Unbroken – Die Verantwortung einer Angelina Jolie
Ich habe zwei grundsätzliche Probleme mit Angelina Jolies zweitem Regiewerk Unbroken. Nummer 1: Warum soll ich mir die gefühlt hundertste, vor amerikanischem Pathos triefende Geschichte eines Kriegshelden ansehen? Nummer 2: Wieso macht eine Frau wie Angelina Jolie einen Film, der noch nicht einmal die erste Stufe des Bechdel-Tests besteht?
Sind sie zu stark, bist Du zu schwach
Aber beginnen wir mit der ersten Frage. Die Geschichte von Louis Zamperini (Jack O’Connell) ist natürlich beeindruckend. Erst wird er von seinen Mitschülern gemobbt, dann wird er olympischer Langstreckenläufer, dann sitzt er im zweiten Weltkrieg in einem baufälligen Bomber über Japan, mit dem er dann abstürzt, wochenlang im Meer treibt, in Kriegsgefangenschaft gerät… Wäre es keine wahre Geschichte, würde kein Mensch glauben, dass so etwas passieren und noch weniger, dass es überlebt werden kann. Doch mit Hilfe pathetischer Leitsätze wie „Halte durch, dann kommst du durch“ oder „Ein kurzer Moment des Schmerzes für ein Leben voller Ruhm“ gelingt es Zamperini auch die schwersten Entbehrungen zu überstehen.
Jenseits von der zweistündigen Nachzeichnung dieser amerikanischen Heldengeschichte, hat Unbroken jedoch nichts zu bieten. Die Japaner treten als eindimensionale, diabolische Bösewichte auf, denn die Welt ist bekanntermaßen deutlich leichter zu ertragen und zu verstehen, wenn wir sie ordentlich in Gut und Böse unterteilen. Damit aber beraubt sich dieser Heldenepos auch vollkommen seines Tiefgangs und kann uns letztlich nichts anderes mit auf den Weg geben, als die ur-amerikanische Arbeitsethik: Wenn Du Dich richtig anstrengst, dann kannst Du es auch zu etwas bringen. Was im Umkehrschluss bedeutet: Wenn Du am Arsch bist, hast Du Dich wohl nicht richtig angestrengt. Oder: Sind die anderen zu stark, bist Du zu schwach. Selbst Schuld, wenn Dir zwischen Schiffbruch und Arbeitslager die Puste ausgeht.
Mir fällt tatsächlich kein einziger Grund ein, warum mich die Geschichte von Louis Zamperini interessieren sollte. Einzig seine bewundernswerte Fähigkeit zur Vergebung ist einen weltweit aufgeführten Kinofilm wert, doch wird jene lediglich durch eine Texteinblendung in den letzten Filmminuten stiefmütterlich abgehandelt. Die von den Coen-Brüdern im Drehbuch recht uninspiriert aneinandergereihten Stationen von Zamperinis Leidensgeschichte jedoch unterscheiden sich nur minimalst von den immer gleichen Heldenepen, die das amerikanische Kino seit seinen Anfängen äußerst zahlreich hervorbringt.
Das tragische Scheitern der Frau Jolie
All das ließe sich verzeihen oder doch zumindest verstehen, wenn hier nicht ausgerechnet Angelina Jolie auf dem Regiestuhl gesessen hätte. Ausgerechnet Jolie, die angeblich nur zur Regie gekommen ist, weil sie ihr Drehbuch zu In the Land of Blood and Honey/ Liebe in den Zeiten des Krieges nicht in männliche Hände hatte geben wollen. Angelina Jolie, die als eine der Vorzeige-Feministinnen Hollywoods gilt. Und diese Frau macht einen Film, in dem keine einzige (!) Frauenfigur mit vollem Namen, geschweige denn dramaturgischer Bedeutung auftritt. Ich entsinne mich nur an zwei markante Damen. Zamperinis Mutter, die über diese Verwandtschaftsbeziehung hinaus weder einen Charakter noch einen Namen besitzt. Und eine japanische Schönheit, die geheimnisvoll schmunzelnd aus einem Fahrstuhl steigt und damit den ausgemergelten Helden (und vermutlich eine ganze Reihe männlicher Zuschauer) erfreut.
Ich spare mir jetzt den Reality-Check zur Männerwelt des Militärs und dem Mangel an Frauen in Kriegsgefangenenlagern. Es ist immer, ich betone IMMER, möglich, mindestens ein oder zwei interessante und relevante Frauenfiguren einzuführen. Und könnt ihr euch einen Film vorstellen, irgendeinen, in dem ausschließlich Frauen auftreten?
Nun ließe sich das freilich auch umgekehrt formulieren: Welch ein Gewinn für die weibliche Regie, dass Frau Jolie hier eine im Grunde rein männliche Crew anleitet und einen klassischen „Männerfilm“ dreht. Aber ich kann hier keinen Beifall klatschen, denn in meinen Augen hat insbesondere Angelina Jolie als vielleicht medienwirksamste Frau auf dem Regiestuhl eine Verantwortung. Eine Verantwortung ihren Schauspielkolleginnen gegenüber, die nicht nur schlechter bezahlt werden als die männliche Konkurrenz, sondern auch weniger Auswahl haben, weil noch immer 3 von 4 Sprechrollen mit Männern besetzt werden. Und Frau Jolie hat auch eine Verantwortung gegenüber allen Frauen dieser Welt, die sich im zeitgenössischen Kino noch immer unzureichend repräsentiert und dafür umso stärker sexualisiert sehen. Schon Spiderman musste auf die harte Tour lernen: Große Fähigkeiten bedeuten auch eine große Verantwortung. Angelina Jolie hat die Prominenz und das Budget, um ein filmisches Zeichen zu setzen, um allen zu zeigen, wie ein gleichberechtigtes, Sexismus-freies und emanzipatorisch wertvolles Kino funktioniert. Stattdessen dreht sie die millionste filmische Glorifizierung eines männlichen Helden und manifestiert damit ganz nebenbei auch noch ein durch unbeugsame Stärke gekennzeichnetes Männerbild, das nicht weniger sexistisch ist als die charakterlosen weiblichen Love Interests, die den Hollywoodfilm bevölkern.
Ich bin enttäuscht.
Kinostart: 15. Januar 2015
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„Und könnt ihr euch einen Film vorstellen, irgendeinen, in dem ausschließlich Frauen auftreten?“
Muss ich mir nicht vorstellen, gibt’s schon: ‚The Women‘, USA 1939, George Cukor, und das nicht ganz so tolle Remake aus 2008 von Diane English.
Bin thematisch schon länger ganz bei Ihnen.
Da sollte man sich nicht leichthin angreifbar machen.
Lieben Dank für diesen Hinweis! Die beiden Filme habe ich tatsächlich noch nicht gesehen, freue mich, über deren Existenz und bin neugierig darauf, sie zu sehen.
Allerdings glaube ich nicht, dass die Existenz zweier Filme die große Masse an „Männerfilmen“ aufwiegt oder meine Argumentation dadurch erheblich an Gewicht verliert.
„Allerdings glaube ich nicht, dass die Existenz zweier Filme die große Masse an ‚Männerfilmen‘ aufwiegt oder meine Argumentation dadurch erheblich an Gewicht verliert.“
Absolut, bzw. absolut nicht.
Trotzdem werden wissenschaftlich ausgebildete – oder darüber improvisierende und schlicht nur blendende – Gegner Ihres Konzepts jede Lücke und jeden blinden Fleck in Ihrer Argumentation ausnützen.
Dworkin und Schwarzer könn(t)en ein langes und nicht so tolles Lied davon singen.
Sie sind schlau. Machen Sie sich schlauer, was Filmgeschichte angeht.
Wird Ihre Argumentation schärfen.
BTW: ‚8 Femmes‘ (FR, 2002) nicht vergessen.
100% Bechdel, obwohl von einem Mann – François Ozon – geschrieben und inszeniert und von Frauen im Department ‚Musik‘ und ‚Kamera‘ realisiert.
Allerdings geistert tatsächlich eine einzige männliche Figur durch den Hintergrund.
Tut aber nicht weh.
[…] um heterosexuelle weiße Männer geht. Aber es verhält sich hier ähnlich wie mit Angelina Jolies Unbroken: Warum die hundertste Geschichte tapferer Männer erzählen, anstatt eine wahre Begebenheit zu […]
[…] Das können wir Justin Kurzel nicht anlasten. Doch ich bestehe darauf – wie schon im Fall von Unbroken und Everest – dass das Abschieben der Verantwortung auf die literarische Quelle oder vermeintlich […]
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