Nightbitch – Kurzkritik

In Rachel Yoders Roman „Nightbitch“ von 2021 scheint die Hauptfigur an ihrer Mutterschaft zu zerbrechen. Einst eine erfolgreiche Künstlerin, bestehen ihre Tage seit der Geburt des zweijährigen Sohnes darin, diesen zu bespaßen, Essen zu machen, den Haushalt am Laufen zu halten. Ihr Alltag wird von den Wünschen und Routinen anderer (neben dem Sohn ist da noch der Ehemann) bestimmt. Ihr Leben eine Verlängerung von dem der anderen, eine Existenz ohne Namen außerhalb der Rollen „Mutter“ und „Ehefrau“. Eines Tages bemerkt sie eine Wölbung an ihrem Steißbein, vielleicht nur ein ungewöhnlich großer Pickel? An einem anderen Tag erscheinen ihre Zähne ungewohnt spitz, alles nur Einbildung? Oder liegen diese Veränderungen an der hormonellen Umstellung eines Körpers, der auch Jahre nach der Schwangerschaft noch zu sich finden muss? Sie wird sich ja nicht wirklich in einen Hund verwandeln, oder?___STEADY_PAYWALL___

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Diesen literarischen Vertreter des magischen Realismus hat Marielle Heller jetzt mit ihrer vierten Spielfilm-Regiearbeit Nightbitch mit Amy Adams in der Hauptrolle verfilmt. Leser*innen von Yoders Roman ist lange unklar, wie wörtlich sie die Verwandlung der Protagonistin nehmen sollen: Ist die Hündin-Werdung eine Metapher für Emanzipation von oder durch Mutterschaft? Ist das Zähnefletschen im übertragenen Sinn zu verstehen, als ein Akt des Widerstands gegen das Bild der bissigen Frau? Ist es ein Abdriften in den (alltäglichen) Wahnsinn? Oder verfolgen wir eine Geschichte im wörtlichen Sinne und die Metapher ist eigentlich gar keine? 

Ähnliche Fragen spiegeln sich auch in Hellers filmischer Auseinandersetzung mit der Romanvorlage, die eine Einordnung in ein Genre kaum – und das ist durchaus frustrierend – zulässt: Nightbitch bewegt sich irgendwo zwischen schwarzer Komödie, beschwingtem Fantasy-Film, garstiger Farce und Body Horror. Denn auch in Hellers Film ist nur schwer greifbar, welche der vielen Interpretationen, die auf Formen der Tierwerdung in Film- wie Literaturgeschichte zutreffen können, denn am naheliegendsten ist. 

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Vor allem bildet Nightbitch, dessen Drehbuch ebenfalls von Heller stammt, das ab, was seine Literaturvorlage für viele Leser*innen (auch) zu einem neuen feministischen Klassiker macht: ein Aufräumen mit dem Mythos der perfekten Mutter. Zwar voll von schmerzvollen Aussagen, die auch schnell als Plattitüden abgetan werden können, wie „I’m angry all the time“ und „Motherhood is fucking brutal“, und eingegrenzt auf ein Familienbild, in dem Elternschaft in konservativ aufgeteilten Familienrollen in einem US-amerikanischen Mittelklasse-Setting stattfindet, ist Nightbitch in seiner Summe ein aufmerksames Porträt einer Frau, die tierisch wütend ist. 

Wütend darüber, dass Tage aufgrund aller Routinen und Monotonie gleichermaßen endlos und viel zu kurz erscheinen. Wütend über die Erwartung anderer und die eigene, dass mit Mutterschaft die berufliche Karriere sich im Ruhemodus befindet. Wütend über ein Kind, das nicht einschlafen möchte. Wütend über die Enge, die sie ständig umgibt. Wütend darüber, dass das eigene Leben aus den Fugen geraten ist. Wütend über eine Vorstellung von Mutterschaft, der sie entkommen möchte.

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So zeigen die diffusen Bilder von Nightbitch Wege, wie Mutterschaft vom eigenen Selbst entfernt, zu einer namenlosen Gestalt hin entmenschlicht, die wie aus der Zeit losgelöst existiert. Gleichzeitig verhandelt die Literaturverfilmung Mutterschaft aber auch als eine Zeit des Seins, die eine Verwandlung herbeiruft, die herausfordert, sich von Zwängen, Ängsten und Zweifeln abzuwenden, und die verlangt, neue Formen der Selbstwahrnehmung zuzulassen.

Nightbitch ist am 24.01. auf Disney+ gestartet.

Sabrina Vetter
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