Snow White and the Huntsman, Frauenpower & ein Messias
Snow White and the Huntsman war im Kino leider an mir vorbei gegangen. Ein nervenstrapazierender Langstreckenflug aber gab mir jüngst Gelegenheit, diese cineastische Wissenslücke zu schließen. Nicht, dass es meine Intention gewesen wäre, mich selbst auf dem Weg in den Urlaub sofort mit Beruflichem zu beschäftigen. Aber entweder du bist ein Film-Geek oder du bist keiner. Und so konnte ich nicht umhin, meine Gedanken zu Snow White and the Huntsman umgehend in schriftliche Worte zu fassen. Zu offensichtlich waren da zwei Interpretationsansätze, die ich dringend gedanklich weiterverfolgen wollte.
Abgesang an den Schönheitskult – Schneewittchen an vorderster Emanzenfront
Wenn ich so darüber nachdenke, dann ist das Märchen von Schneewittchen im Grunde schon immer eine Kritik des Schönheitskultes gewesen. Charlize Theron als böse Stiefmutter und fiese Herrscherin aber fasst diese sonst eher subtile Botschaft in Snow White and the Huntsman in deutliche Worte. Es sind die Frauen, deren Kapital in ihrer Jugendlichkeit und äußeren Schönheit besteht, während Männer in aller Ruhe altern können, ohne an Macht oder Attraktivität einzubüßen. Und das ist keine Märchenerfindung, sondern die Realität in der wir leben. In Anbetracht dessen ist der zwanghafte Narzissmus der bösen Stiefmutter geradezu verständlich. Dem durch die Königin repräsentierten Schönheitswahn wie wir ihn kennen wird durch Kristen Stewart alias Schneewittchen eine innere Schönheit entgegengesetzt. Denn seien wir doch mal ehrlich: Beim Casting einer perfekten Schönheit drängt sich Trauermine Kristen Stewart nicht direkt auf, sondern eher Puppengesichter das von Lily Collins, die das Schneewittchen in Tarsem Singhs Version der Geschichte spielt. Das Entscheidende an Snow White and the Huntsman aber ist, dass Schneewittchens äußere Schönheit eben keine übergeordnete Rolle spielt.Relig
Snow Whites Mission ist nicht die ihrer zahlreichen Vorgängerinnen. Es geht ihr nicht darum, einen Mann für sich zu gewinnen und den Rest ihres Lebens brav an seiner Seite zu verbringen. Nein, das Schneewittchen von Regisseur Rupert Sanders setzt sich tatkräftig für die Rettung seines Königreichs ein und sucht selbst den bewaffneten Kampf anstatt den kritischen Teil der Geschichte selig zu verschlafen. Ein wenig krankt diese feministische Interpretation an der Tatsache, dass Frauen in Snow White and the Huntsman stark unterrepräsentiert sind und der entscheidende Krieg zwischen Gut und Böse letztendlich doch von Männern ausgetragen wird. Nichtsdestotrotz ist es Schneewittchen, die sich der Königin im Frau-gegen-Frau-Finale stellt und in einem Akt der Emanzipation mit ihrer Kontrahentin auch den Schönheitswahn vernichtet, der sie und ihre Geschlechtergenossinnen zuvor so lange unterdrückt hat.
Am Ende steht erquickender Weise dementsprechend nicht die Hochzeit, die in den meisten Märchenfilmen die Unterordnung der Frau einleitet, sondern die Krönung Schneewittchens als neue Königin des Landes. Ganz ohne einen Mann an ihrer Seite. Es steht jedoch zu befürchten, dass das Sequel dieses emanzipierte Finale durch einen Ausbau der Lovestory zunichte machen wird.
Der weibliche Messias – Schneewittchen und die sieben Jünger
Ich gebe zu, ich habe eine Vorliebe dafür, in jedweden Film einen religiösen Subtext hineinzuinterpretieren. Das liegt daran, dass ich meine Magisterarbeit über dieses Thema verfasst habe und seitdem die entsprechende Symbolik an jeder Stelle zu entdecken glaube. Und so scheint es mir, als würde Rupert Sanders sein Schneewittchen bewusst nicht nur als Kampf-Emanze, sondern auch als weiblichen Messias inszenieren.
Die Messiasfigur ist im amerikanischen Kino sehr beliebt. Durch eine klare Bildsprache werden Parallelen zu biblischen Geschichten gezogen, der Held wird als moralisch überlegen, ja geradezu heilig inszeniert und opfert sich für die Menschen auf. In den meisten Fällen gibt es sogar einen Moment der Wiederauferstehung. All dies findet sich auch in Snow White and the Huntsman. Mit der Analyse der religiösen Symbolik könnte ich jetzt vermutlich erneut eine halbe Magisterarbeit füllen, aber ich will mich an dieser Stelle auf einige wenige markante Momente beschränken.
Schneewittchen ist die Auserwählte, das wird mehrfach betont. Ihre geradezu magische und heilsame Wirkung auf die Menschen, die Natur und jedwede Kreatur in ihrem Umfeld spielt eine besondere Rolle. Sie ist die personifizierte Vergebung, denn obwohl sie von der bösen Stiefmutter ihre gesamte Kindheit lang in einem dreckigen, kalten, miefigen Turm eingesperrt wird, hegt sie keinen Groll, sondern empfindet Mitleid für die von krankhaftem Wahn getriebene Frau. Überdies wird Schneewittchen natürlich als rein und unschuldig charakterisiert. Zusammengefasst: Schneewittchen ist eine Heilige.
Und so wundert sich auch keiner mehr, dass Rupert Sanders sie in einer Szene quasi über das Wasser gehen lässt. Nachdem die acht Zwerge dieses Wunder beobachtet haben, schwören sie Schneewittchen Treue und werden somit zu ihren Jüngern. Dabei funktioniert der Jägersmann (Chris Hemsworth) interessanter Weise als eine männliche Maria Magdalena. Die Auferstehungsszene ist schon im ursprünglichen Märchen enthalten. Da Snow White hier jedoch nicht wie bei den Gebrüdern Grimm durch das physikalisch erklärbare Ausspucken des Apfelstücks wieder erwacht, sondern aus nicht näher erläuterten Gründen (meiner Meinung nach die größte inhaltliche Schwachstelle des Films), wird das Bild der heiligen Auferstehung hier noch verstärkt.
Am entscheidendsten aber ist Schneewittchens Funktion innerhalb der Geschichte. Durch die böse Königin wird die Welt in eine Art apokalyptischen Zustand versetzt: Die Natur wendet sich gegen die Menschen und eine genauere Analyse würde sicherlich einige Parallelen zur Bildsprache der Offenbarung des Johannes hervorbringen. Wie auch der biblische Jesus errettet Schneewittchen durch ihre lang ersehnte und vorbestimmte Rückkehr die Menschen und läutet ein paradiesisches Reich ein, in dem alle Kreaturen in Frieden und Liebe miteinander leben. Im Grunde ist diese Inszenierung Schneewittchens als Messiasfigur eine konsequente Weiterführung des emanzipatorischen Ansatzes. Für gewöhnlich sind es männliche Helden, deren vorbestimmtes Wirken die ganze Menschheit errettet. Dass hier eine Frau in diese Männerdomäne eindringt, ist bemerkenswert und gesellschaftspolitisch meiner Meinung nach äußerst interessant.
Vielleicht kann ja di:er eine oder andere diesen zugegebener Maßen sehr kurz gefassten Interpretationsansätzen etwas abgewinnen. Ich für meinen Teil freue mich über Herrn Sanders’ emanzipatorischen Ansatz und bin gespannt, wie sich dieser in der Fortsetzung gestalten wird.
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