Filmkritik: Ostwind
Sigmund Freud hätte sicher eine interessante Theorie zu der Frage, warum so viele junge Mädchen* eine derartige Begeisterung für Pferde entwickeln. Ostwind von Katja von Garnier ergeht sich jedoch nicht in einer Ursachensuche, sondern bedient sich geschickt der Tatsache, dass die eleganten Vierbeiner das Herz weiblicher* Teenager so hoch schlagen lassen, wie das sonst nur glitzernde Vampire können.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht Mika (Hanna Binke), die just die Nachricht erhalten hat, dass sie die siebte Klasse wiederholen muss. Offensichtlich hat das naturwissenschaftliche Talent ihrer Eltern nicht auf sie abgefärbt und so wird sie zu einem öden Sommer bei Oma auf dem Land verurteilt, wo – so glauben zumindest die Erwachsenen – Mika gar nichts anderes übrig bleiben wird, als ihre Nase in Bücher über Quantenmechanik zu stecken. Stattdessen entdeckt das Mädchen* auf dem Pferdehof ihrer Großmutter (Cornelia Froboess) einen Leidensgefährten: Auch der Hengst Ostwind ist der Nachkomme erfolgreicher Eltern, selbst jedoch so ungestüm, dass er im Stall eingesperrt werden muss. Und nun droht ihm auch noch der Metzger! Mika muss dringend etwas unternehmen, um Ostwind zu retten!
In vielen Aspekten folgt Ostwind klassischen Mustern. Das Stadtkind, das aufs Land kommt, entdeckt ein bislang ungeahntes Talent für das Reiten und Pferdeflüstern und wird von einem unkonventionellen Mentor (Tilo Prückner) mit unkonventionellen Mitteln auf einen großen Wettkampf vorbereitet. Dabei erhält es Unterstützung von einem nicht nur hilfsbereiten, sondern auch hübschen Stallburschen (Marvin Linke). Auf der anderen Seite aber gelingt es Ostwind, nicht zu tief in die Klischeefalle zu tappen. Mika ist nicht die typische, verwöhnte Stadtgöre und bringt keinerlei Berührungsängste mit. Und so kommt es, dass sie bereits in ihrer ersten Nacht auf dem Hof wie selbstverständlich im Heu schläft und ohne mit der Wimper zu zucken beim Ausmisten hilft. Stallbursche Sam ist nicht das „Love Interest“ einer Teeny-Romanze, sondern lediglich ein guter Freund und männlicher Sidekick. Im Mittelpunkt der Handlung steht anhaltend das Verhältnis zwischen Mika und ihrem Pferd – der junge Mann* darf hier nur am Rande mitmischen.
Auch wenn das Drehbuch von Lea Schmidbauer und Kristina Magdalena Henn zuweilen ausgetretene Pfade verlässt, bleibt Ostwind ein recht vorhersehbares Pferdabenteuer, das sein Publikum stärker durch die Musikuntermalung in seinen Bann zieht als durch seine Handlung. Auch wenn einzelne Lieder grundsätzlich gut gewählt sind, wirkt die Musik insgesamt maßlos überladen und droht die Ereignisse bis zur unfreiwilligen Komik übermäßig zu dramatisieren. Wenn die Kamera zu pathetischen Klängen über die Wiesen fliegt und das Mädchen* mit wallendem roten Haar und ausgebreiteten Armen auf ihrem schwarzen Hengst durchs Bild galoppiert, werden eingefleischte Pferdefans zwar zweifelsohne mitgerissen – ihre Begleitpersonen jedoch wähnen sich mit ebenso großer Sicherheit buchstäblich im falschen Film.
Vieles an Katja von Garniers Inszenierung erinnert eher an epische Abenteuerfilme als an ein charmantes Pferdemärchen. Der durch Musik, Zeitlupen und Kamerafahrten angedeuteten Größe kann der Inhalt leider nicht entsprechen. Zu holprig kommen die gefährlichen Szenen daher, zu offensichtlich sitzt Hanna Binke in vielen Fällen nicht selbst auf dem Pferd. Zu einer Geschichte, die Naturverbundenheit und Authentizität predigt, hätte eine dezentere Aufmachung deutlich besser gepasst. Mit weniger Dramatik und mehr Charme hätte von Garnier das Konzept für ein erwachsenes Publikum deutlich ansprechender gestalten können.
Ohne Frage aber wird es Ostwind gelingen, sein Zielpublikum zu fesseln. Die Geschichte ist spannend erzählt und auch wenn Erwachsene, die schon den einen oder anderen inhaltlich verwandten Film gesehen haben, ihren Verlauf schnell vorhersehen können, werden pferdevernarrte Mädchen trotzdem mitfiebern. Mika ist eine gut gewählte Identifikationsfigur, die sich auf der Suche nach ihren Begabungen und somit auch nach sich selbst befindet. In Ostwind findet sie nicht nur einen Seelenverwandten, sondern endlich auch etwas, dass sie besser kann als alle anderen. Und wer möchte nicht derart unbeschwert mit seinem Pferd über die grünen Wiesen fliegen und damit dann auch noch den Respekt seiner Eltern gewinnen?! Mit ziemlicher Sicherheit können sich die Reitschulen zum Frühlingsanfang dieses Jahr auf einen besonderen Ansturm gefasst machen.
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