Top Girl und die Illusion der Emanzipation
Willkommen im BDSM-Winter. Vermutlich liegt es an der prominenten, wenn auch sehr zweifelhaften Twilight-Fan-Fiction Fifty Shades of Grey, dass sadomasochistische Sexualitäten plötzlich in den Mainstream und somit auch in das Kino drängen. Heraus aus der Nische der Pornographie und mitten rein in das sogenannte Arthauskino, dass uns neben Top Girl von Tatjana Turanskyj demnächst auch Remedy von Cheyenne Picardo präsentiert.
Der Zweck heiligt hier wohl die Mittel. Wir können über Fifty Shades of Grey urteilen wie wir wollen, aber dass die weibliche Sexualität in unterschiedlichen Ausformungen plötzlich Thema des Kinos wird, ist definitiv eine positive Wendung. Es wäre jedoch unfair, Top Girl lediglich auf dieses Thema zu reduzieren, noch unfairer den Film von Tatjana Turanskyj in einem Satz mit Fifty Shades of Grey zu nennen. Daher nun genug der einleitenden Worte.
Helena (Julia Hummer) arbeitet als Prostituierte, in den meisten Fällen als Domina. Doch die Rolle, die sie für ihre Kunden einnimmt, hat mit der realen Machtverteilung zwischen den Parteien nichts zu tun. Helena ist machtlos. Sie befindet sich in Abhängigkeit von ihren Kunden, die in jeder Session den Ton angeben, von ihrem „Liebhaber“, der ihr im Gegenzug für sexuelle Dienstleistungen eine komfortable Wohnung finanziert, und von ihrer Mutter Lotte (Susanne Bredehöft), die als Babysitterin aushilft.
Im Vergleich der Generationen, der hier mehr als offensichtlich angeboten und eingefordert wird, offenbart sich das Scheitern der jüngeren. Wo Helena mit ihrem Leben offensichtlich unzufrieden und zu keinerlei romantischer Bindung in der Lage scheint, präsentiert sich Lotte als energetische und selbstbewusste Frau, die locker und fröhlich ihren Gesangsschüler verführt. Ist die Frauengeneration von heute ihrer eigenen Emanzipation zum Opfer gefallen?
So zumindest scheint es, wenn sich hinter den sadomasochistischen Machtspielen mehr und mehr Helenas Unterlegenheit und Hilfslosigkeit offenbaren. Die vermeintliche sexuelle Befreiung und Selbstbestimmung über den Körper wird gewisser Maßen ad absurdum geführt, wenn wir die junge Frau immer und immer wieder in für sie unangenehmen, zumindest aber uninteressanten sexuellen Situationen beobachten. Mit anhaltender Trauermine spaziert Helena durch den Film, als gäbe es keine Lösung, keinen Ausweg aus ihrer Lage.
Die nüchterne Inszenierung und das hölzerne Schauspiel unterstreichen die Trostlosigkeit des Films, der irgendwo zwischen Spiel- und Experimentalfilm schwankt, immer wieder durch theatrale Momente die eigene Illusion bricht und sich damit auf geradezu Brecht’sche Weise als Lehrstück positioniert. Nur welche Lehre ist es, die wir daraus ziehen sollen? Dass der Feminismus der modernen Frau gescheitert ist?
Schockierend ist der Moment, wenn Helena und Lotte einen Vortrag zu kosmetischer Chirurgie besuchen, der weibliche Beschneidung als emanzipatorischen Meilenstein beschreibt, dabei die Wurzeln derartiger Schönheitsnormen jedoch völlig unter den Tisch kehrt (zum Zusammenhang kosmetisch optimierter Muschis und Genitalverstümmel empfehle ich übrigens den Film Vulva 3.0). Sind wir heute wirklich so verbohrt, dass wir glauben, durch die Verstümmelung unserer Schamlippen mehr Kontrolle über den eigenen Körper auszuüben? Sind wir wirklich so blind für die patriarchalen Strukturen, die uns die Notwendigkeit dieser Maßnahme suggerieren?
Top Girl ist der Ausdruck von Verwirrung, wie sie wohl viele junge Frauen empfinden, die auf dem schmalen Grat zwischen sexueller Selbstverwirklichung und Unterdrückung wandeln. Wo ist die Grenze? Wo hört die Selbstbestimmung auf und fängt die Fremdbestimmung an? Wie können wir überhaupt wissen, was wir wirklich wollen und welche Bedürfnisse uns im Laufe unseres Lebens durch soziokulturelle Einflüsse antrainiert wurden? Wie auch im sadomasochistischen Verhältnis Helenas zu ihrem Liebhaber, in dem das Verschwimmen von Spiel und Realität die Heldin zunehmend in eine Opferposition drängt, lässt sich auch im „wahren Leben“ Performanz nicht mehr klar von Identität trennen. Vielleicht, so suggeriert, Top Girl, spielen wir die Emanzipation lediglich. Vielleicht ist sie gar nicht real?!
Kinostart: 15. Januar 2015
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