Mein Name ist Violeta – Ein vielstimmiges Porträt, aber nicht frei von Klischees

Ich muss sagen, ich hatte Bauchweh vor der ersten Sichtung von Mein Name ist Violeta. Wieder eine typische trans Doku, dachte ich. In der schlimmsten Variante heißt das: Eine einsam leidende Hauptperson, weinende Angehörige, voyeuristische Blicke auf trans Körper und ein Fokus auf medizinische Aspekte von Transition, der außen vor lässt, dass es trans Personen gibt, die nichts an ihren Körpern verändern möchten oder können. Wieder ein Film, der trans rein zweigeschlechtlich versteht und klischeehafte Geschlechterrollen inszeniert, dachte ich. Denn die meisten trans Dokus, die ich kenne, richten sich an ein cis und endogeschlechtliches, also ein nicht trans und nicht inter* Publikum und zielen auf Gefühle wie Mitleid oder Empathie ab. Sie dienen dazu, dass sich ein cis und endogeschlechtliches Publikum gut fühlen kann. Die Handlungsfähigkeit der dargestellten trans Personen kommt in diesen Filmen ebenso zu kurz wie die Tatsache, dass sie außer ihrem trans sein auch andere Eigenschaften und Interessen haben.

Violeta und ihre Mutter Franceska in einem Vergnügungspark.

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Marc Parramons und David Fernández de Castros Dokumentarfilm Mein Name ist Violeta hat mich neben einigen klassischen Erzählstrategien einer typischen trans Doku auch positiv überrascht. ___STEADY_PAYWALL___Der Film beginnt mit einer Castingszene, in der mehrere Kinder für die Rolle der elfjährigen Violeta Jordá vorsprechen. Die spanische Jugendschutzbehörde hatte den Produzent:innen geraten, die Identität ihrer minderjährigen Protagonistin geheimzuhalten. Das macht der Film auch, indem Violetas Gesicht das erste Mal am Ende des Films zu sehen ist. Auch wenn ihre Stimme von Anfang an präsent ist, sehen wir sie die meiste Zeit von hinten, mit großem Abstand gefilmt oder sie trägt Masken. Szenen aus ihrer frühen Kindheit werden von ihren Eltern Franceska und Nacho nacherzählt oder mit anderen Protagonist:innen reinszeniert. Der Raum, der so entsteht, schafft eine gewisse Distanz zur jungen Protagonistin, die dem Film im Vergleich mit dem Voyeurismus anderer trans Dokus gut tut.

Es fällt auch positiv auf, dass der Film durch das Einführen weiterer Protagonist:innen die Perspektive erweitert. Die bekannte trans Aktivistin, Schauspielerin und PSOE-Parlamentsabgeordnete Carla Delgado Gómez, auch bekannt unter ihrem Künstlerinnennamen Carla Antonelli ist ebenso zu sehen wie Iván Reche, der in einer kleinen Stadt in der Nähe von Barcelona lebt. Leyre Tarrasón will in einem Theaterprojekt dazu beitragen, dass trans Personen abseits von Klischees gesellschaftlich sichtbar sind. Silvia Reyes wurde von der franquistischen Diktatur verfolgt und in Gefängnissen interniert. Sie spricht die Verantwortung des spanischen Staates an, sich für die systematische Verfolgung von trans und queeren Personen durch das faschistische so genannte Gesetz über sozial gefährliche Personen zu entschuldigen.

Leyre steht in einem roten Kleid auf einer Theaterbühne. Der Hintergrund ist blaugrau.

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Eine der Stärken des Films ist das Verbinden von historischen und aktuellen trans Aktivismen. Bilder von Demonstrationen aus den 1970er Jahren stehen neben Ausschnitten aus El enigma de una belleza (Das Rätsel einer Schönheit), dem ersten Film, der 1981 trans im spanischen Fernsehen thematisiert. Wir sehen auch Bilder von aktuellen Interessensvertretungen wie Chrysallis, eine Selbstorganisation von trans Kindern und Jugendlichen und ihren Familien oder Bilder von Demonstrationen nach dem Suizid von Alan, der es als einer der ersten Minderjährigen im spanischen Staat geschafft hatte, seinen Vornamen ändern zu lassen. Dieser aufwändige Verwaltungsakt beschäftigt auch Violeta und ihre Eltern. Der Kampf um den eigenen richtigen Namen wird im programmatischen Filmtitel auf den Punkt gebracht.

Mein Name ist Violeta thematisiert Verfolgung in der franquistischen Diktatur, Pathologisierung, also das Darstellen von trans Personen als krank oder verrückt, Erwerbslosigkeit und sozioökonomische Ausschlüsse wie Obdachlosigkeit. Er widmet sich widerständigen Strategien und Strategien der Selbstermächtigung, die die Dargestellten aus trans Gemeinschaften, gemeinschaftlichen künstlerischen Praxen und Aktivismus ziehen.

Eine Gruppe von mehrheitlich weißen Personen steht hinter einer Parkbank, die in den trans Pride Farben bemalt ist.

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Gerade in Bezug auf die Darstellung von Weiblichkeit kommt Mein Name ist Violeta aber auch an einigen klischeehaften Darstellungen nicht vorbei. Besonders unangenehm ist die stereotype Inszenierung von Sexarbeit am Beispiel von Silvia. Ein weiteres Klischee, das typisch ist für die mediale Darstellungen von transweiblichen Personen und trans Frauen ist das aktive Feminisieren von Körpern durch Schminken, Einkaufen oder sonstige Schönheitsprogramme. Die Medienwissenschaftlerin Joanna McIntyre hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass transweibliche Personen und trans Frauen vor dem Hintergrund von patriarchalen und sexistischen Strukturen ihre Weiblichkeit beweisen und Schönheitsideale noch viel mehr erfüllen müssen als normgeschlechtliche Frauen. Leyre spricht dieses Thema im Film in einer Szene auf der Theaterbühne an, in der sie unterstreicht, dass ihre Weiblichkeit nicht erst durch geschlechtsbestärkende medizinische Maßnahmen in sie eingeströmt sei.

Silvia liegt in einem kurzen schwarzen Kleid auf einem Bett. Das Bild wird mit ihrem Strafregister überblendet

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Wenn Violeta uns ihre Kleider präsentiert oder mit ihrer Mutter einen Schönheitssalon besucht, ist wie auch in anderen Szenen in ihrem Wohn- und Familienumfeld spürbar, dass sie durch den Reichtum ihrer prominenten Eltern andere Erfahrungen macht und Formen von Unterstützung erlebt als beispielsweise Iván, den Arbeitgeber:innen aufgrund der Nichtübereinstimmung zwischen seinem Erscheinungsbild und seinen Dokumenten immer wieder entlassen und der dadurch kein Geld für eine Mastektomie sparen kann. Mein Name ist Violeta thematisiert auch die durch aktivistische Kämpfe und gesellschaftliche Umbrüche radikal veränderten Realitäten von jungen trans Personen und trans Frauen wie Silvia oder Carla, die unter der franquistischen Diktatur in eine Zeit geboren wurde, in der trans Frauen eine Lebenserwartung von knapp 40 Jahren hatten. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Darstellungen progressive Erzählstrategien wie sie auch in Mein Name ist Violeta zu finden sind, weiterentwickeln. Ich freue mich über Filme, die historische und aktuelle Aktivismen miteinander verbinden und den heterogenen Erfahrungen und Realitäten von trans Personen aufgrund von unterschiedlichen Körpern, Rassialisierung, Geschlecht und sozioökonomischer Position gerecht werden, anstatt beständig überholte Klischees zu reinszenieren.

Kinostart: 30. Juni 2022