Something Necessary – The Art of Losing

The art of losing isn’t hard to master;
so many things seem filled with the intent
to be lost that their loss is no disaster.

Mit dieser Strophe beginnt das Gedicht One Art von der US-amerikanischen Lyrikerin Elizabeth Bishop. Die Protagonistin aus Judy Kibinges Drama Something Necessary würde mit Sicherheit widersprechen. Anne (Susan Wanjiru) hat durch die Ausschreitungen nach den Wahlen 2007 in Kenia alles verloren. Ihr Ehemann ist tot, der Sohn liegt im Koma und die Farm in Schutt und Asche. Wie kann sie in dieser Lage die Kraft und Motivation aufbringen, neu anzufangen? Und was heißt das überhaupt?

Mit emanzipatorisch wertvoller Sturheit kämpft Anne um das Recht, auf ihrer Farm zu bleiben und Haus und Hof wieder herzurichten. Dass dies angeblich kein Ort und schon gar keine Arbeit für eine Frau sei, ist ihr egal. Sie möchte ihre Heimat zurück. Koste es, was es wolle. Aber der Preis ist höher als befürchtet: Schulden, Entfremdung von der Familie und Depression sind die Hürden, die Anne bewältigen muss. Kein Wunder, dass sie dabei vorübergehend den Blick auf das Ziel verliert.

Und dann erzählt Judy Kibinge noch eine weitere Geschichte, die weitaus weniger Raum als Annes einnimmt, mit dieser aber untrennbar verbunden ist. Es handelt sich um den jungen Joseph (Kipng’eno Kirui Duncan), der in besagter Nacht mit seiner Bande die Farm verwüstet hat. Doch im Gegensatz zu seinen Mitstreitern bereut Joseph die Tat und wird für seine Zweifel an der gemeinsamen Mission und den Regeln der Gang mit harter Gewalt bestraft.

© One Fine Day Films

© One Fine Day Films

Und so kämpfen Anne und Joseph gewissermaßen denselben Kampf. Sie beide stemmen sich gegen gesellschaftlich vorgeschriebene Rollen. Anne wird in ihre untergebene Position als Frau verwiesen, während Joseph für seine vermeintliche Schwäche, sprich fehlende Männlichkeit, verachtet wird. Und doch sind beide nicht in der Lage, sich ganz von diesen Geschlechterklischees zu befreien. Anne packt bei der Renovierung ihres Hauses nie selbst mit an und Joseph sieht sich gegenüber seiner Freundin durchaus in der Rolle des Versorgers. Vermutlich ist sich Judy Kibinge selbst nicht ganz bewusst, dass sie mit ihren Figuren Rollenmuster nur sehr selektiv kritisiert und dafür in anderen Bereichen manifestiert.

Kibinge zieht in ihrer Erzählung Anne stets vor, widmet ihr einen Großteil des Films. Dabei konzentriert sich die Kamera stark auf die weibliche Heldin. Close-Ups und Point-of-View-Shots bringen uns ihrer Erfahrungswelt nahe. Oftmals blendet Kibinge Annes Gesprächspartner_innen vollkommen aus, um die emotionale Situation ihrer Heldin zu intensivieren. Der Score bleibt dabei erfreulich unaufdringlich, versucht dem Publikum keine Tränen abzuringen, auch wenn der Film bis zum Ende nur wenig Hoffnung zulässt. Der dramatische Ausgang von Josephs Storyline ist in diesem Zusammenhang auch viel zu absehbar.

Aber was will Something Necessary uns sagen? Zum einen ist es Judy Kibinge mit Sicherheit ein Anliegen, die Zuschauer_innen für die Situation in ihrem Land zu sensibilisieren, Einblicke in die jüngere Geschichte Kenias zu geben. Gleichzeitig erzählt die Regisseurin aber auch eine allgemeingültige Geschichte über das Thema Verlust. Oder wie Elizabeth Bishop sagen würde: „the art of losing“.

© One Fine Day Films

© One Fine Day Films

Anne hält sich an der Vergangenheit fest. Sie will alles wieder so herrichten wie es einmal war und weigert sich die Tatsache anzuerkennen, dass dies vollkommen unmöglich ist. Als ihr Sohn aus dem Koma erwacht, droht er an Annes unbedingter Heile-Welt-Illusion ebenso zerbrechen wie sie, die derweil in tiefe Depression verfallen ist. Eines Nachts baut Joseph als Akt der Wiedergutmachung einen schützenden Zaun um Annes Farm. Die sieht dies als Zeichen dafür, alles richtig zu machen, sieht aber nicht, dass ein Zaun nicht nur einen Schutz, sondern auch ein Gefängnis darstellt.

Lose something every day. Accept the fluster
of lost door keys, the hour badly spent.
The art of losing isn’t hard to master.

(…)

I lost two cities, lovely ones. And, vaster,
some realms I owned, two rivers, a continent.
I miss them, but it wasn’t a disaster.

So geht das Gedicht von Elizabeth Bishop weiter. Es ist an Anne, die unheilvollen Ereignisse zu akzeptieren, egal wie schmerzhaft die Erinnerung und egal wie hart der Verlust. Sie muss aus ihrem selbst gewählten Gefängnis ausbrechen und wieder nach vorne anstatt zurück blicken. Der emanzipatorische Akt besteht hier nicht in der Sturheit, sich gegen ein patriarchales System durchzusetzen, sondern in der Fähigkeit, Hilfe anzunehmen und die eigenen Gefühle zu akzeptieren.

Ganz überzeugt Annes finaler Befreiungsschlag nicht. Die Verbindung ihrer Storyline mit der Josephs bleibt oberflächlich und verschenkt die Möglichkeit, dem Plot mehr Tiefe zu verleihen. Aber trotz dieser dramaturgischen Schwächen kann Something Necessary berührend und mit seiner allgemeingültigen Botschaft überzeugen. Oder wie Elizabeth Bishop sagen würde:

—Even losing you (the joking voice, a gesture
I love) I shan’t have lied. It’s evident
the art of losing’s not too hard to master
though it may look like (Write it!) like disaster.

Something Necessary  ist aktuell bei MUBI Deutschland zu sehen

Sophie Charlotte Rieger
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