Interview: Kerstin Polte über WER HAT EIGENTLICH DIE LIEBE ERFUNDEN?

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Beim diesjährigen Achtung Berlin Festival hatte ich zum zweiten Mal die Ehre den Preis des Verbands der deutschen Filmkritik zu verleihen und zwar in diesem Fall an die zauberhafte Tragikomödie Wer hat eigentlich die Liebe erfunden? von Kerstin Polte. Hier animiert die schwer erkrankte Großmutter Charlotte (Corinna Harfouch) ihre kleine Familie zu einem chaotischen Roadtrip zu einer geheimnisvollen Insel, auf der Traum und Realität ineinander fließen und vielleicht sogar Gott wohnt.

Und weil mich dieser fantasievolle Film nicht nur prächtig unterhalten, sondern auch tief berührt hat, ergriff ich die Gelegenheit, Kerstin Polte im Nachgang des Festivals für ein Interview zu treffen. Bei Limo und Kuchen in der Frühlingssonne unterhielten wir uns ausgiebig – nicht nur über Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?, sondern auch über die Kraft der Träume, den Mangel an interessanten Frauen*figuren und was dagegen zu unternehmen ist.

„… das einzige, das man dieser Endlichkeit entgegensetzen kann.“

Wann und wie hat die Arbeit an Wer hat eigentlich die Liebe erfunden? begonnen?

Die erste Drehbuchfassung ist 6 Jahre her. Corinna Harfouch ist seit über 4 1/2 Jahren dabei, meine Produzenten auch. Aber das Ding ist: In Deutschland kriegst Du keine Förderung ohne Fernsehen. Und der erste Sender sagt: „Das ist uns zu lustig“. Der nächste Sender sagt: „Das ist uns nicht lustig genug.“ Und dann dauert es immer, bis die gelesen haben, bis die entschieden haben. Und so geht die Zeit ins Land. Und in dem Moment, in dem ich mir gesagt habe, ich mach’s wie ich’s will, in dem Moment klappte es. Es war dann innerhalb von drei Monaten auf einmal komplett finanziert.

Wie hat sich der Stoff von der ersten Idee bis zum fertigen Film verändert?

Er hatte immer schon diese surrealen Elemente, aber das Komische hat sich immer mehr ausgebaut, weil ich meinen Vater – das klingt jetzt merkwürdig – in den Tod begleitet und danach beschlossen habe, auf der Seite der Hoffnung zu stehen. Wir haben uns bis zuletzt Witze erzählt, wir haben viel gelacht. Und das ist das einzige, das man dieser Endlichkeit entgegensetzen kann. Diese Liebe, diese Nähe und auch ganz viel Humor.

„es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde als die Realität“

Der Film ist ja an vielen Stellen sehr unkonventionell. Auch die Liebesgeschichte ist für einen deutschen Familienfilm eher ungewöhnlich. Aber dann ist Gott am Ende doch wieder ein weißer Mann*. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?

Gott war ein bisschen anders angelegt, geschlechtsneutraler. Vielleicht hätte ich das noch expliziter machen sollen. Aber der Darsteller Bruno Cathomas hat ja zugleich etwas Archaisches und etwas ganz Zartes. Die Figur hat immer anders lackierte Fingernägel, manchmal auch andere Augenfarben, trägt immer Kajal. Das sind so kleine Details, die man nicht alle beim ersten Mal merkt. Wenn es einen Gott gibt, möchte ich, dass er so ist. Dass er ein bisschen menschlich ist.

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Wie kommt es überhaupt zu der Gott-Figur? Bist Du religiös?

Nein. Die Figur war anfangs so ein merkwürdiger Pensionsbesitzer. Wirklich einfach ein komischer Kauz, „der Horster“. Und dann war ich auf La Gomera mit meiner Frau wandern und wir sind da irgendwo auf einem Berg, stundenlang niemanden gesehen, und ganz oben, so im Nebel, ist eine Mini-Kapelle, wo nur zwei Leute reinpassen. Da waren überall ganz viele Tiere, Katzen und ganz viele Hühner. Und auf einmal kommt ein uralter Mann hinter der Kapelle hervor, lächelt uns zahnlos an und macht dieses Ding auf. Danach sind wir weitergegangen im Nebel, haben uns umgeguckt und auf einmal war er wieder weg. Das war so eine merkwürdige Begegnung, dass ich dachte: „Wir sind gerade Gott begegnet. Der wohnt hier oben, schlachtet Hühner und hat eine Zwei-Sitzer-Kapelle.“ Ich bin nicht christlich, aber ich glaube, es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde als die Realität. Das ist ja auch ein Thema von meinem Film: Es ist egal, ob ich träume oder nicht, so lange ich berührt werde.

„Ein bisschen mutig wird immer scheiße.“

Das Spiel mit Traum und Wirklichkeit, die verspielte Inszenierung… Wie kam es dazu?

Ich hatte 7 Jahre gewartet. Und dann hab ich gesagt: Wieso soll ich jetzt nicht weiter mutig sein und das einfach durchziehen? Weil ein bisschen mutig geht nicht. Ein bisschen mutig wird immer scheiße. Mir und dem Team war durchaus klar, dass wir auf einem sehr schmalen Grat unterwegs sind. Ich bin tatsächlich verspielt, habe früher Musikvideos gemacht, wo ich ganz viel mit solchen Sachen gespielt habe, auch mit gedrehten Räumen. Und zu den Locations: Der Leuchtturm war eine Woche vor Drehbeginn erst fix. Wir hatten ihn noch nie gesehen und eigentlich nur einen Tag Vorbegehung und mussten dann alles entscheiden. Wir haben einfach alle unsere Ideen zusammengeworfen. Das Büro von Horster beispielsweise sollte ganz anders sein eigentlich, aber das gab es nicht an der Location. Und das liebe ich auch, so eine Begrenzung zu haben, damit umgehen zu müssen. Und so haben wir das Raum für Raum gemacht.

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Das Thema Traum scheint Dir am Herzen zu liegen, taucht in Deinem Film, aber auch auf Deiner Webseite auf. Worum geht es Dir dabei?

Es geht darum, mutig zu träumen. Wie die Katze am Anfang meines Films: Wer sagt denn, dass eine Katze nicht fliegen kann, wenn sie es noch nie probiert hat? Und das geht uns allen so. Wer sagt uns denn, dass wir irgendetwas nicht träumen können? Wir verändern uns permanent und es geht immer darum, auszuprobieren und noch mal aus dem Fenster zu springen – im übertragenen Sinne.

Das geht für die Katze in Deinem Film aber nicht so gut aus.

Ja, aber wenn man sagt, unser Leben ist ein Flug, dann landen wir am Ende alle auf dem Boden. Aber wenigstens sind wir geflogen. Wir werden alle irgendwann sterben. Aber trotzdem: Es lohnt sich!

Vielleicht gibt es in Deutschland deshalb so wenig fantasievolles Kino, so wenig Genre-Filme, weil wir zu wenig träumen?

Wir haben alle so en bisschen dieses Wagner’sche Tragödien-Gen in uns. In Deutschland geht es viel um Realismus, Naturalismus, lange Kunst, düster, nüchtern. Ich hätte wahrscheinlich einfach nur Corinna Harfouch als alzheimerkranke Charlotte mit einer düsteren Kamera in Blaustichen gehalten einmal 90 Minuten durch Berlin folgen sollen. Aber ja, mein Film ist ein Wagnis, ein humorvoller, leichter Versuch, einen Moment, ein Lebensgefühl einzufangen.

„’starke Frau‘ – da krieg ich ne Motte“

Auf Deiner Webseite schreibst Du, Du willst Frauen*figuren erschaffen, die „mutig, eckig, merkwürdig, sehnsüchtig und stur“ sind. Warum?

Ich hatte nie Vorbilder als Kind. Was ich an Film- und Fernsehvorbildern hatte, waren Jack Holborn, Tom Sawyer und so weiter. Pipi Langstrumpf war das einzige etwas unkonventionellere Mädchen, aber sonst durften nur die Typen Abenteuer erleben. Und auch später: Was gibt es für Frauenfiguren außerhalb dieses Bildes von jung, schön, glatt? Die Formulierung „starke Frau“ – da krieg ich ne Motte. Frauen können doch auch total ambivalent und komische Antiheldinnen sein, wie in meinem Film die Fachschullehrerin Alex. Ich bin auch eine große Verfechterin davon, dass es viel mehr gibt als männlich und weiblich und dass wir uns jeden Tag immer wieder neu erfinden müssen. Wie der Gott in meinem Film. Das ist ja auch eine queere Person.

Außerhalb der Frauen unter 40 und den Omas und den Frauen als Geschenk am Ende gibt es im deutschen Film wenige Frauenfiguren. Frauen müssen auch immer irgendwie mit Liebe zu tun haben, ohne dass eine eigenständige Geschichte erzählt wird. Ich möchte solche Sachen erschaffen, weil unsere Kinder es verdient haben, in einer Welt aufzuwachsen, in der es auf der Leinwand genauso bunte, vielfältige, merkwürdige, komische, laute und leise Frauengestalten gibt wie im wahren Leben.

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An welcher Schraube müsste man stellen, um diese Vision wahr werden zu lassen?

Das sind gewachsene Strukturen und das Problem dabei ist, dass sie sich wahnsinnig langsam verändern. Man sollte alles paritätisch besetzen: alle Förderungen, alle Gremien, all sogenannten „Doorkeeper“. Und in dem Moment, wo Frauen Drehbücher schreiben und Regie führen, gibt es ganz andere Frauenfiguren. Und viel mehr Kamerafrauen. Das ist dann ein Mitziehen.

Bist Du für die Regie Quote?

Man muss irgendein Instrument einsetzen, das Menschen dazu zwingt, ein Tor zu öffnen. Und wenn es dann in der Normalität angekommen ist, umso besser. Und ich glaube, in dem Moment, wo mehr Frauen dabei sind, wird sich dieses System auch von innen heraus reformieren.

Ich hoffe, dass diese Vorstellung mehr als ein Traum ist! Lieben Dank, Kerstin, für das schöne Interview. Ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Film, mit dem Du uns hoffentlich wieder träumen lässt!

Kinostart Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?: 3. Mai 2018

Sophie Charlotte Rieger
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