The Last Expedition

1992 verschwindet die polnische Bergsteigerin Wanda Rutkiewicz während ihres Aufstiegs auf den Kangchendzönga in Nepal und bis heute ist unklar, was mit ihr passiert ist und ob sie noch lebt. Die Regisseurin Eliza Kubarska begibt sich in ihrem Dokumentarfilm The Last Expedition auf die Reise nach Wanda Rutkiewicz Geschichte – nicht nur auf dem Weg auf die höchsten Gipfel der Welt, sondern auch auf der Suche nach Zufriedenheit und einem Platz in der männerdominierten Bergsteig-Szene. 

Anders als in vielen anderen Kletter- und Bergsteig-Filmen geht es nicht um höher, schneller, weiter, nicht darum, Wandas „Karawane der Träume“ zu begleiten – als erste Person der Welt wollte sie acht Achttausender in einem Jahr besteigen. The Last Expedition bringt uns in nicht chronologischer Erzählweise vor allem durch Archivmaterial, Audioaufnahmen und Interviews der Person Wanda Rutkiewicz näher und schafft es, ihre Erfolge ohne Pathos und Heldentum zu zeigen. Der Film nimmt uns mit in die nepalesischen Berge und die Innenansicht einer beeindruckenden Protagonistin. ___STEADY_PAYWALL___

© RiseAndShine Cinema

Schon beim Einstieg in den Film erfahren wir, wer Wanda Rutkiewicz ist. Eliza Kubarska findet eine Akte: Wanda Rutkiewicz – Ingenieurin, Filmemacherin, Bergsteigerin. Eine Frau mit vielen Talenten und einem Ehrgeiz, der sie auf die höchsten Berge der Welt treibt. Eine Frau, die nicht nur der Regisseurin, sondern auch allen anderen Frauen und Personen als Beispiel dienen kann, ihre Wünsche zu verwirklichen. Sie ist stur, setzt sich ehrgeizige Ziele und erreicht die meisten davon. Dafür kritisieren sie vor allem ihre männlichen Kollegen, die gemeinsame Besteigungen mit ihr ablehnen und am Höhepunkt ihrer Karriere an ihr zweifeln. Bis zuletzt bleibt unklar, ob Wanda den Gipfel des Annapurna bestiegen hat, weil ihre Partner im BaseCamp ihren Aufstieg anzweifeln. 

Doch ist es nur ihr Ehrgeiz, der sie Berge besteigen lässt? In den Audioaufnahmen erfahren wir, dass Wanda selbst zweifelt, auf der ewigen Suche nach Zufriedenheit und Zugehörigkeit ist. Sie liebt die Freiheit der Berge, liebt die Einsamkeit und Unabhängigkeit. Wir erleben zwei Personen: Eine starke, selbstbewusste, kritische Bergsteigerin in den Bergen der Welt. Und eine zurechtgemachte Frau mit Föhnfrisur und grauem Blazer, die vor der polnischen und internationalen Presse von ihren Erfahrungen in den Bergen spricht. Pflichtauftritte, die ihr Sponsoring und Finanzierung ermöglichen und ihr den wohlverdienten Ruhm geben, der die Szene ihr verwehrt. Sie hat den Wunsch, Mutter zu werden, war mehrfach verheiratet und verliert ihren letzten Partner bei einem tragischen Bergunglück. Sie hat Schwierigkeiten, sich anzupassen und dazuzugehören. Glücklich und angekommen wirkt sie vor allem, wenn sie in den Bergen steht, mit roter Nase und Wind in den Haaren. 

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Bergsteigen ist kein Einzelsport – es lebt von Vertrauen, vom gegenseitigen Sichern, vom Teilen von Freude und Leid. Doch kaum ein Sport bringt so viele Misserfolge und Egoismus in die Öffentlichkeit wie Bergsteigen: Noch heute existiert das Problem, dass sich westliche Bergsteiger*innen von nepalesischen Sherpas begleiten lassen, deren Namen nicht in den Erfolgsgeschichten auftauchen. Wir kennen den Neuseeländer Edward Hillary, der als erster Mensch den höchsten Berg der Welt bestieg. Doch bis der Name seines Begleiters, Tenzing Norgay, in die Presse kam, dauerte es noch Jahre. The Last Expedition zeigt, wie sich dieser egoistische Drang zum Erfolg auch in Wanda Rutkiewicz‚ Wegen zu den Gipfeln widerspiegelt. Alpinisten wie Reinhold Messner, Krzysztof Wielicki und Carlos Carsolio kommen im Film zu Wort und beschreiben ihre Beziehung zu Wanda und ihre schwierige Stellung in der Szene. Reinhold Messner betont den Anteil an „Machos“ in der Bergwelt und den Drang nach eigenen Erfolgen. Auch Wanda spricht es aus: Niemand zwingt di*en andere*n, sich in Gefahr zu begeben und alleine Gipfel zu besteigen. Alle tun es freiwillig und für ihren eigenen Lebenssinn: Alle sind sich selbst am Nächsten. Wanda sucht Gesellschaft, andere Bergsteiger*innen werfen ihr vor, dass sie vor allem Menschen sucht, die sie unterstützen, weniger Menschen, mit denen sie gemeinsam Ziele erreicht. Immer wieder erlebt sie Konflikte in der Gemeinschaft. Sie hat es schwer in der Szene, also besteigt sie einige Gipfel im Alleingang, und begibt sich damit immer wieder in Lebensgefahr. Der Tod ist ein mögliches Ende einer jeden Besteigung und scheint für Wanda die wahrscheinlichere Möglichkeit, als mit dem Bergsteigen aufzuhören.

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The Last Expedition reproduziert keine Geschlechterstereotype, die Kamera unterscheidet nicht und legt den Fokus auf die Personen und weniger auf ihre Körper. Nichtsdestotrotz sind Geschlechterrollen das entscheidende Thema des Films: Wanda kämpft ihr Leben lang mit der fehlenden Zugehörigkeit. Die Männer sehen Konkurrenz in ihr, Frauen, die ihr im Ehrgeiz das Wasser reichen können, begegnet sie nicht. In das klassische Rollenbild einer polnischen Frau in den 80ern und 90ern passt Wanda nicht und obwohl es einen Kinderwunsch in ihr gibt, würde sie voraussichtlich auch als Mutter nicht das Stereotyp einer Hausfrau erfüllen. 

Die nepalesische Gesellschaft scheint im Film weniger geschlechterstereotyp. Hat Wanda dort ihren Ort gefunden? Die analogen Filmaufnahmen von Wanda selbst und die neuen Aufnahmen von Marchin Sauter, Piotr Rosołowski und Małgorzata Szyłak zeigen Nepal als Land voller Weite, Einsamkeit und Reduzierung auf das Nötigste. Als erfolgreiche Frau scheint Wanda in Nepal Anerkennung zu bekommen, die nepalesischen Bergsteiger bewundern ihre Erfolge. Im Film kommen vor allem Gläubige zu Wort, die die Spiritualität Nepals betonen und den Kangchendzönga als göttlichen Ort beschreiben, der das Königreich Shambala beherbergt, zu dem bisher noch niemand Zugang gewährt bekommen hat. Hat Wanda Shambala erreicht? Oder hat sie sich entschieden, ihre innere Freude in einem buddhistischen Nonnenkloster zu finden, das allen gleichermaßen Platz und Ruhe gewährt? 

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Eliza Kubarska nimmt die Zuschauenden in The Last Expedition mit auf ihre intensive Recherche-Reise und verbindet leise Beobachtungen, weise gewähltes Archivmaterial und Interviews miteinander. Dramatik löst sie stilistisch über musikalische Untermalung, wobei ihr Fokus dabei weniger auf den Risiken des Bergsteigens als mehr auf der Gefühlswelt der Protagonistin liegt. Die Regisseurin ist selbst polnische Bergsteigerin und kennt die Schwierigkeiten der Szene. Der Film kann auch als Huldigung an Wanda, ihre Erfolge und ihre Vorarbeit als Frau in einem sehr männlich geprägten Feld gelesen werden. Eliza Kubarska kann davon heute profitieren und diesen weiter währenden Kampf fortführen. Sie schafft es, den schmalen Grat zwischen Emotionalität und Objektivität zu finden und den Zuschauenden Raum zu lassen für eigene Interpretationen und Bewertungen. 

Dieses Porträt der Bergsteigerin Wanda Rutkiewicz ist definitiv emanzipatorisch wertvoll, zeigt die großartigen Erfolge einer Frau, die ihren Ehrgeiz nutzt, um die höchsten Berge der Welt zu besteigen. Doch es ist auch ein Film, der auf die Schwierigkeiten als Frau in einem männerdominierten Feld hinweist und betont, wie lange Frauen schon für ihre Räume kämpfen und welche Steine ihnen dabei in den Weg gelegt werden. 

The Last Expedition ist ab dem 30.01. in deutschen Kinos zu sehen. 


© Foto: privat

Lea Lünenborg hat Kommunikations- und Medienwissenschaften in Leipzig und Bremen studiert und arbeitet aktuell in Berlin in der Filmproduktion und der Organisation von Filmfestivals. Sie interessiert sich vor allem für historischen Film und Archivfilm. Privat treibt sie gerne Sport und liebt die Freiheit und Weite der Berge.