kategorisch abgelehnt, sondern feministisch angeeignet, das ermächtigende Potential darin entdeckt und genutzt.

Die Ironie, die Distanz des Werkes zu sich selbst, ist omnipräsent. Der Stil ist bewusst trashig, das Schauspiel gestelzt. The Misandrists versucht zu keinem Zeitpunkt realistisch zu wirken, bleibt immer ein „Schauspiel“ – ein Spiel zum Zuschauen. So als hätten sich Bruce LuBruce uns seine Mitstereiter_innen einfach eine Woche im Wald getroffen, statt dem heteronormen Klassiker „Vater-Mutter-Kind“ die Variante „militante Feminist_innen“ gespielt und eine Kamera mitlaufen lassen. Wer weiß, vielleicht haben sie das ja sogar.

Zwischendurch erinnern uns wunderschöne Sequenzen von verspielten Kissenschlachten oder anderen intimen, oft auch erotischen Momenten der Schülerinnen daran, dass der Regisseur auch anders kann, dass das mehrheitliche trashige Antlitz kalkuliert ist und kein Zeichen für stümperhaftes Filmhandwerk. Alles an The Misandrist ist ganz offensichtlich Ironie. Die Maskulinisten, die diesen Film für eine realistische Darstellung der feministischen Weltverschwörung halten, verfügen sicher über einen ähnlichen IQ wie Nazis, die sich beim Drama Iron Sky gegenseitig die Taschentücher reichen.

© Jürgen Brüning Filmproduktion / J.Jackie Baier

Dennoch ist The Misandrists mit seinen ironischen Ecken und Kanten kein einfacher Film. Insbesondere den betont intellektuellen Dialogen ist kaum zu folgen. Dass es sich bei den meisten Darsteller_innen nicht um englische Muttersprachler_innen handelt, kommt erschwerend hinzu. Viele der klugen und lustigen Wortspiele drohen hierdurch unterzugehen. Die Inhalte sind jedoch schließlich kaum von Bedeutung. In vielen Fällen handelt es sich schlicht und einfach um die Kunst des Redens, ohne etwas zu sagen. Die FLA kocht ebenso selbstgefällig in ihrem eigenen Sud wie jede andere fundamentalistische Gruppe.

Deshalb muss am Ende auch wirklich niemand Angst haben, dass Bruce LaBruce die Zukunft unserer Welt in einer flächendeckenden Feminisierung sieht. Auch die in der Tat verstörenden Bilder einer chirurgischen Vagina-Konstruktion sollen niemandem tatsächlich Angst einjagen. Wenn uns Bruce mit The Misandrists denn überhaupt eine Botschaft vermitteln möchte, dann die, dass wir uns alle zusammen liebhaben sollen – egal ob mit Vulva oder ohne. Und zwar am Besten nicht im übertragenen, sondern im wortwörtlichen, orgiastischen Sinne.

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)