XPOSED Queer Film Festival Berlin 2021

Happy Birthday!!! Das Xposed International Queer Film Festival feiert 15. Geburtstag und zeigt vom 11.-15.08. insgesamt 17 Langfilme und 64 Kurzfilme in 35 Programmpunkten rund um queeres Filmschaffen – dieses Jahr endlich auch wieder in Berliner Kinosälen! Salzgeber zeigt außerdem eine Spielfilm-Auswahl aus dem Festival-Programm online. Neben Filmen gibt es auch ein Workshop-Programm mit Wikipedia Edit-a-thon zu Queer Experimental Film sowie Film Talks und Panels, die online stattfinden. 

© Salzgeber

52 Tuesdays (Sophie Hyde, Australien, 2013)

Sophie Hyde erzählt mit lakonischer Unerschrockenheit von einem Jahr im Leben der 17-jährigen Billie (Tilda Cobham-Hervey) und ihrer Mutter (Del Herbert-Jane), die eine Geschlechtsanpassung macht und von nun ab James heißt. Es ist ein warmes Portrait der Beziehung, dass zum Ende hin etwas ausfranst, aber besonders durch das beeindruckende Spiel der Laiendarsteller:innen überzeugt.

Die Regisseurin greift dabei auf Erfahrungen mit ihren eigenen Eltern zurück. Sie schafft es, einen klaren, offenen Ton zu treffen ohne zu dozieren. Die Operationen und Hormonbehandlungen verweben sich mit Billies eigenen ersten sexuellen Erfahrungen und dem Austesten der binären Grenzen; ein Prozess, den sie in einer Art Videotagebuch festhält. Damit James Raum für die Veränderung hat, zieht Billie zu ihrem Vater und verbringt die Dienstage bei der Mutter – ein Konzept, das sich auch im Filmemachen wieder spiegelt. Die Laiendarsteller:innen haben das Skript für ihre Rolle immer eine Woche zuvor erhalten und der Dreh beschränkte sich dann streng auf den Dienstag – um 24 Uhr war Schluss. Was in dem Zeitraum zustande kam, wurde dann die Geschichte für diesen Tag.

Die unerfahrene Besetzung meistert diese Herausforderung, besonders Del Herbert-Jane als Mutter trägt den Film – ursprünglich gar nicht für die Rolle vorgesehen, sondern als Beratung für Gender Diversity. Die chronologische Struktur erlaubt uns Zuschauenden die langsamen Wachstumsschmerzen mitzuerleben, Billies Erwachsenwerden und James Ankommen im eigenen Körper.

52 Tuesdays wurde 2014 auf dem Sundance Film Festival gezeigt, die angestoßenen Themen scheinen drängender denn je: Die binäre Vorstellung von Identität bleibt weiter tief verwurzelt und das Thema Gender wird immer mehr zum ideologischen Kampfplatz. Hydes Film hinterfragt diese Vorstellungen und zeigt deutlich, wie eng wir mit dem Narrativ “Männer und Frauen sind von Natur aus unterschiedlich” verstrickt sind.

Comets (Tamar Shavgulidze, Georgien, 2019)

Am Anfang des auf dem Toronto Film Festivals uraufgeführten Films steht ein Zitat aus Silvia Plaths Gedicht The Night Dance: The comets have such a space to cross / such coldness, forgetfulness (Die Kometen haben einen solchen Raum zu durchqueren / solch eine Kälte, Vergesslichkeit). Die Worte setzen den Ton der einfühlsamen Erkundung einer vergangenen Beziehung voller Liebe, die nicht gelebt werden konnte.

© Xposed Film Festival

Nana (Ketevan Gegeshidze) lebt auf dem Land, weit weg vom trubeligen Tiflis, und hat gerade Besuch von ihrer Tochter Irina (Ekaterine Kalatozishvili). Regisseurin Tamar  Shavgulidze inszeniert ihre Figuren in statischen Tableaus, meist sitzend, jeder Griff zum Getränk oder Sonnenbrille schlägt Wellen. Die Farben sind weich, pastellig, nehmen den aufwühlenden bis harschen Emotionen die Schärfe.

Die Tochter verlässt das Haus zum Einkaufen und Nanas Jugendliebe Irina (Nino Kasradze) taucht nach jahrelanger Abwesenheit im Ausland wieder auf. Wie eine solche Distanz überbrücken? Ein intensiver Schlagabtausch entspinnt sich, über ihre jeweiligen Veränderungen, Narben, von Kriegen geprägte Leben. Darin eingeflochten sind Rückblenden in die Vergangenheit, intime Momente ihrer Jugendfreundschaft, die sich zu zärtlicher Liebe entwickelt hat. Der Moment, als Irina ihre Sonnenbrille abnimmt, ist so eindrucksvoll wie die Explosionen in allen dystopischen Blockbustern zusammengenommen.

Ein Zusammenleben wäre auch heute problematisch, der Film sorgte für große Kontroversen in Georgien. Wie auch schon bei Screenings von Levan Akins Film Als Wir Tanzten, eine Liebesgeschichte zwischen zwei Tänzern am georgischen National Ensemble, kam es zu Ausschreitungen und Protesten von homophoben Gruppen vor den Vorführungen.

Kelti (Celts) (Milica Tomović, Serbien, 2021)

Nach dem Film von Regisseurin Milica Tomović möchte eins am liebsten das alte Ninja Turtles-Kostüm aus dem Schrank fischen und eine chaotische Hausparty schmeißen! Es ist 1993 in einem Vorort von Belgrad, der Film öffnet mit Marijana (Dubravka Kovjanić) masturbierend im Bett, während sich ihr Ehemann leise aus dem Zimmer schleicht (Stefan Trifunović).

© Irena Canić

Der Geburstag ihrer achtjährigen Tochter Minja (Katarina Dimić) steht an, eine Kostümparty soll es werden – sie ist ein riesiger Teenage Mutant Ninja Turtles-Fan. Im selbstgebastelten Kostüm empfängt sie ihre Gäste, im Wohnzimmer steigt die Party mit Brause und Gurkensandwiches, in der Küche mit Whiskey und Hasch.

Die Ex-Freundin von Marijanas Schwester bringt ihre neue Liebschaft mit, politische Diskussionen werden rauer, Ninja-Kämpfe werden ausgefochten und die Kamera fließt geradezu hin und her. Je freier die Party dreht, desto mehr zieht Marijana sich zurück, bis es sie ganz hinaus auf die Straße treibt. Der Fokus ist dabei ziellos, das Skript umso schärfer.

Vor der Folie des Jugoslawienkrieges lässt Milica Tomović die Erzählung ganz leichtfüßig entstehen, das herausragende Setdesign unterstützt die vielen kleinen, brüllend komischen Momente. Die zwischenmenschlichen Nuancen sind fein hingetupft, darin eingebettet die Frage: Wie nehmen wir Zeitgeschichte jetzt wahr, was haben wir von unsere Eltern erfahren und wie werden wir selbst unsere Erinnerungen weitergeben?

Das Xposed Queer Film Festival findet vom 11.-15.08 in Berlin statt, Salzgeber zeigt hier ebenfalls bis zum 15.08. eine Auswahl der Filme online.

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